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Erste Bemühungen um Deutschlands Weiterverwendung als kriegführende antikommunistische Macht gab es bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Am 15. April 1945 tagte im US-Außenministerium eine Gruppe von Experten, darunter der spätere Außenminister John F. Dulles. Es wurde protokolliert: »Die Gruppe beschloß, … Deutschland wieder aufzubauen und dann zu remilitarisieren. Deutschland sollte zu einem ›Bollwerk‹ gegen Rußland gemacht werden.« Und Winston Churchill wies noch vor dem 8. Mai 1945 seinen Oberkommandierenden in Deutschland an, die Deutschen unter Waffen und in Bereitschaft für den gemeinsamen Kampf gegen die Russen zu halten. Aber die Fortsetzung des Krieges war weder der Mehrheit der internationalen noch der deutschen Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Politik der Anti-Hitler-Koalition war nicht so einfach umzuwerfen. So kam es zum Potsdamer Abkommen und zum Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg mit völkerrechtlich verbindlichen Aussagen gegen ein Wiederauferstehen des Militarismus und Nazismus in Deutschland. Im Jahr 1948 formulierte dann der Stab des neugegründeten Sicherheitsrates der USA als offizielle US-Politik: »Die Niederlage der Kräfte des von den Sowjets angeführten Weltkommunismus ist für die Sicherheit der Vereinigten Staaten von vitaler Bedeutung.« In jener Zeit wurde der deutsche Terror- und Geheimdienst »Fremde Heere Ost« als »Organisation Gehlen« der U.S. Army dienstbar gemacht. 1956 wurde daraus der Bundesnachrichtendienst (BND). Die Kriegsverbrecher, die beim BND unterkamen, wurden nie bestraft. In der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik wird der Koreakrieg als der auslösende Faktor für die Wiederbewaffnung hingestellt. Der Konflikt ab Juni 1950 bot den willkommenen Anlaß, die Gefahr einer sowjetischen Aggression mit der ganzen Manipulationsmacht der Massenmedien in den schlimmsten Farben auszumalen. Mit Hilfe von Massenhysterie, aber auch offenen Repressionsmaßnahmen gegen die Friedensbewegung konnte auch die sozialdemokratische Opposition in Deutschland abgewürgt werden. Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, vor allem der Jugend, lehnte den Wehrbeitrag ab. Die Ohne-uns-Bewegung (1950–1956), die Paulskirchenbewegung von 1955 und die Beschlüsse der Gewerkschaften zeugten davon. Dennoch verhielten sich die Bundestagsparteien so, als müsse man um diese Menschen als Wähler nicht ringen, als müsse man allenfalls Repressionen gegen allzu beharrliche Kriegsgegner anwenden. Die große Niederlage der SPD, die Adenauer ihr 1957 bei der Bundestagswahl zufügte, machte es ja scheinbar auch deutlich: Eine Antikriegsmehrheit wurde keine Bundestagsmehrheit. So kümmerte man sich um die Vertriebenen und die ehemaligen Soldaten, um sie als Wähler zu gewinnen. Der wehrunwilligen Jugend wurde mit dem restriktiv umgesetzten Kriegsdienstverweigerungsrecht jahrelang eine hohe Hürde errichtet. Die Änderung des Grundgesetzes und die Einführung von Wehrpflicht, Bewaffnung und NATO-Mitgliedschaft war das vordringliche Ziel der CDU/CSU und FDP in der ersten Hälfte der 1950er Jahre. Sie brachte noch einmal einen Aufschwung der Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten, Christen und Pazifisten in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung. Dies war vor allem eine Aufgabe der jungen Generation. Die Jugendverbände Freie Deutsche Jugend, Die Falken, Naturfreundejugend, Jungsozialisten und Gewerkschaftsjugend kämpften in vorderster Reihe und oftmals gemeinsam. Um die Bewegung zu zerschlagen, setzte Konrad Adenauer das Verbot von FDJ und KPD durch. Der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung wurde dadurch entscheidend geschwächt. Über zehntausend politische Urteile gegen Kommunistinnen und Kommunisten und andere Mitglieder der Friedensbewegung signalisierten Abschreckung, hinzu kamen 250.000 bis 500.000 Ermittlungsverfahren, Berufsverbote, Entlassungen aus den Betrieben. Die Zeit der Remilitarisierung hat die politische Kultur der Bundesrepublik bis heute beschädigt. Das Ringen um Frieden mit dem Osten, um die Einheit Deutschlands unter blockfreien, neutralen Vorzeichen, der Antikapitalismus und die Ablehnung der Wiederherstellung alter Besitz- und Machtverhältnisse waren