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Die Haltung der Bundesregierung ist seit Jahrzehnten unverändert: »50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren«, erklärte sie schon vor 20 Jahren, und so behauptet sie es heute noch. Die neue griechische Regierung sieht das bekanntlich – zu Recht – ganz anders. Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, hat die Linksfraktion nun drei Anträge in den Bundestag eingebracht, in denen gefordert wird, die deutsche Reparationspflicht anzuerkennen (Drucksachen 18/4753, 18/4754 und 18/4755). Nach Berechnungen von Karl Heinz Roth hat Griechenland von den Reparationen, die Ende der 1940er Jahre aus der Wirtschaftsleistung der Westzonen entnommen worden sind, rund 187 Millionen Dollar erhalten. Völkerrechtlich vereinbart waren im Pariser Reparationsabkommen von 1946 allerdings 7,1 Milliarden Dollar. Mithin fehlen also 6,9 Milliarden Dollar – wobei die Summe sich auf den Wert von 1946 bezieht. Berücksichtigt man den seither erfolgten Kaufkraftverlust, ist man heute bei einem dreistelligen Milliardenbetrag. Unstrittig ist auch, daß NS-Opfer fast vollständig leer ausgegangen sind. 1961 sicherte die Bundesregierung den griechischen Opfern »nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen« 115 Millionen D-Mark zu – Menschen, die aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt wurden. Das Abkommen betraf hingegen nicht jene Hunderttausende, die wegen der deutschen Raubwirtschaft verhungerten, nicht die zehntausenden erschossenen Geiseln und auch nicht die Zehntausenden, die in den sogenannten Märtyrerdörfern von Wehrmacht, SS und Polizeiverbänden massakriert worden sind. Denn diese wurden ja völlig ungeachtet ihres »rassischen« oder politischen Hintergrundes ermordet. Ein »allgemeines Kriegsfolgenschicksal« attestierten ihnen deutsche Behörden später, für das es nun mal keine Entschädigung gebe. Seit den 1950er Jahren, als die Reparationsentnahmen aus der Wirtschaft beendet wurden, drückt sich die Bundesregierung davor, ihre beträchtliche Restschuld zu begleichen. 1953 erreichte sie bei der Londoner Schuldenkonferenz ein Moratorium: Bis zum Abschluß eines Friedensvertrages brauche sie nichts zu zahlen, wurde vereinbart. Als 1990 der Anschluß der DDR anstand, setzte die Bundesregierung alles daran, den Begriff »Friedensvertrag« zu vermeiden. Aus diesem Grund wurde der technische Begriff »Zwei-plus-Vier-Vertrag« gewählt – ein Taschenspielertrick, denn der Vertrag klärt alle Fragen, die sonst ein Friedensvertrag klärt – bis auf die Reparationen. Die werden darin mit keinem Wort erwähnt, und deswegen (!) behauptet die Bundesregierung, die Reparationsfrage habe sich erledigt. Vertreten kann man diese gewagte Interpretation allenfalls in Hinsicht auf die unmittelbaren Unterzeichnerstaaten, also die »großen« Siegermächte und deren mögliche Reparationsforderungen. Aber was hat Griechenland damit zu tun? Es habe, so argumentiert die Bundesregierung, den Zwei-plus-Vier-Vertrag dadurch gebilligt, daß es ihn in der KSZE-Charta von Paris 1990 »zur Kenntnis genommen« habe. Griechenland hat das allerdings nie so gesehen, und hat das auch zur Kenntnis gebracht. Schon 1990 forderten griechische Staatsvertreter, nun müsse über Reparationen diskutiert werden. 1995 folgte eine offizielle Note des griechischen Botschafters – die Bundesregierung erwiderte wie bekannt: 50 Jahre nach dem Ende des Krieges habe die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Das heißt: Erst hat Deutschland von 1953 bis 1990 ein Moratorium genossen, und als dieses auslief, hat es behauptet, die Geschichte sei jetzt schon so lange her, daß die Angelegenheit quasi verjährt sei. Das ist keine juristische Feststellung, sondern bloß eine politische Behauptung. Die Bundesregierung argumentiert so, weil sie es sich gegenüber dem kleinen und wirtschaftlich schwachen Griechenland erlauben kann. Gegenüber den Opfern der deutschen Verbrechen ist das unglaublich zynisch. Sie haben versucht, vor Gericht ihr Recht durchzusetzen, aber vergeblich: Die Distomo-Kläger bekamen zwar von griechischen Gerichten 27 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen, aber Deutschland erkennt das Urteil nicht an. Und als die Kläger begannen, ihre Forderungen durch Zwangsvollstreckungen umzusetzen – unter anderem durch Beschlagnahme deutschen Staatseigentums auch in Italien – ging die Bundesregierung vor den Internationalen Gerichtshof. Der urteilte: Ausländische Gerichte hätten Entschädigungsklagen von Opfern der Wehrmacht nicht anzunehmen, das sei ein Verstoß gegen die »Staatenimmunität«. Die Anregung des Gerichts, die Bundesregierung möge trotzdem eine Lösung für bislang nicht entschädigte Opfergruppen finden, hat diese kaltlächelnd ausgeschlagen. So bleibt nur der Weg offizieller Reparationsverhandlungen. Größtes Problem dabei: Es ist kein Rechtsweg vorgesehen. Das Völkerrecht kennt Reparationszahlungen nur als Folge vertraglicher Vereinbarungen. Wenn sich Deutschland solchen verweigert, hängen die griechischen Forderungen quasi in der Luft. Deswegen hat die Linksfraktion die erwähnten Anträge eingebracht, die nicht nur Anerkenntnis deutscher Reparationspflichten beinhalten, sondern auch die Forderung nach fairen Verhandlungen. Eine Mehrheit dafür ist derzeit freilich nicht in Sicht. Um trotzdem etwas zu erreichen, braucht es politischen Druck, der aus der deutschen Gesellschaft kommen muß.
Erschienen in Ossietzky 11/2015 |
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