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Dieser Arbeit widmet sich der überaus produktive italienische Publizist und Philosophieprofessor Domenico Losurdo, dem wir in letzter Zeit Bücher wie »Stalin. Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende« und »Gewaltlosigkeit. Eine Gegengeschichte« verdanken. In letzterem Werk deckt er auf, inwieweit die bekanntesten Verfechter dieser Idee – die amerikanischen Abolitionisten, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, der Dalai Lama – inkonsequent waren. Am wohl umfangreichsten sind Losurdos Arbeiten zu Hegel, in denen er die verzerrten Rezeptionsweisen dieses Philosophen zurechtrückt. Vor allem rechnet er mit den Verdrehungen und Verfälschungen, die die angelsächsische liberale Tradition zu Hegel hervorgebracht hat, ab: Sie reichen bis zu dem aus der Totalitarismusdoktrin erwachsenen Vorwurf, daß von der »Staatsvergottung« Hegels eine direkte Linie bis zu Hitler reiche. Das meinte Carl Schmitt, aber auch Karl Popper, der – das weist Losurdo nach – in Unkenntnis und Verdrehung historischer Zusammenhänge Hegel nicht nur die »Verantwortung für das Deutschland Wilhelms II. (und dann Hitlers), sondern auch für die UdSSR Lenins (und des realen Sozialismus)« zuschreibt. In seinem Buch »Die offene Gesellschaft« behaupte Popper, »daß Hegel ›Holismus und Kollektivismus‹ auch ›auf die Organisation des Proletariats‹ anzuwenden gedenkt«. Daß Hegel »Theoretiker und Lobsinger der ›königlich preußischen Staatsidee‹ gewesen sei, war eine Auffassung, die sich auch in der deutschen Arbeiterbewegung ausbreitete. Das behauptete zum Beispiel Wilhelm Liebknecht 1870 in einer Anmerkung zu einer von ihm publizierten Schrift von Engels, der daraufhin erbost an Marx schrieb: »Dieser Ignorant hat die Unverschämtheit, einen Kerl wie Hegel mit dem Wort ›Preuß‹ abfertigen zu wollen.« Nach Losurdo war Liebknechts Ausrutscher ein Zeichen dafür, daß sich die Positionen der revolutionären Sozialdemokratie auf die »Positionen der liberalen Bourgeoisie abzuflachen« begannen. Losurdo zitiert den rheinländischen Großindustriellen David Hansemann, der sich damals gegen eine staatliche Regelung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen wandte, die »Hegelianer und Sozialisten« forderten. Statt der »Kälte des Staates und [der] Künstlichkeit der Rechtsnormen« sollte weiterhin »die Wärme und Spontaneität der ›christlichen Liebe‹« die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten bestimmen. Unter dem Eindruck des Scheiterns der 1848er Revolution sei – so Losurdo – ein Teil der deutschen Linken, darunter Heine und zeitweise auch Lassalle, dazu übergegangen, Deutschland, das selbst keine Umwälzung zustande brächte, aufzufordern, sich zu »verwestlichen«, das heißt sich Länder wie Frankreich und England zum Vorbild zu nehmen. Dabei war England damals keineswegs mehr revolutionär, und Frankreich, das klassische Land der bürgerlichen Revolution, war unter Napoleon III. bereits zu dem Land geworden, das die europäische Reaktion anführte. Über viele Zwischenglieder kann Losurdo Positionen wie die des Industriellen Hansemann und in gewisser Weise auch die eines größer werdenden Teils der Sozialdemokratie – so zum Beispiel Kautskys – auf die englische liberale Staatsauffassung Edmund Burkes und John Lockes zurückführen, deren Gegenstück Hegel entwickelte. Für Burke und Locke stellte das Eigentum den höchsten Wert dar, den der Staat gegenüber jeglichem Anspruch der Besitzlosen zu schützen habe. Hegel stellte zwar auch nicht den Besitz an sich in Frage, für ihn repräsentierte jedoch das menschliche Leben den größten Wert. Und da er von den gleichen Rechtsansprüchen aller Menschen ausging, verfocht er ein radikales Konzept der Chancengleichheit, das durch die progressive Besteuerung der Besitzenden durchzusetzen sei. Hegels Rechtsphilosophie ist also weit entfernt von den Sozialreförmchen, zu denen sich »Bismarks Bonapartismus« schließlich bequemen mußte, und erst recht von der Staatsauffassung Hitlers, der sich nicht nur gegen den angeblich »absoluten Staat« Hegels aussprach, sondern auch bereits erkämpfte Sozialgesetzgebungen zerstörte und den Zusammenhalt der Deutschen durch die Stärkung »völkischer« Traditionen herstellen wollte. Der Nationalsozialismus radikalisierte die auf die Romantik zurückgehenden deutschtümlerischen Traditionen, in denen das Individuum nicht Teil eines vom Recht geprägten Staates war, sondern einer mystisch verklärten Volksgemeinschaft. In der rassistischen Völkerhierarchie privilegiert, sollten die Deutschen zu ihrem angeblichen »Recht« kommen, indem sie andere Völker vernichteten. Hitlers auf die Spitze getriebener Rassismus konnte sich eher auf die Lehren des Franzosen Joseph Arthur de Gobineau berufen als auf Hegel, für den der »Schädelknochen für sich« ein »gleichgültiges, unbefangenes Ding« war, an dem »unmittelbar nichts anderes zu sehen und zu meinen ist als nur er selbst« und für den die Gleichheit aller Menschen so selbstverständlich war, daß er die Sklaverei grundsätzlich ablehnte und das Völkerrecht, das heißt die Beziehungen zwischen den Staaten, über den einzelnen Staat stellte. Es liegt in der Natur einer Rezension, daß sie verkürzen muß und »ideologisch« argumentiert. Um so mehr sei Losurdos Buch empfohlen, das auch da äußerst differenziert argumentiert, wo es um die scheinbar widersprüchlichen, realiter aber dialektischen Seiten des Hegelschen Denkens und seiner Rezeption geht, zum Beispiel in Sachen Kolonialismus und Krieg. Domenico Losurdo: »Von Hegel zu Hitler? Geschichte und Kritik eines Zerrbildes«, übers. von Erdmute Brielmayer, PapyRossa, 181 Seiten, 18 €
Erschienen in Ossietzky 13/2015 |
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