Straftatbestände, soweit diese Forderungen von Kommunisten und des Kommunismus Verdächtigen erhoben wurden. Zum Teil wurden lange Haftstrafen ausgesprochen – so in den Fällen Jupp Angenfort, Karl Schabrod, Robert Steigerwald und Herbert Wils. Es gab keine Haftverschonung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haft, wenn die Häftlinge nicht ihrer Gesinnung abschworen. Philipp Müller, ein FDJ-Mitglied, wurde bei einer Massendemonstration der Friedensbewegung in Essen im Mai 1952 von der Polizei rücklings – aber es war ja »Notwehr« – erschossen. Häftlinge wurden in den Selbstmord getrieben oder starben wie der Bergmann Karl Jungmann nach unterlassener Hilfeleistung im Februar 1956 im Bochumer Gefängnis. Kommunistischen antifaschistischen Widerstandskämpfern wurde die Entschädigungsrente aberkannt, ja, sie wurden zur Rückzahlung der bereits erlangten Zahlungen gezwungen. Martha Hadinsky aus Mülheim, Häftling unter Hitler und unter Adenauer, nahm sich das Leben, als sie 1963 die Rückzahlungsforderung in Händen hielt. Mit dem Umschwenken der SPD und dem Verbot der KPD wurde die Friedensbewegung zwangsläufig partei-unabhängiger. Sie hatte keine Vertretung mehr im Bundestag. Ein historisches Dokument ist der Aufruf der Atomwaffengegner zum ersten deutschen Ostermarsch von 1960, der von Hamburg und Bremen zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne führte: »Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren. In den Konzentrationslagern … kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der Versuchsexplosionen und der atomaren Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit Vernichtung.« Später gelang ein Durchbruch an oppositioneller Medienarbeit. Daß sich die veröffentlichte Meinung der Friedensbewegung zuwendet, ist mitentscheidend für ihren Erfolg. Anfang der 80er Jahre in der Mittelstreckenraketendebatte gelang es, die Mehrheit in der öffentlichen Meinung zur Mehrheit auch in der veröffentlichten Meinung zu machen. Heute haben wir zum Beispiel in Sachen Auslandseinsätze wieder eine Mehrheitsmeinung, aber sie setzt sich nicht durch, die veröffentlichte Meinung ist entscheidend. Hat sich der Kampf gelohnt? Kanzlerin Angela Merkel führte zum Lobe des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts aus, sie sei zutiefst davon überzeugt, daß es richtig ist, »daß wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben«, denn: »Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, daß all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der NATO-Doppelbeschluß, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt.« Merkels Äußerung macht ihr zynisches Verhältnis zur Meinung der Bevölkerung deutlich. Demokratie? Keine Spur. Solchen PolitikerInnen geht es letztlich nur darum, die Macht zu erringen und ihre Politik durchzusetzen. Opposition ist daher unerläßlich. Keine wirkliche Veränderung im Lande ergab sich ohne Kampf – und zwar nicht nur im Parlament. Neben den bestehenden Bewegungen muß auch die Friedensbewegung wieder einen Aufschwung erleben. Diesen gilt es gegen alle Widerstände durchzusetzen. Widerstände gegen die Friedensbewegung und Kampagnen für deutsche Kriegsbeteiligung äußern sich derzeit in einer fast gleichgerichteten Mediendarstellung zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Bedeutende Schritte zur Hochrüstung, wie die Schaffung des Luftkampfzentrums der NATO in Kalkar/Uedem, von wo der Krieg im Osten gesteuert werden soll, kommen in der Berichterstattung nicht vor (s. Ossietzky 7/12). Ebenfalls ohne Darstellung in den Konzernmedien bleiben die Vorbereitungen für den Einsatz der Bundeswehr im Innern, die Bedrohung des Streikrechts durch sie, die Vorbereitung hunderttausender Reservisten auf den Kampf an der »Heimatfront«, und das Bereithalten der Notstandgesetze (s. Ossietzky 1/11). Derzeit werden Propagandaoffensiven zur Militarisierung besonders der Jugend gestartet. Begründet werden sie wie zu Zeiten des Korea-Krieges, nun aber mit dem Blick auf die »russische Aggressionspolitik«. Die Wehrpflicht ist zwar momentan ausgesetzt, aber ein Druck bleibt: Die Bundeswehr bietet Ausbildungsplätze an; wer nicht zugreift, bleibt auf der Strecke – oft mit dauerhafter »Hartz 4«-Perspektive.
Erschienen in Ossietzky 10/2015 |
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