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Nach dem Krieg
Wolfgang Bittner
Als der Krieg zu Ende war,
sahen die Leute anders aus,
mein Vater ging an Krücken
und Mutter stand in der Hinterküche
des Siedlungshauses, in dem wir
zwei Dachzimmer bewohnten,
und wusch Wäsche.
Zweimal täglich gab es Prügel
(vom Vater und von den Nachbarskindern),
mittags Erbswurstsuppe,
ausgekochte Kartoffelschalen,
manchmal Knochenbrühe, die ich
in einem Kochtopf vom Schlachter holte.
Vor der Tür riefen die Einheimischen
»Rucksackgesindel«,
denn mit einem Rucksack waren wir
auf dem Dach eines Zuges davongekommen,
bis ich den Keuchhusten überstanden hatte,
vergingen Monate.
Alles war jetzt anders.
Daß wir den Krieg verloren hatten,
konnte mein Vater nicht verstehen,
die Krücken neben sich,
saß er in der Küche auf der Bank,
hörte Radio oder versuchte
etwas Bahnbrechendes zu erfinden.
Manchmal bastelte er:
ein Auto, einen Flitzebogen, eine Zwille,
einmal einen ganzen Bauernhof
aus Sperrholz;
manchmal erzählte er:
von früher, von seinen Ferien beim Onkel,
der Uhrmacher war,
von Wanderfahrten
oder von seinen Eltern,
meinen Großeltern,
die ich nicht mehr kannte.
Wenn Besuch kam,
ging es um Stoßtrupps und
Fronteinsätze in Rußland und Frankreich,
auch um die Gefangenschaft
oder die Heimat.
Montags humpelte er zum Arbeitsamt,
mittwochs zur Nachbehandlung,
sonnabends tippte er im Toto nach System,
das war die große Hoffnung.
Von KZs hatte er nie gehört,
sagte er,
war alles in Ordnung,
was Adolf erzählte,
der größte Feldherr aller Zeiten,
dessen Andenken
Amis, Tommys und andere Kanaken,
sagte er,
jetzt in den Dreck zogen.
Nicht mal offen seine Meinung
durfte man sagen,
soweit war es mit uns plötzlich gekommen.
Dann klagte der Hausbesitzer uns raus
und wir zogen ins Barackenlager
am Stadtrand,
wo wir zehn Jahre wohnen blieben,
bis die Hochkonjunktur
auch für uns etwas abwarf.
Das waren eine größere Wohnung,
ein Fernsehapparat,
später noch Kühlschrank und Auto.
Nicht dieses Gedicht, aber viele andere poetische Denkanstöße finden sich in Wolfgang Bittners im September 2014 erschienenen Band »Südlich von mir«, herausgegeben von Florian Voß im Allitera Verlag (Lyrikedition 2000, 113 Seiten, 12,50 €).
Erschienen in Ossietzky 9/2015
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