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Allerdings schaffen es Meldungen über das Heer benachteiligter Kinder und ihrer Eltern, die soziale Spaltung der Länder oder die Mahnungen von Sozialverbänden, daß mit »Hartz IV« kein menschenwürdiges Leben zu führen ist, kaum auf die Titelseite der Zeitungen. Der Skandal wird zum Normalzustand. Arm sein in einem reichen Land: Das bedeutet nicht Verhungern, aber Ausschluß und Demütigung. Nach der statistischen Festlegung gilt ein Mensch als »relativ arm«, wenn er oder sie weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens zum Leben hat. Median bedeutet: Die Hälfte der einbezogenen Personen liegt mit dem Einkommen unterhalb des Medians, die Hälfte darüber. Wie hoch das Einkommen aber tatsächlich ist, fließt nicht in die Berechnung ein. In der Tat führt der Median in die Irre, aber ganz anders als Frau Nahles suggerieren will. Warum wird der Armutsdefinition der Medianwert zugrunde gelegt und nicht das arithmetische Mittel? Weil dann der Mittelwert durch sehr hohe Einkünfte auf ein Mehrfaches des Medianwerts ansteigen würde – und damit auch die Armutsquote. Die Ungleichverteilung der Einkommen in Deutschland könnte drastisch augenfällig werden, und sie könnte vielleicht sogar die Gerechtigkeitsfrage radikaler aufwerfen. Zum besseren Verständnis ein kleines Beispiel: Zehn Kinder vergleichen ihr Taschengeld, um die Eltern zu einer Erhöhung überreden zu können. Acht von ihnen bekommen je fünf Euro, der Sohn eines Unternehmers aber 100 und die Erbin eines Vermögens sogar 500. Wird jetzt der Median der Überzeugungsarbeit zugrunde gelegt, haben die Kinder schlechte Karten: Der liegt exakt bei fünf Euro. Deshalb kommt ein schlaues Kind auf die Idee, das arithmetische Mittel heranzuziehen. Dafür zählen sie die Einzelbeträge zusammen und teilen durch die Zahl der Personen. Und siehe da, mit dem Ergebnis von 64 Euro (8 mal 5, dazu 100 plus 500, die Summe geteilt durch zehn) läßt sich schon viel besser argumentieren! Auch mit dem Median wird die Einkommensungleichheit in der Bevölkerung unterschätzt. Welche Relation der höchsten und der untersten Einkommen wäre gerecht, und wie groß sind die Unterschiede tatsächlich? Diese Frage hat die OECD auch für Deutschland untersucht, bezogen auf die Vorstände der 30 Dax-Konzerne im Vergleich zu Hilfsarbeitern der jeweiligen Konzerne. Als gerechtfertigt wurde von den Befragten das 6,3fache bezeichnet. Sie vermuteten, daß der Unterschied in Wirklichkeit das 16,7fache beträgt. Doch tatsächlich beziehen die Vorstände das 147fache Einkommen! In den USA ist das Verhältnis der höchsten und der niedrigsten Einkommen noch krasser. Dort »leistet« ein Vorstand – gemessen an seinem Einkommen – 354 mal so viel wie der einfache Arbeiter. Nach den Studien von Wilkinson und Pickett (»Gleichheit ist Glück«, Übs. von Edgar Peinelt) wundert man sich nicht, daß die radikale Ungleichheit fatale Folgen hat. Bei einer Reihe gesundheitlicher und sozialer Schäden und Krankheiten haben die USA unter allen untersuchten Nationen eine fragwürdige Führungsrolle inne, etwa bei Kindersterblichkeit, Zahl der Morde und der Drogentoten, Aids-Rate, Herz- und Lungenkrankheiten. Die Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland ist aber noch viel größer als die der Einkommen. Leider gibt es dazu nur wenig verläßliche Schätzungen. Nach einer Statistik der FAZ auf der Grundlage von Zahlen der Credit Suisse explodiert der Durchschnittswert der Vermögen auf das Vierfache, wenn statt des Medians das arithmetische Mittel zugrunde gelegt wird, nämlich von 33 auf 135 Tausend Euro je Erwachsenen. Aber überrascht und empört vernehmen BürgerInnen: In allen Berechnungen ließ man die Multimillionäre und Milliardäre unberücksichtigt! Der Grund: Von ihnen bekommt man keine Daten. Und: Eine genaue Bestandsaufnahme könnte vernichtend ausfallen für Deutschland, das nach dem Grundgesetz ein sozialer Rechtsstaat zu sein hat, in dem der Staat für