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Mit diesen Notstandsgesetzen für den Alltag wurden unter anderem Polizei- und Geheimdienst-Befugnisse erheblich ausgeweitet, betriebliche Sicherheitsüberprüfungen von ArbeitnehmerInnen auf »lebens- und verteidigungswichtige Einrichtungen« ausgedehnt, »biometrische Daten« auf Funkchips in Ausweispapieren erfaßt. Insgesamt hat sich damit ein Trend fortgesetzt, der schon länger zu beobachten ist: die Erhöhung der Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft. Im Laufe dieser Entwicklung zum Sicherheits- und Präventionsstaat etablierte sich auch eine neue »Sicherheitsarchitektur«, also eine Strukturveränderung im Staatsgefüge – die notwendig sei, so heißt es von Seiten der herrschenden Sicherheitspolitik, um die neuen Bedrohungen bewältigen zu können. Es geht dabei im Kern um zwei Strukturveränderungen mit entgrenzender Wirkung, die man auch als Tabubrüche bezeichnen kann, weil sie nicht zuletzt vor dem Hintergrund deutscher Geschichte von Bedeutung sind: Vernetzung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten Zum einen erleben wir eine zunehmende Vernetzung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten – entgegen dem verfassungskräftigen Gebot der Trennung dieser beiden Sicherheitsorgane. Aktuellere Stichworte für diese Entwicklung sind: gemeinsame Antiterrordateien, gemeinsame Lagezentren zur Terrorabwehr, Nationales Cyber-Abwehrzentrum zur Abwehr elektronischer Angriffe auf kritische IT-Infrastrukturen – hier kooperieren das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst, der Verfassungsschutz, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie die Bundespolizei, das Zollkriminalamt und nicht zuletzt auch die Bundeswehr; geheimpolizeilicher Umbau des Bundeskriminalamtes mit geheimen Präventivbefugnissen zur Gefahrenabwehr, darunter großer Lausch- und Spähangriff, präventive Rasterfahndung, Einsatz von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten, heimliche Telekommunikationsüberwachung sowie Online-Durchsuchung von Computern mit Trojaner-Software et cetera. Bundeswehreinsatz im Inland Zum anderen konstatieren wir seit Jahren nicht nur eine Militarisierung der Außenpolitik, sondern auch der »Inneren Sicherheit«, in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Inland steht, der längst schon begonnen hat und der nach publik gewordenen Plänen noch ausgeweitet und verfassungsrechtlich abgesichert werden soll. Damit wird ebenfalls ein Tabu gebrochen, denn hierzulande sind Polizei und Militär schon aus historischen Gründen sowie nach der Verfassung strikt zu trennen. Längst gibt es Ansätze, die bereits verfassungswidrig zu einer Interventionsarmee umgebaute Bundeswehr auch in Friedenszeiten flexibler im Innern des Landes einsetzen zu können – und zwar nicht nur im Verteidigungs- oder Katastrophenfall, nicht nur im erklärten Notstandsfall nach den umstrittenen Notstandsgesetzen, sondern regulär als innenpolitisches Machtinstrument und nationale Sicherheitsreserve im Inland. Die verfassungsmäßige Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit, zwischen Militär und Polizei wird dabei mehr und mehr aufgebrochen. An solche heimischen Militäreinsätze der Bundeswehr konnte sich die Bevölkerung schon mal gewöhnen – bereits die Fußball-WM 2006, besonders der G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und der NATO-Gipfel 2009 oder 2015 der G-7-Gipfel im oberbayerischen Schloß Elmau dien(t)en dafür als Exerzierfeld, um diesem Paradigmenwechsel jede Anstößigkeit zu nehmen. Bereits nach der Notstandsverfassung von 1968 ist der Einsatz des Militärs im Landesinnern nicht mehr schlechthin unzulässig (Art. 87a Abs. 4 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 den Bundeswehreinsatz im Innern zur Gefahrenabwehr im Ausnahmefall auch unterhalb der Notstandsschwelle für grundgesetzkonform erklärt: Militäreinsätze im Inland sollen danach in »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes«, etwa im Fall von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen erlaubt sein, selbst mit militärischen Kampfmitteln (BVerfGE 2 PBvU 1/1 vom 3.07.2012). Die Solidaritätsklausel in Art. 222 des Lissabon-Vertrags erlaubt den Militäreinsatz bei Katastrophen, aber auch zur Terrorabwehr innerhalb der EU-Staaten. Legt man die weite EU-»Terrorismus«-Definition zugrunde, dann fallen neben urban