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Stets wurde nach kurzen Betroffenheitsfloskeln wieder zur Tagesordnung übergegangen. Und die heißt Abschottung der Festung Europa, Abwehr und Abschreckung von Flüchtlingen und Schutzsuchenden. So wurde im vergangenen Jahr die Seenotrettungsoperation »Mare Nostrum« der EU kurzerhand aus angeblichem Geldmangel eingestellt – und damit der Tod von Hunderten Flüchtlingen billigend in Kauf genommen. Wenige Tage vor der erneuten Schiffskatastrophe rechtfertigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière dies noch einmal mit der Begründung, »Mare Nostrum« habe als Beihilfe für das Schlepperunwesen fungiert. Die Abschottungspolitik der EU, die legale Wege für die Einreise von Flüchtlingen versperrt, ist die Ursache dafür, daß Flüchtlinge sich trotz des damit verbundenen tödlichen Risikos auf die Schiffe begeben. Notwendig wäre ein radikaler Wandel in der Flüchtlingspolitik. Flüchtlinge, die Asyl in Europa beantragen wollen, brauchen gefahrlose Möglichkeiten der Einreise. Doch die EU steuert genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie rüstet zum regelrechten Krieg gegen Flüchtlinge. Man solle sich von der gegen Piraterie gerichteten Militäroperation »Atalanta« vor Somalia zu solchen Operationen gegen Schleuser im Mittelmeer inspirieren lassen, heißt es in einem Zehn-Punkte-Programm der EU. Flüchtlingsboote sollen also bereits an der afrikanischen Küste von der Kriegsmarine zerstört werden. So etwas auch noch als Verteidigungsoperation auszugeben, zeigt das Ausmaß der inhumanen Hysterie der EU in bezug auf Flüchtlinge. Natürlich gibt es Schleuser, die für Unsummen Menschen auf seeuntauglichen Kuttern ohne ausreichend Wasser und Nahrung in See stechen lassen. Doch ihnen jetzt die Schuld an den Schiffskatastrophen zu geben, entspricht der Haltet-den-Dieb-Logik. Denn die EU hat mit ihrer Abschottungspolitik selbst die Geschäftsgrundlage für die skrupellosen Geschäftemacher geschaffen. Und solange EU- und NATO-Staaten Länder wie Libyen und Syrien bombardieren oder durch von ihnen hochgerüstete dschihadistische Söldner terrorisieren lassen, werden nicht nur neue Fluchtgründe geschaffen, sondern auch neue Ausgangsbasen für kriminelle Schleusernetzwerke. So wie jeder Kriegskurs nach außen mit einem Anziehen der Repressionsspirale im Inneren begleitet wird, findet auch der Krieg der EU gegen Flüchtlinge seine Entsprechung in der deutschen Innenpolitik. Bei einem derzeit debattierten und im Juni zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur »Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung« handelt es sich um die mit Abstand schärfsten Einschnitte in das Aufenthaltsrecht seit der faktischen Abschaffung des grundgesetzlich garantierten Asylrechts 1993. Kritiker wie Flüchtlingsaktivisten und die Linksfraktion sprechen von einem regelrechten Flüchtlingsinhaftierungsgesetz. Zwar enthält das neue Gesetz einige wenige Verbesserungen für langjährig geduldete Menschen, die nun eine gesicherte Bleibeperspektive erhalten sollen. Doch diese Verbesserungen betreffen nur einen kleinen Teil der Geduldeten. Denn die Voraussetzung ist, daß sie neben Sprachkenntnissen auch vorweisen können, daß sie ihren Lebensunterhalt überwiegend selber sichern. Aber nach jahrelangen Arbeitsverboten ist dies vielen einfach nicht möglich. Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht die schnelle und konsequente Ausweisung und Rückführung von Geflüchteten, deren Asylanträge als »offensichtlich unbegründet« eingestuft werden oder die über ein »sicheres Drittland« eingereist sind. Die Abschiebehaft soll derart massiv ausgebaut werden, daß sie praktisch jeden Flüchtling treffen kann. Schon wenn ein Asylsuchender einen Schleuser bezahlt hat, kann dies zu Abschiebehaft führen. Doch ohne Schleuser könnten Flüchtlinge den gefährlichen Weg über das Mittelmeer meist gar nicht erst nehmen. Ein weiterer Grund für Abschiebehaft soll darin bestehen, daß ein Flüchtling keinen Paß besitzt oder er über einen anderen EU-Staat nach Deutschland gekommen ist – was zumindest auf dem Landweg für Flüchtlinge gar nicht zu vermeiden ist. Abgelehnte Asylsuchende sollen künftig mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt werden, selbst wenn sie freiwillig ausgereist sind. Im Klartext: Flüchtlinge sollen dafür bestraft werden, daß sie ihr zumindest noch im Grundgesetz vermerktes Recht in Anspruch genommen und um Asyl ersucht haben. Die Leidtragenden für diese repressive Maßnahme werden vor allem Roma aus den Balkanstaaten sein, denen dann neben der Möglichkeit zur legalen Einwanderung auch kurzfristige Aufenthalte, wie der Besuch von Verwandten in der EU, versperrt bleiben. Union, SPD und selbst ein Großteil der Grünen verkaufen die geplanten Änderungen im Asylrecht aufgrund der Verbesserungen für einen Teil der »Geduldeten« als »Kompromiß«. Neu ist das nicht: Als »Asylkompromiß« verkauften die damalige schwarz-gelbe Regierung und die SPD-Opposition auch 1993 die faktische Abschaffung des grundgesetzlich garantierten Asylrechts. Vorausgegangen war eine jahrelange mediale Hetze gegen eine angebliche Asylantenflut, begleitet von neofaschistischen Anschlägen auf Flüchtlinge und Migranten. Heute hetzt die rassistische Pegida-Bewegung in Dresden und anderen Städten gegen Zuwanderung und angebliche Überfremdung. Seit dem Auftreten von Pegida hat sich die Zahl von Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte verdreifacht. Zu den Pegida-Kernforderungen gehören schnellere und härtere Abschiebungen. Genau diese Forderungen hat sich die Regierungskoalition mit ihrem Gesetzentwurf zu eigen gemacht. Aktivisten des Bündnisses für bedingungsloses Bleiberecht, die zum Auftakt einer Aktionswoche gegen die geplante Asylrechtsverschärfung im April vorübergehend das Willy-Brandt-Haus in Berlin besetzten, wiesen auf die Doppelmoral vieler SPD-Abgeordneter hin: »Es kann nicht sein, daß man sich in einem selbstgefälligen Antifaschismus von den ›Nazis auf der Straße‹ distanziert, um dann deren Forderungen als Gesetz im Parlament durchzusetzen.«
Erschienen in Ossietzky 10/2015 |
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