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Ich kannte sie als die Mutter meines Klassenkameraden und lebenslangen Freundes Peter Lachmund und erinnere mich besonders an dessen frühe Geburtstage, die in diesem Hause gefeiert und von Frau Lachmund einfallsreich gestaltet wurden. Einmal fand ich beim kindlichen Topfschlagen unter dem Topf nicht etwa Schokolade oder Bonbons, sondern einen Kunstband mit Graphiken von Rembrandt vor, deren künstlerischen Wert sie mir erklärte. Als ich mich einmal über die gute sportliche Leistung eines anderen Jungen mit den Worten »Bild dir bloß nichts darauf ein« lustig machte, sagte sie ganz ruhig zu ihm: »Bilde dir ruhig etwas darauf ein, mein Junge.« Das war für mich eine Lehre, die ich bis heute nicht vergessen habe. Wir dummen und etwas hochnäsigen Jungen erwarteten auch nicht, daß sie einen anderen Jungen, der bei uns als Spinner galt, in Schutz nahm, der sich durch abfällige Äußerungen zum Nazi-Regime der Gefahr, denunziert zu werden, ausgesetzt hatte. Wir ahnten nicht, daß ihre Parteinahme für diesen aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Jungen nicht nur in ihrer christlich geprägten Mitmenschlichkeit, sondern auch in ihrer politischen Gesinnung wurzelte. So engagierten sich Margarethe Lachmund und ihr Mann Hans Lachmund in der liberalen Widerstandsgruppe um Ernst Strassmann und Hans Robinsohn, über die es ein umfangreiches Buch »Liberale im Widerstand« von Horst Sassin gibt, in dem auch die Aktivitäten der Lachmunds gewürdigt werden. Nach Strassmanns Verhaftung im Jahr 1942 nahmen die Lachmunds ohne Berührungsängste Verbindung zu der kommunistischen Widerstandsgruppe um Anton Saefkow auf, was 1945 bei der kampflosen Übergabe von Greifswald an die Rote Armee bedeutsam werden sollte. Für Margarethe Lachmund wegweisend war ihre Begegnung mit der internationalen Organisation der Quäker bei einem Kongreß in London. Dort lernte sie nicht nur das undogmatische weltzugewandte Christentum der Quäker kennen, sondern hörte Berichte von Kriegsdienstverweigerern, die sie stark beeindruckten und sie zur Pazifistin machten. Margarethe Lachmund gehörte zu den allzu wenigen Anklamer Bürgern, die sich für Juden und andere Verfolgte des Nazi-Regimes eingesetzt und ihnen tatkräftig geholfen haben, als das der damals herrschenden Ideologie widersprach und existentielle Gefahren mit sich brachte. Sie war in dieser Haltung einig mit ihrem Mann, der nach Hitlers Machtübernahme aus einer Stellung im mecklenburgischen Justizministerium entfernt und zunächst als Richter an das kleinste mecklenburgische Amtsgericht Warin, dann 1935 an das Amtsgericht in Anklam und 1940 nach Greifswald versetzt wurde. Beide Lachmunds waren während der Weimarer Republik Mitglieder demokratischer Parteien gewesen. Aus ihrer Gegnerschaft zum Hitler-Faschismus machten sie nie einen Hehl. Den in jahrelanger Haßpropaganda verordneten Antisemitismus und Antikommunismus ignorierten sie standhaft. So hielt Margarethe Lachmund die Freundschaft mit der kommunistischen Widerstandskämpferin Greta Kuckhoff, die sie bei einem Quäkerkongreß in London kennengelernt hatte, unbeirrt aufrecht. Nachdem Greta und Adam Kuckhoff, die Verbindung zur kommunistischen Widerstandsgruppe Rote Kapelle hatten, im September 1942 verhaftet wurden, kümmerte sich Margarethe Lachmund um Gretas Eltern und ihren damals vierjährigen Sohn. Ein Freundschaftsdienst, der für Margarethe Lachmund immer gefährlicher wurde, als die Kuckhoffs wegen ihrer kommunistischen Widerstandstätigkeit angeklagt wurden. Adam Kuckhoff wurde zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Gegen Greta Kuckhoff erging zunächst auch ein Todesurteil, das in einem erneuten Verfahren zu zehn Jahren Zuchthaus ermäßigt wurde. Auch das jüdische Ehepaar Silbermann konnte auf Margarethe Lachmunds unverbrüchliche Freundschaft und Hilfe vertrauen, als der Judenhaß zur Staatsdoktrin wurde. Die Verbindung zu dem Anklamer Grundstücksmakler Erich Silbermann und dessen Frau, der Klavierlehrerin Cläre Silbermann, hielt Margarethe Lachmund noch nach deren Deportation nach Polen aufrecht. Sie schickte ihnen Geld und Päckchen mit Lebensmitteln und anderen notwendig gebrauchten Sachen. Die Silbermanns wurden bei jüdischen polnischen Familien zwangsweise einquartiert, die selbst äußerst beengt und ärmlich wohnten. Erschütternde Briefe von Cläre Silbermann an Frau Lachmund sind erhalten geblieben und in dem Buch »Lebenszeichen aus Piaski« veröffentlicht. Eine letzte verzweifelte Karte aus