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Ich wußte noch nichts vom Schicksal meines Cousins Jerry, der als Rekrut der U.S. Army und jüdischer Kriegsgefangener nach der Ardennenschlacht noch kurz vor Schluß beim Tunnelbau im thüringischen Berga zu Tode getrieben worden war. Die Rückzugs- und Vormarschlinien der Soldaten mit dem roten Stern hatte ich seit 1941 täglich im Atlas verfolgt, mit größter Angst vor Moskau oder Stalingrad, mit steigender Hoffnung wieder westwärts über den Dnjepr, den Bug und die Oder. Bewundert hatte ich die Tito-PartisanInnen, die WiderstandskämpferInnen in Frankreich, in Griechenland und, von Verstecken in Kellern und Dachböden aus agierend, in Prag, Amsterdam – oder auch in Berlin und Hamburg. Begeistert sangen wir die Lieder von Ernst Busch. Und für die eigenen Landsleute, die an den Stränden der Normandie, beim Überqueren des Rheins und weiter bis Torgau kämpften und starben, empfand ich Hochachtung. Am 8. Mai wurde in New York immens gefeiert, am lautesten und fröhlichsten am Times Square. Gefeiert wurde aber noch nicht das Kriegsende, sondern der VE-Day – der Victory in Europe Day! In Deutschland wird oft vergessen, daß es noch nötig war, Japan zu schlagen. Von einer Inselkette zur nächsten kämpften sich die alliierten Truppen vor, gekämpft wurde auf den Philippinen, dann auf Okinawa. Das bedeutete, daß ich noch eingezogen werden konnte – doch durch die Tapferkeit und Opfer anderer ist mir das erspart geblieben. Bereits einige Tage vor dem VE-Day waren Vertreter aus fünfzig Ländern in San Francisco zu abschließenden Verhandlungen zusammengekommen, um – aus den Fehlern des Völkerbunds lernend – eine neue Organisation zu bilden: die Vereinten Nationen, die den Frieden für immer garantieren sollte. Ihr wichtiger Initiator, US-Präsident Franklin Roosevelt, war kurz zuvor, am 12. April, verstorben, doch sein Nachfolger, Harry Truman, erklärte begeistert, der UNO-Gründungstag werde als großer Tag in die Geschichte eingehen. Auch bei Linken, zu denen ich schon gehörte, war unterdessen die Hoffnung auf eine rosige Zukunft erblüht. Nach der anscheinend in freundlicher Atmosphäre verlaufenen Teheraner Konferenz von Roosevelt, Churchill und Stalin im Dezember 1943, wohl auch befördert durch die Auflösung der Kommunistischen Internationale (Komintern) im Mai 1943, prognostizierte Earl Browder, Vorsitzender der KP-USA, eine glückliche Zeit des friedlichen Wettbewerbs zwischen den Großmächten; die Morgans, Fords und Rockefellers würden einsehen, daß sie mit den Arbeitern ein gutes Einvernehmen herstellen müssen, Klassenkampf sei unnötig, ja veraltet. Es lebe Friede, Freude, Eierkuchen! Im Mai 1944 beschloß seine Partei, sich aufzulösen undstatt dessen die Communist Political Association zu gründen in der Hoffnung, sich mit dieser Vereinigung besser in den politischen Alltag der USA integrieren zu können. Diese Phase dauerte kaum ein Jahr: Im Juli 1945 wurde Browder abgesetzt. Unter William Z. Foster konstituierte sich wieder eine Partei mit kämpferischem Programm. Doch von den Mitgliederverlusten hat sich die KP nie wieder erholt. Noch vor Kriegsende zogen dunkle Wolken auf, trübten das sonnige Zukunftsbild. Ende 1944 landeten britische und königstreue griechische Soldaten in Athen. Zunächst beschossen, später vertrieben sie die von Kommunisten geführten Freiheitskämpfer, die den größten Beitrag geleistet hatten, die Nazis zu vertreiben. Gewiß, da führte noch der Roten-Hasser Winston Churchill Regie. Roosevelt, spekulierten viele, hätte sich als überzeugter Antifaschist anders verhalten. Wer kann das wissen? Mit seinem Nachfolger Truman jedenfalls begann der Marsch in Richtung Weltherrschaft. Auf die Konferenz von Jalta folgte die Potsdamer Konferenz. Churchill wurde in Großbritannien gerade abgewählt; ich kann mich entsinnen, wie ich von einer