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Andere Orte des kulturellen Welterbes, vor allem auf syrischem oder irakischem Gebiet, werden vermutlich folgen. Beginnend mit der Vernichtung der zweitausend Jahre alten Buddha-Statuen in Afghanistan durch Taliban-Kämpfer im Jahre 2001 sind in den letzten fünfzehn Jahren wahrscheinlich mehr bedeutende Kulturstätten des Mittleren Ostens vernichtet worden als in Jahrzehnten zuvor. Der ikonoklastische Furor der islamistischen Kämpfer von Irak bis Mali hat in unseren Medien zu einem Aufschrei des Entsetzens geführt, stärker als dies die Massenexekutionen durch IS, Al Schabab oder Boko Haram in ihrer alltäglichen Grausamkeit vermögen. Nur schwer vorstellbar scheint uns, daß genau diese Reaktion des sich so aufgeklärt gebenden Westens von den Kulturzerstörern vorausgesehen, ja herbeigesehnt worden ist. Es ist auch offensichtlich, daß sich die auf Youtube oder anderen Quellen einsehbaren Terrorvideos von Enthauptungen und Erschießungen als immer weniger erschreckend erweisen, weil die Wiederholung von Grausamkeiten nicht nur zur Abstumpfung der Täter, sondern auch zur Ermüdung der Voyeure führt. Sich Enthauptungsvideos als Mutprobe anzusehen, gehört mittlerweile zu den Partyritualen von Teenagern. Und der Ekel der älteren Generationen, die sich so etwas aus Reife und Würde nicht antun, gerät bei dem Wissen um die jederzeit abrufbare Existenz des Materials zu einer teilnahmslosen Erschöpfung vor der zur Schau gestellten Grausamkeit. Die Zerstörung antiker Stätten jedoch ist in ihrer Signalwirkung viel eindringlicher. Sie richtet sich an das westliche Bürgertum und seine kulturellen Affekte. Das Schleifen von Nimrud ist nicht nur, wie oft behauptet, Ausdruck der terroristischen Machttrunkenheit des IS, sondern tatsächlich auch religiös motiviertes Schlachtwerk an den als Götzenanbetung empfundenen Bausymbolen, deren Trümmer man dazu noch gewinnbringend auf dem internationalen Kunstmarkt verscherbeln kann. Daß Gruppierungen, die sich selbst als revolutionär deklarieren, in der menschlichen Geschichte schon immer derart radikal gehandelt haben, wird im abendländischen Sturm der Entrüstung gern vergessen. Der durch kulturellen Vandalismus erzeugte akademische Abscheu des Westens gehört zum Kalkül geltungssüchtiger IS-Abgrenzung vom angeblich ungläubigen Rest der Welt. Die nichtmuslimische Welt, so der IS, würde die Religion des Islam ablehnen, den muslimischen Glauben verachten oder sich zu seiner Vernichtung zusammenschließen. Und wirklich: »Das sind doch alles Mörder, diese Araber, das werden die Moslems auch mit uns veranstalten, und von diesen irren Kameltreibern holen wir uns immer mehr ins Land, bis sie auch hier alles kurz und klein schlagen …« Das sind Zitate, die – nein – diesmal nicht aus Tröglitz oder Dresden stammen, sondern aus dem südfranzösischen Avignon, wo ich vor einigen Wochen zufällig Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Boule spielenden Sympathisanten des Front National und offensichtlich andersdenkenden Mitspielern wurde. Hier, in Avignon, der weltbekannten und ihrer Brücke wegen besungenen Stadt, hat der Front National von Marine Le Pen zwar am 29. März nicht viele Stimmen geholt, aber der Anteil der xenophoben Wählergemeinschaft um die blonde Rechtspolitikerin ist im Departement Vaucluse, zu dem die Stadt gehört, dennoch bedenklich hoch. Dabei regt uns gerade dieser französische Ort mit seinem im 14. Jahrhundert erbauten Papstpalast, der wie die Stätten Ninive und Nimrud zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, anschaulich zum Nachdenken über die gerade stattgefundenen Verwüstungen und Bilderstürmereien im Irak an. Beim Betreten der riesigen Anlage, die durch antiklerikal aufgebrachte Volksmassen während der französischen Revolution von jeglicher mittelalterlicher Sakralkunst »befreit« wurde, muß der Besucher zunächst einen Metalldetektor durchschreiten. Wenn dann ein Piepsen ertönt, folgt eine nachbessernde Leibesvisitation. Man fragt sich, was es in dem Gebäude denn noch zu zerbomben gäbe, wo doch schon alle mittelalterlichen Fresken – es müssen ganze Quadratkilometer gewesen sein – von den jakobinischen Bilderstürmern akribisch mit Meißeln und Putzschabern beseitigt