dem Arbeitslager Trawniki, Kreis Lublin, erreichte Margarethe Lachmund im Frühsommer 1943. Cläre Silbermann schrieb, daß sie von ihrem Mann getrennt worden sei und keine Post mehr von Frau Lachmund bekommen habe. Das war ihr letztes Lebenszeichen. Cläre und Erich Silbermann wurden von den Nazischergen in einem Vernichtungslager ermordet. Es soll noch etwa 500 an Margarethe Lachmund gerichtete Briefe geben, die wohl in Schwerin archiviert sind und hoffentlich irgendwann ebenfalls veröffentlicht werden. Nach Erscheinen des Buches »Lebenszeichen aus Piaski« schrieb Margarethe Lachmund an die Mitherausgeberin Else Rosenfeld: »Den nicht jüdischen Menschen sollte das Buch gewiß nicht erspart bleiben, und darum scheint es mir so wichtig, daß das Buch an die offiziellen Stellen in Anklam und Greifswald geht, wo in jener schrecklichen erbarmungslosen kalten Winternacht den jüdischen Menschen die Verschleppung angetan wurde, die den Anfang des entsetzlichen letzten Leidensweges bedeutete. Als ich die Briefe damals vor jetzt 25 Jahren und mehr bekam, verstand ich sie in ihrer ganzen Tragweite nicht. Da ich die konkrete Situation mir einfach nicht vorstellen konnte, bevor das Kriegsende die ganze schreckliche Wahrheit enthüllte – wir waren den Krieg über ohne Radio –, verstand ich selbst das, was meine armen Freundinnen und andere mehr mir schrieben, nur halb. Nur instinktiv war eine tiefe Unruhe in mir, die immer wieder neuen Elan gab, nicht nachzulassen zu schreiben, zu senden, immer neue Wege zu finden, Schickenswertes aufzutreiben, andere zum Mithelfen anzuregen – instinktiv fühlte man sich in einem Wettlauf mit bösen Mächten, die man spürte – deren systematischen planmäßigen Vernichtungswillen man sich aber doch nicht entfernt vorstellen konnte. Es ist gut, daß das Buch da ist, um Zeugnis für diese mitleidlos ausgelieferten Menschen, ihre Würde, ihre Not, ihren Kampf für Selbsterhaltung nicht allein für sich, sondern für die anderen neben ihnen abzulegen, damit ihr Schicksal nicht einfach spurlos ausgelöscht, vergessen wird, als wären sie nicht gewesen.« Margarethe Lachmund pflegte schon während der Zeit der Naziherrschaft ihre internationalen Quäkerverbindungen und reiste mehrfach zu Kongressen ins Ausland: 1935 bis 1939 mehrmals nach Paris, 1936 nach London, 1937 in die USA. Sie prüfte dabei Auswanderungsmöglichkeiten für Juden und stellte Verbindungen für die Widerstandsgruppe Strassmann-Robinsohn her. Als im Mai 1945 der Krieg und die Naziherrschaft zu Ende gingen und die überlebenden antifaschistischen Widerstandskämpfer alle Schrecken und Ängste des faschistischen Staatsterrors hinter sich hatten, traf die Familie Lachmund ein schwerer Schicksalsschlag. Hans Lachmund wurde vom NKWD, dem sowjetischen Geheimdienst, verhaftet und beschuldigt, Verbindung mit der Gestapo gehabt zu haben. Margarethe Lachmund kämpfte, unterstützt von zahlreichen Antifaschisten, die Hans Lachmund als absolut integren Menschen kannten, fast zehn Jahre um die Rehabilitierung und Freilassung ihres Mannes, der in einem der höchst fragwürdigen Waldheimer Verfahren ohne Zeugen und Verteidiger zu 25 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Dem Urteil lag, wie ich aus Gesprächen mit Peter Lachmund weiß, ein Mißverständnis sowjetischer Offiziere zugrunde, denen sein Vater von der Verbindung zu Freimaurern in Paris erzählt hatte. Erst 1954 wurde Margarethe Lachmunds Gnadengesuch von der damaligen DDR-Regierung stattgegeben und Hans Lachmund freigelassen. Auch Hans Lachmund, dieser unabhängig denkende mutige Friedens- und Freiheitskämpfer, der sich die Zeit nahm, uns Jungen aus seinem Berufsleben als Jurist zu erzählen, und später seine Haftgenossen mit auswendig beherrschten Klassikertexten unterhalten konnte, hätte eine Gedenktafel verdient. Aber eher in Greifswald, wo er dazu beigetragen hat, daß die Stadt 1945 kampflos und unversehrt an die Rote Armee übergeben wurde, als die einst so schöne Stadt Anklam von Bomben, Granaten und Feuer zerstört wurde. Für die Lachmunds war das gegen Hans Lachmund verübte Justizunrecht eine unverdiente Belastung ihres Lebensschicksals, die aber nichts daran änderte, daß Hans und Margarethe Lachmund als Pazifisten, Sozialisten und Antifaschisten ungebrochen blieben. Ich bin froh und dankbar, daß hier mit der Gedenktafel für Margarethe Lachmund die Erinnerung an diese großartige Frau wachgehalten wird, auf die Anklam stolz sein kann.
Erschienen in Ossietzky 13/2015 |
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