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Auch zahlreiche andere literarische Bezüge – etwa aus dem »Ackermann in Böhmen« (Johannes von Saaz), »Fleurs du Mal« (Baudelaire). Odysseus’ Aufnahme durch den Schweinehirten Eumaios oder Tennessee Williams und andere Kulturreize einschließlich der Piaf füllen das kleine Spiel um Liebe und ihre Möglichkeiten, um Frau und Mann und Mann vom ordinärsten Bezug bis in hohe Verinnerlichung einigermaßen auf. Es handelt von etwas, was alle betrifft, dem keiner sich entziehen kann und was keiner je wirklich erfüllt. Und das von Philip Tiedemann inszenierte Stück eben auch nicht, so schön auch der Spielraum ist, die Kostüme (Florence von Gerkan) und das Licht es sind. Rüdiger Vogler und Krista Birkner spielten und sprachen den Text zu Sinn. (Frau Birkner war eingesprungen, um so verdienstvoller diese Sinngabe. Laut Besetzungsplan spielte sonst Sylvie Rohrer, die erkrankt war.) Belassen wir es mit einem Satz von Handke: »Das Spiel muß weitergehen.« Ebenfalls nur 90 Minuten Shakespeares »Sturm«, ja, was geschah da? Ein ganz großes Stück der Weltdramatik, sonst abendfüllend – nun als Kammerspiel? Aber was für eins. Der weltenttäuschte Staatsmann Prospero findet oder besser: erfindet auf der Insel seinen neuen Staat mit solchen köstlichen »Beamten-Adaptionen« wie dem Charmegeist Ariel (Joachim Meyerhoff) und Polterpatron Caliban (Maria Happel), die zaubersinnigerweise auch Miranda verliebt machen. Was hat dieser Shakespeare mit seinem letzten Spiel nur für ein Tummelstück der Weltverliebtheit gemacht, zumal wenn die dunklen Untertöne grommeln und bald vor dem vorwaltenden Liebesgeist des Inselwaldes verstummen müssen! Es ist Spielvorlage wie aufs feinste ausgeregeltes Musterstück, man kann Theaterwunder daraus über die Bühne schweben lassen. Und hier hat man es getan – zwei Frauen haben da gestrickt und gewebt, dabei wirkte etliches noch wie unfertig, noch in der Probe: Barbara Frey und Bettina Meyer; die Geister gaben die feinen Muster, Johann Adam Oest stand dazwischen wie eine biblische Schöpferfigur, Leben gebend und es nehmend, verzeihend, sich selbst verzehrend, vergehend, doch erfüllt. War das schön, dieses Gastspiel des Wiener Burgtheaters! Don Juan (oder Giovanni) ist quasi der südlich-europäische Bruder von Johann Fausten – beide haben Dramatiker und Literaten, vor allem auch Komponisten bis zum Range Mozarts oder Richard Strauss‘ hinreichend beschäftigt. Ödön von Horváth ist einer davon: Seit 1934 befaßte er sich mit dem Stoff, sein erster Entwurf heißt noch »Ein Don Juan unserer Zeit«, zwei Jahre später ist es der »Don Juan kommt aus dem Krieg«, uraufgeführt 1952 in Wien, in einer Freien Bühne namens »Theater der Courage«. Auf der letzten Seite des komfortablen BE-Programmheftes sah man einen im Schneefall stehenden, leicht gekrümmten, barhäuptig und im Pelz verhüllten Mann, den könnte man für einen nördlichen Herrn Johannes alias Juan alias Giovanni im Schnee halten – es ist aber Samuel Finzi, der so aussieht wie ein Berliner Don. So gut ist er als sein Schauspieler, daß man meint, er sei es. Mehr als ein halbes Jahrhundert nun hatte es gedauert, bis er in Berlin angekommen ist, im BE; allerdings nicht mehr im Repertoire. Don Juan oder Don Giovanni, ein aus dem Spanischen kommender Dauerstoff, der Dramatiker und Librettisten-Komponisten ohne Zahl über die Jahrhunderte beschäftigte – von Tirso de Molina über Molière bis da Ponte, von Théophile Gautier bis Edmond Rostand, von Max Frisch bis Anouilh – wie auf der andern Seite die Faustgestalt – vom Volksbuch über Goethe bis zu Thomas Mann und Hanns Eisler. Nur die Grundrichtungen sind – bei allen Überschneidungen – anders: Dort die Erfüllung in Weib und Liebe, da Erkenntnis und Weltgestaltung. Einfach gesagt: Dieser aus dem ersten Weltkrieg kommende Horváthsche Don Juan will Frauen, viele Frauen: In diesem Schauspiel ging es um 35, die man kaum zum Kennenlernen kennenlernt, so schnell verflüchtigten sie sich wieder. Da kann sich kaum eine Schauspielerin entfalten; der Zuschauer hatte Mühe, wenigstens die bekanntesten zu erkennen, gar zu merken. Luc Bondys Meisterhand-Regie entfaltete über das Menschen- und Leiberchaos eine ästhetische Ordnung, die den Abend erträglich machte – das Stück hat nämlich seine Abscheulichkeiten. Optisch konnten keine besseren als Karl-Ernst Herrmann und Moidele Bickel das ihre tun, als gute Kunst vorzuzeigen – über schäbiges Leben. Erwähnenswert noch ein Brecht-Fund. »Hans im Glück« des Einundzwanzigjährigen. BB hatte das Stück selbst für mißlungen gehalten, doch das erklären Philologen und Theatermenschen fast immer angesichts solcher Funde und freuen sich doch, wenn es von Platon, Leonardo, Goethe, Heine ist – drucken oder spielen es, ärgern sich über den Mißerfolg und legen es zum übrigen. Warum soll es Brecht und der Brechtkirche anders ergehen? Man hat das »Hänschen« inzwischen etliche Male im Pavillon aufgeführt, quasi als Sommertheater. Bittschön, der so gedankentief-meisterliche In-Bronze-Sitzer wurde sicher nicht zu tief erschreckt von seiner Jugend-Hanselei!
Erschienen in Ossietzky 11/2015 |
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