violence selbst Streiks und Blockaden darunter, sobald diese kritische Infrastrukturen wie Versorgungs- und Telekommunikationseinrichtungen, Banken und Konzerne gefährden könnten. Als Katastrophe definieren die EU-Ausführungsbestimmungen »jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann«. Ab 2015 soll auf EU-Ebene in einem neuen, permanenten Lagezentrum eine regelmäßige »integrierte Gefahren- und Risikoabschätzung, die allen Gefahren Rechnung trägt« gemäß Art. 222 Abs. 4 Lissabon-Vertrag vorgenommen werden. Folgt man dem amtlichen Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums, dann soll der »Verteidigungsfall« nach Art. 87a GG per Definition vorverlagert werden, um ihn als sogenannten Quasi-Verteidigungsfall auch bei drohenden Terroranschlägen ausrufen zu können, die damit kriegerischen Angriffen von feindlichen Armeen gleichgesetzt würden. Militärischer Heimatschutz und Kriegsrecht also nicht nur zur Verteidigung deutscher oder europäischer Interessen am Hindukusch, sondern auch in Hindelang, im Sauerland oder Berlin. Soldaten sind jedoch keine Hilfspolizisten, sie sind nicht für zivil-polizeiliche Aufgaben ausgebildet, sondern zum Kriegführen und mit Kriegswaffen ausgerüstet; sie sind nicht dafür da, personelle Defizite bei der Polizei auszugleichen. Heimatschutz-Struktur eines »vernetzten Sicherheitsansatzes« Noch ein paar Worte zum Konzept der »Zivil-Militärischen Zusammenarbeit« (ZMZ) und zum Neuen »Heimatschutz«, der in den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 der Bundesregierung als »gesamtstaatliche Aufgabe« definiert wird. Dort heißt es: »Der Beitrag der Bundeswehr zum Heimatschutz umfaßt alle Fähigkeiten der Bundeswehr zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger auf deutschem Hoheitsgebiet.« Zu den Aufgaben gehört auch der »Schutz von lebenswichtiger Infrastruktur im Inland« – also von Versorgungsbetrieben, Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das Gemeinwesen und staatlichen Institutionen jeglicher Art, »bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden«. Mit dieser Schutzkonzeption könnten im Zweifel auch Streiks oder Blockaden gegen wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch sensible kommerzielle oder staatliche Einrichtungen militärisch bekämpft werden. Bundesweit gibt es 470 Landes- und Verbindungskommandos sowie ein »Kommando Streitkräftebasis«, das die zivil-militärische Zusammenarbeit von Bundeswehr, Polizei und Katastrophenschutzeinrichtungen koordiniert. Hinzu kommen das »Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr«, das Kommando Feldjäger sowie 30 »Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte« (RSUKr), die aus insgesamt etwa 3.000 Bundeswehr-Reservisten bestehen und die für den »regionalen Heimatschutz« und als »Sicherheitsvorsorge« vorgehalten werden. Die RSUKr bilden das Rückgrat der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Sie können im Ernstfall mobilisiert, bewaffnet und eingesetzt werden – unter anderem zur Sicherung militärischer Anlagen, im Rahmen der Amtshilfe zur militärischen Unterstützung der Polizei zum Schutz ziviler Objekte und »kritischer Infrastruktur« oder beim »Inneren Notstand«, also bei der Bekämpfung innerer Unruhen oder »organisierter und militärischer bewaffneter Aufständischer« (als Nachfolgeorganisation der 2007 aufgelösten Heimatschutzbataillone). Mit dieser Heimatschutz-Infrastruktur eines »vernetzten Sicherheitsansatzes«, die das ganze Land überzieht, rückt die Bundeswehr erheblich näher an die zivilen Behörden, auch an die Polizei, heran, wird allmählich zu einer »militärischen Parallelorganisation zum zivilen Krisenmanagement«. Mit der Folge einer schleichenden Militarisierung des landesweiten Katastrophenschutzes, die sich dann auch auf weitere zivile Strukturen wie Rettungsdienste, Krankenhäuser oder Forschungseinrichtungen auswirken wird. Das bedeutet: Katastrophenschutz und Aufstandsbekämpfung im Innern rücken immer näher. Präventiver Sicherheitsstaat im alltäglichen Ausnahmezustand? Unverkennbar ist die Tendenz und Absicht dieser Art von Sicherheitspolitik und des Antiterrorkampfes: das Instrumentarium des Ausnahmezustands zu normalisieren und zu schärfen. Doch wem nützt das? Sollen Staat und Gesellschaft mit diesem forcierten Umbau und der Anhäufung von Kontroll- und Repressionsinstrumenten auf Vorrat womöglich nicht nur vor