Labour-Regierung träumte, die eine andere politische Richtung einschlagen würde: Bei Labour stand noch der Sozialismus als Ziel im Programm. Doch irrte ich mich. Im Cecilienhof am Jungfernsee stand Clement Attlee fest hinter Truman, der Stalin die vorgesehene Richtung andeutete und stolz mit einer neuen Waffe prahlte, die einen Tag zuvor in der Wüste von New Mexico ausprobiert worden war. Drei Wochen später demonstrierte Truman, was das bedeutete – für mehr als 100.000 Männer, Frauen und Kinder in Hiroshima. Drei Tage danach wiederholte er die Lektion in Nagasaki, dabei starben 40.000 bis 80.000 Menschen. Eine Lehrstunde folgte der anderen. Mit dem gewichtigen Marshallplan, mit kleineren, klug eingesetzten Päckchen, den heißersehnten CARE-Paketen, mit dem Dollar und durch kabinettsessel-geile Manteldreher gelang es dem neuen US-Geheimdienst CIA, die Gewerkschaften in Frankreich und Italien zu spalten und WiderstandskämpferInnen aus den Regierungen zu drängen. Mit dem Faschisten Franco schmiedete man eine zunehmend engere Freundschaft, während in Deutschland eine »Bizone« die kommende Richtung anzeigte. Ich konnte so manches direkt durch junge Menschen aus anderen Ländern erfahren, denn im Sommer 1947 kam ich als Delegierter zum ersten Weltjugendfestival nach Prag. Vor allem erlebte ich nach dem Sieg über die Nazis ein wunderbares Gefühl jugendlicher Hoffnung, ob die Menschen nun aus Paris oder Venedig, Sofia oder Leningrad kamen. Ein starker Kampfgeist war unverkennbar zum Beispiel in Griechenland und Spanien; Kolonien kämpften um ihre Freiheit in Birma, Vietnam, Malaysia, Indonesien. Doch auch Probleme spürte ich, so die Spannungen zwischen zwei Gruppen aus Palästina (Israel gab es noch nicht): einer zionistischen Tanzgruppe und einem Chor kommunistischer Juden und Araber. Und hinter vorgehaltener Hand war schon von Streitigkeiten zwischen Tito und Stalin die Rede, es deuteten sich künftige Konflikte zwischen bisherigen Verbündeten an. Wir Amerikaner, zum Teil ebenfalls uneins, kehrten aus Prag in eine Heimat zurück, in der der Kalte Krieg etliche Herzen schon eisig getroffen hatte. Alltag und Leben der Linken, zuvorderst der Kommunisten, wurden immer härter. Alle Erinnerungen an das historische Treffen an der Elbbrücke bei Torgau sollten schnell ausgelöscht werden. Mit der Hilfe einer gewissenlosen, doch äußerst geschickten Presse gelang das weitgehend. Wohin das führte, wissen wir. Die riesige Macht und die unbarmherzig ausgenutzten – vermeidbaren oder unvermeidbaren – Fehler und Schwächen im Osten führten zum Sieg der Macht- und Geldelite, der Ein-Prozent-Schicht, die ihre Billionen hortet und die USA zum Welt-Hegemon machen sollte. Melancholisch blicke ich da auf die Träume von Mai 1945 zurück. Dann summt bei mir im Kopf Pete Seegers Lied vom Gras, das immer wieder durch den Beton hervorsprießt. Ich denke an Menschen im heutigen Griechenland und in Spanien, an Menschen in Lateinamerika und – trotz vieler Unterschiede – an Rußland, China, Indien, Brasilien und Südafrika, die sich nicht jedem Diktat beugen wollen. Und ich denke an meine ursprüngliche Heimat: an kämpferische ArbeiterInnen bei Walmart und McDonald's, an trotzige LehrerInnen in Chicago, an Kämpfe gegen mittelalterlich anmutende Abtreibungsgegner und an die Proteste mit hocherhobenen Händen und »Nicht schießen!«-Sprechchören nach den tödlichen Schüssen auf junge Schwarze. Und hier in meiner zweiten Heimat denke ich an Anti-Pegida-Demonstranten, an Blockupy – und an etliche Streikende. Siebzig Jahre! Da gab es viele Enttäuschungen. Doch trotz alledem, verdammt noch mal, sind wir immer noch da! 2014 erschien Victor Grossmans Autobiographie »Crossing the River. Vom Broadway zur Karl-Marx-Allee« im Verlag Wiljo Heinen, 676 Seiten, 24,80 €.
Erschienen in Ossietzky 9/2015 |
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