gerechten Ausgleich sorgen muß. In einem Land, in dem über alles Statistik geführt wird, wo alle BürgerInnen überwacht werden, sie freiwillig oder gezwungen auch höchst Privates über sich preisgeben müssen und gerade die Armen sich quasi nackt ausziehen müssen – in diesem Land wird großzügig darauf verzichtet, über die Vermögensverhältnisse von Oligarchen auch nur das Geringste in Erfahrung zu bringen (das heißt die Grundgesamtheit der statistischen Berechnungen ist verfälscht). Als gingen ihr Reichtum und ihre Macht das Volk nichts an. Finanzämter können da keine Abhilfe schaffen: keine Vermögensteuer – keine Daten. Verdienstvoll genug, wenn das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf der Grundlage von Schätzungen des Vermögens der Superreichen wenigstens plausible Annäherungswerte vorgelegt hat. Danach ergab sich ein ganz neues Bild: Das Gesamtvermögen der Deutschen stieg plötzlich um fast 50 Prozent, nämlich von 6,3 auf 9,3 Billionen Euro – ganz ohne Wirtschaftswunder; die Autoren hatten lediglich auf Basis der Forbes-Liste auch Multimillionäre und Milliardäre mit deren geschätzten Vermögen in die Berechnungen einbezogen. Selbstverständlich betraf der plötzliche Anstieg nur die Spitzengruppe und nicht alle Deutschen. Das reichste Tausendstel der Bevölkerung kann etwa 15 Prozent des Gesamtvermögens genießen (und vererben) – Schätzungen gingen bislang von fünf Prozent aus. Und während vorher noch 18 Prozent des Vermögens dem reichsten Hundertstel zugerechnet wurden, sind es nach der neuen Schätz-Rechnung ein Drittel! »Gegenüber den Schätzungen allein auf der Grundlage von Befragungen verdreifacht sich damit der Vermögensanteil der Top-0,1-Prozent im Jahr 2012«, stellt das DIW fest. Das »Vermögen der Deutschen« ist bei einer kleinen Minderheit konzentriert. Die unabhängige Hilfsorganisation Oxfam hatte schon 2014 vorgerechnet: Das Vermögen der reichsten fünf Personen in Deutschland entspricht etwa dem Gesamtvermögen von 40 Prozent der Bevölkerung. Ein Prozent der Reichen kann sich über ein Vermögen freuen, das sich 80 Prozent der übrigen Menschen in Deutschland teilen müssen. Mit dem Vermögen dieses reichsten einen Prozents könnte man die Staatsschulden bezahlen, für den Bundeshaushalt (2014) aufkommen und auch noch ein Jahr lang die gesetzliche Krankenversicherung vollständig finanzieren. Auf der anderen Seite der sozialen Mauer, die Deutschland trennt, leben nach dem Statistischen Bundesamt ein Drittel aller Menschen, die nicht in der Lage sind, unerwartet anfallende Ausgaben aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Knapp jeder Fünfte, etwa 16 Millionen Menschen, sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. »Das Land mit den meisten Millionären und Milliardären in Europa ist zugleich das Land mit der größten Zahl an Armen«, faßt das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung in seiner Wirtschaftsbilanz 2014/2015 zusammen. Sollte der Armutsstatistik nicht statt des Medians besser das arithmetische Mittel als Berechnungsbasis dienen? Möchte man in der Bild-Zeitung die Schlagzeile lesen: »Skandal! 48 Prozent der Deutschen sind arm!« (Die Zahl ist willkürlich angenommen, es gibt keine Berechnung nach dem arithmetischen Mittel.) Das könnte Aufschluß über die wahren Besitzverhältnisse geben. Aber es wäre zugleich sinnlos, die Armutsquote auf dem Papier auf ein Mehrfaches ansteigen zu lassen. Wichtig sind eine ehrliche Berichterstattung und eine gerechte Verteilung. Korrekte Angaben über die krasse Ungleichheit könnten die politisch-wirtschaftliche Elite dazu zwingen, Umverteilung und soziale Gerechtigkeit durch ein neues Steuersystem herzustellen, das nach den Prinzipien des sozialen Rechtsstaates ohnehin verpflichtend vorgeschrieben ist. Ohne diese Maßnahmen werden Ungleichheit, Entsolidarisierung und ein Prozeß von Verrohung und Menschen-Verwertung fortschreiten.
Erschienen in Ossietzky 10/2015 |
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