Gewaltkriminalität und Terror geschützt werden? Wappnen sich Staat und EU in Wirklichkeit – gerade in Zeiten verschärfter ökonomisch-sozialer Krisen – vorsorglich auch militärisch gegen mögliche soziale Unruhen und Aufstände hierzulande und in Europa, einem Europa, das sozial gespalten ist und dem noch eine weit tiefere soziale Spaltung droht? Insofern ist der EU-Gerechtigkeitsindex 2014 der Bertelsmann-Stiftung noch zurückhaltend formuliert (»Europa droht soziale Spaltung«); die Forscher warnen vor immer größeren Unterschieden zwischen Nord und Süd, Zündstoff für den sozialen Zusammenhalt innerhalb der EU. Der Befund dürfte unstrittig sein und wird untermauert durch die Mitteilung des statistischen Bundesamtes (2014), daß im Jahr 2013 jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen war, das sind über 20 Prozent der Bevölkerung und über 16 Millionen Menschen. Bereits seit dem Jahr 2005 gibt es eine Art geheimer Brennpunkte-Atlanten der Bundesregierung (intern: »Atlas der Wut«) mit explosiven Gebieten und Stadtteilen in der Bundesrepublik, in denen sich so viel Wut und Haß aufgestaut hat, daß in absehbarer Zeit Krawalle, soziale Unruhen, Revolten und Gewalteruptionen erwartet werden. Diese brisanten, mehrfach jährlich aktualisierten Listen, werden gespeist aus »Erkenntnissen« von Polizei, Staatsschutz, »Verfassungsschutz« und anderen staatlichen Institutionen, die beim Bundesinnenministerium gebündelt und ausgewertet werden, um auf diese Weise potentielle »Unruhe- und Brandherde« ausfindig zu machen. Und Bundeswehrsoldaten trainieren tatsächlich schon mal Aufstandsbekämpfung, also die Niederschlagung sozialer Unruhen und Aufstände, sowie militärische Interventionen realitätsnah in urbanen Räumen – so etwa in Israel den Häuser- und Tunnelkampf oder demnächst den »Kampf im urbanen Gelände« im Gefechtsübungszentrum des Heeres (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt, wo eine sechs Quadratkilometer große und über 100 Millionen Euro teure militärische Übungsstadt namens »Schnöggersburg« aufgebaut wird. Hier in der Heide entsteht ein »urbaner Ballungsraum« mit 520 Gebäuden, einer Altstadt und Hochhaussiedlung, einem Regierungs- und einem Elendsviertel, mit Industriegebiet und Bahnstation, Flughafen, Autobahnausfahrten und Straßen, U-Bahn-Tunnel und Kanalisation, mit Kirche und Moschee, Stadion und Stadtpark mit Fluß und Brücken – also eine typische und komplexe Infrastruktur moderner europäischer Metropolen, dort, wo sich soziale Konfliktlagen zusammenballen und entladen können. Nach der Fertigstellung der Kampfstadt »Schnöggersburg« unter Regie des Rüstungskonzerns Rheinmetall (Defence) werden Bundeswehr-, EU- sowie NATO-Kampfverbände gemeinsam den (»asymmetrischen«) Krieg in der Stadt proben – für weitere Auslandseinsätze, aber auch für Bürgerkriegs- und Militäreinsätze in europäischen Städten. Apropos: Ausnahmezustand Ursprünglicher Sinn eines durch ein autoritäres Regime verhängten Ausnahmezustands war es, für kurze Zeit das Recht förmlich zu suspendieren, um nach erfolgter Krisenbewältigung wieder zur alten Ordnung zurückzukehren. Der moderne – also präventive – Ausnahmezustand verliert demgegenüber nach und nach seinen repressiven Ausnahmecharakter und wird zum präventiv-rechtlichen Normalzustand der langfristigen Krisenverhütung und -bewältigung; er erweist sich für den modernen Staat (oder auch für Staatengemeinschaften) immer mehr als »herrschendes Paradigma des Regierens«, wie der italienische Philosoph Giorgio Agamben konstatiert. Dieser Beitrag ist die stark gekürzte und aktualisierte Version eines Referates, das der Autor während der Antikriegskonferenz im Oktober 2014 in Berlin gehalten hat. Der vollständige Text findet sich in dem von Rudolph Bauer herausgegebenen Buch »Kriege im 21. Jahrhundert« (Sonnenbergverlag, 380 Seiten, 19,80 €, s. dazu auch Ossietzky 10/2015). Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte; seit 2007 stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen sowie Mitglied der staatlichen Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft; Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren des Bundestages und von Landtagen. Der Mitherausgeber der Zweiwochenschrift Ossietzky ist Autor zahlreicher Bücher zu Demokratie-, Bürger- und Menschenrechtsthemen.
Erschienen in Ossietzky 12/2015 |
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