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Ob Krankenpflegerinnen, Reinigungskräfte, Verkäuferinnen oder eben Erzieherinnen – in den vergangenen Jahren haben ausgerechnet diese traditionell eher gewerkschaftsfernen Beschäftigtengruppen (Frauen!) beeindruckende Arbeitskämpfe geführt. Viele Beispiele zeigen, daß Frauen sich für ihre Interessen einsetzen, an Selbstbewußtsein gewonnen haben und sich nicht mehr alles gefallen lassen. WissenschaftlerInnen nennen das eine »Feminisierung des Arbeitskampfes«. Und dennoch wird der Streik der Lokführer viel dramatischer wahrgenommen, als die gleichzeitig stattfindenden Kitastreiks. Warum? Der Grund liegt auf der Hand. Die Mobilität ist für den kapitalistischen Kreislauf unabdingbar. Piloten oder Lokführer im Ausstand signalisieren: Hier kommt der Verwertungsprozeß des Kapitals ins Stocken. Während aus der Kita keine Rendite zu ziehen ist, und man sich beim angeblich »höchsten Gut«, den Kindern, immer sicher sein kann: Irgendjemand wird sich schon um sie kümmern, wenn nicht die bezahlten Erzieherinnen, dann eben Eltern, Großeltern oder andere. So versuchen die Kindergärtnerinnen, den Wert ihrer Tätigkeit ins Bewußtsein zu heben, und sind gleichzeitig auf unentgeltliche Arbeit angewiesen, damit sie guten Gewissens streiken können. Die Gewerkschaften ver.di, dbb und GEW haben zum unbefristeten ErzieherInnen-Streik aufgerufen. Am Montag, den 18. Mai, gingen sie in die zweite Woche. Ende April hatten sie eine Urabstimmung eingeleitet, nachdem sie die Tarifverhandlungen für die rund 240.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsbereich in der fünften Verhandlungsrunde für gescheitert erklärt hatten. Bis zur zweiten Streikwoche lag kein verhandlungsfähiges Angebot vor. Durchschnittlich zehn Prozent mehr Geld sollen die neuen Eingruppierungsregelungen den Beschäftigen bringen. »Richtig was wert«, das ist ihr Motto, denn sie sind mehr als nur die »netten Kindergartentanten«. Sollten sich die Gewerkschaften ver.di und GEW damit durchsetzen, würde sich indirekt auch die Lage der mehr als eine halbe Million Beschäftigten in freigemeinnützigen und kirchlichen Einrichtungen verbessern. Drei Viertel von ihnen sind Frauen. Allein in Nordrhein-Westfalen hatten in der ersten Streikwoche rund 10.000 Beschäftigte der Sozial- und Erziehungsdienste die Arbeit ausgesetzt und Aktionen gestartet. Unter anderem wollen sie, daß die eingesparten Gehälter der Streikenden in Höhe von rund 350.000 Euro pro Woche für Investitionen in den Kitas bereitgestellt werden. Dafür sammeln sie Unterschriften. Die Elternbeiträge hingegen – so der Wille der Streikenden – sollen zurückerstattet werden. Es ist gut, daß vor allem Frauen sich zur Wehr setzen. Sie berufen sich auf die immer weiter steigenden Anforderungen in den Sozial- und Erziehungsberufen und die qualitativ hochwertige Ausbildung für eine anspruchsvolle, gesellschaftlich wichtige Tätigkeit, für die sie unzureichend entlohnt und mit niedrigem sozialen Prestige und geringen Aufstiegschancen versehen sind. Die Beschäftigten in diesen Berufen kämpfen dafür, daß ihre Kompetenzen und ihre Arbeit wertgeschätzt und sie entsprechend bezahlt werden. Denn im Vergleich zu typischen Männerberufen in der Industrie ist die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und behinderten Menschen deutlich unterbezahlt. Vollzeitbeschäftigung ist in Kitas ohnehin die große Ausnahme: Lediglich 40 Prozent der Erzieherinnen haben einen Vollzeitvertrag, im Osten nur 25 Prozent. Jede fünfte Beschäftigte (Ost wie West) hat einen befristeten Vertrag. Von ihrem Teilzeitgehalt können die Erzieherinnen kaum eigenständig leben – von der Aussicht auf eine auskömmliche Rente ganz zu schweigen. Auch BundesfreiwilligendienstlerInnen, Praktikantinnen und Ehrenamtliche arbeiten in Kitas. Es geht also auch um einen Streik von Prekären. Eine plausible Rechtfertigung dafür, daß weiblich geprägte Berufe wie der der Erzieherin aktuell so viel schlechter entlohnt werden als typische Männerjobs mit ähnlich langen Ausbildungen und ähnlich hohen Anforderungen, in denen vor allem Männer arbeiten, gibt es nicht. Nehmen wir beispielsweise industrielle Berufe, die mit dem Herstellen von Kraftwagen und Kraftwagenteilen zusammenhängen und bei denen der Männeranteil an den Arbeitenden 2009 bei 88,8 Prozent lag. Vollzeitbeschäftigte Fachkräfte wurden dort 2009 durchschnittlich mit einem Bruttomonatsverdienst von 3.187 Euro entlohnt. Zur gleichen Zeit verdiente eine vollzeitarbeitende Erzieherin (Frauenanteil 95,4 Prozent) 2.527 Euro brutto, das sind 660 Euro weniger (nach: Uta Meyer-Gräwe: Genderanalyse 2011). Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sagte bei seiner 1.-Mai-Ansprache in Essen: »Es sind pädagogische Facharbeiterinnen, die nicht einsehen, warum sie für den gekonnten Umgang mit Kindern viel weniger verdienen als Facharbeiter für den gekonnten Umgang mit Maschinen«. Der Vergleich besagt selbstverständlich nicht, daß die Männer weniger verdienen sollen, sondern daß die Frauen ebensoviel wert sind. Die Unterbewertung dieser Berufe hat historische Gründe, hat aber auch mit der familistischen Ideologie zu tun, wonach Kinder, Alte und Kranke eigentlich in der Familie versorgt werden sollen – natürlich von den Frauen und natürlich ohne Geld. Mit Begriffen wie »Fremdbetreuung«, ins »Heim abschieben« und vielen anderen geht immer auch eine Abwertung der Arbeit, die außerhalb der Familie stattfindet, einher. Kitaausbau, kleinere Gruppen in den Kitas und eine bessere Entlohnung der Erzieherinnen gehören zusammen. Denn schon jetzt gibt es mancherorts einen eklatanten Fachkräftemangel. Und der Personalbedarf wird noch drastisch zunehmen. Jede dritte Erzieherin ist über 60. Wenn diese Fachkräfte in Rente gehen, wird es zu wenige Frauen – und noch viel weniger Männer – geben, die unter den jetzigen Bedingungen bereit sind, den Job zu machen. Einkommen und Arbeitsbedingungen müssen sich daher deutlich verbessern – auch und gerade im Interesse der Kinder und Eltern. Langfristig ist niemandem ein Gefallen getan, wenn die sozialpädagogischen Mitarbeiter und Erzieherinnen nicht adäquat ausgebildet, gewürdigt und bezahlt werden. Auch die Eltern wissen, daß eine Aufwertung des Berufes wichtig ist und daß bessere Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Sozialarbeiter auch ihren Kindern zugute kommen, deshalb haben sie guten Grund, den Streik zu unterstützen. Der unbefristete Streik wurde mit einer Reihe von Aktionen in verschiedenen Städten auch nach den Pfingstferien fortgesetzt. Am 28. Mai fanden Großkundgebungen mit etwa 50.000 TeilnehmerInnen in Frankfurt, Hamburg und anderen Städten statt. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zeigte sich daraufhin gesprächsbereit. Die Gewerkschaft ver.di kam ihnen zuvor und hat sie für den 1. Juni 2015 nach Berlin zu Verhandlungen auf Spitzenebene eingeladen. Der Streik wird andauern, bis ein annehmbares Ergebnis erreicht worden ist.
Erschienen in Ossietzky 12/2015 |
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