wurden. Statt der Altarszenen, Marienbilder oder Darstellungen des Kalvarienberges, statt der mit Blattgold ausgelegten Kuppeldecken und der kunstvoll gearbeiteten Holztäfelungen und Balkenkonstruktionen sind in schöner Symmetrie die Schabespuren der Revolutionäre erhalten, die der Dekoration des mittelalterlichen Papstsitzes den Garaus machten. Und später, einige Jahre nach der Revolution, begann hier – wie auch in vielen anderen Palästen, Klöstern oder Kirchen Frankreichs – die säkulare Umnutzung: Der ehemalige Papstpalast von Avignon wurde zu einer Kaserne, in dem manch kleine Kapelle als Latrine und die Konvent-Säle als Pferdeställe eine neue Bestimmung fanden. Was heute berührt, ist zunächst die Bewunderung für die Baukunst mittelalterlicher Handwerker, für das Lebenswerk anonymer Bauarbeiter und schuftender Leibeigener, die den enormen Palast – die größte europäische Baustelle des 14. Jahrhunderts – mit ihrer Körperkraft, in ihrer lebensalltäglichen Abhängigkeit von Lohn und Brot ermöglichten. Die fehlenden Fresken jedoch, der zerstörte Glamour vergoldeten päpstlichen Selbstverständnisses: Sie regen in ihrer Abwesenheit, ihrem bloßen Erahnen auf der uns hinterlassenen Kahlheit zerschundener Wände zum Nachdenken darüber an, welche Verfehlungen und Anmaßungen der Kurie zu solch einer eliminierenden Wut des bilderstürmenden Volkes geführt haben mögen. Daneben besteht durchaus auch die Trauer über den unwiederbringlichen Verlust mittelalterlicher Sakralkunst, über die Endgültigkeit der kulturellen Barbarei. Doch bleibt uns im 21. Jahrhundert immerhin die bildliche Dokumentation zerstörter Kunst. Das war bei den spanischen Konquistadoren noch nicht der Fall, welche die unvergleichliche Goldschmiedekunst, die figürlichen Darstellungen der südamerikanischen Hochkulturen in schnöde Goldbarren umgossen, die dann auf Karavellen nach Europa verschifft wurden. Und auch in Avignon wurden nur wenige Fresken vor ihrer Zerstörung abgezeichnet. Bilderstürmerei – und sei sie noch so barbarisch – war und ist immer auch ein kultureller Akt, der sich antikulturell geriert, um ein historisches Achtungszeichen zu setzen. Im schlechtesten Falle wird – wie bei den Zerstörungen des IS – so gründlich atomisiert, daß jede restaurative Wiederherstellung auf immer unmöglich scheint. Bei weniger dramatischen Zerstörungen kann eine Restauration gelingen, wenngleich auch hier entscheidend ist, welcher nachträgliche Wert oder welche Deutung dem Zerstörten zugeschrieben wird. Letzteres trifft sowohl auf religiöse wie nichtreligiöse Bauten zu. Hier ermöglichen beispielsweise ideologische Motive und die Finanzmacht herrschender politischer Klassen gleich beides, Dekonstruktion und Rekonstruktion, was sich in Berlin anhand des Abrisses eines sozialistischen Repräsentationsbaues wie dem Palast der Republik bei nachfolgender Wiedererrichtung eines monarchistischen Prunkbaus, dem Stadtschloß, nachweisen läßt. Doch angesichts des sich in Syrien und im Irak vollziehenden kulturellen Vandalismus sieht die westliche Welt in der islamistischen Vernichtungswut einen religiösen Fanatismus, der schlicht unvereinbar mit westlichen Wertevorstellungen scheint. Der stille Grundkonsens vieler »Abendländer« in Deutschland, Frankreich und anderswo, den durch westliche Militärpolitik mitverschuldeten Kriegsopfern hier vor unseren Haustüren kein würdiges Asyl zu bereiten, sie als in tiefe Not geratene Nachbarn nicht begrüßen zu wollen, dieses Einvernehmen wächst. Die mit Planierraupen geschundenen und zerstörten Abbilder sumerischer Tempelwächter geraten viele tausend Jahre nach ihrer Errichtung nun an das Ende ihrer Existenz. Doch was ist mit den Millionen Toten, mit den vom Krieg Bedrohten, mit den Flüchtlingen? Das westliche Bedauern über die Sprengung jahrtausendealter Kulturgüter gleicht vergossenen Krokodilstränen, wenn es nicht das Eingeständnis darüber miteinschließt, die geschundenen Erben der Altertumsstätten durch falsche Allianzen in den Krieg getrieben, sie dem Fanatismus ausgeliefert zu haben. Und nun besitzen wir nicht einmal die menschliche Größe, sie in unseren kulturell so hochentwickelten Staaten willkommen zu heißen.
Erschienen in Ossietzky 12/2015 |
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