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Daß Bab dieses Buch nur mit »Grauen und unter Qualen« gelesen hat, kann ich gut verstehen – mir ging es bei der ersten Lektüre genauso. Lasse man sich auf Jahnns radikalen Materialismus ein, der dennoch durch und durch »metaphysischer Natur« sei, falls man ihn ernst nähme, so falle »unsere ganze Kulturwelt in einen Haufen greulich grinsender Verwesung« auseinander. Babs Aufschrei: »In welche Hölle negerhaften Aberglaubens ist das Christentum da geraten!« In diesem Abgrund wälze sich unter gräßlichen Qualen der Pastor »wie ein vom bösen Geist besessener Buschmann des tiefsten Afrika«. So etwas stand in der Weltbühne. Babs Wille: »Es wird aber Zeit, daß wir wieder aufbauende Bücher erhalten, heilende.« Im nächsten Heft der Weltbühne antwortete Oskar Loerke (fast vier Seiten) auf den Angriff. Er zitiert den »grandiosen Dialog« Ephraims mit der Erscheinung des Gekreuzigten. Er urteilt: »Man zerlegt den Elephanten, aber man sieht ihn nicht.« Jahnn wird das immer wieder zitieren. Bab immerhin hat sich mit dem Zerlegen des Elephanten viel Mühe gemacht, hat versucht, den Körper – des Elephanten – zu verstehen. Heute ist so etwas nicht nötig. Da braucht es keine Rezension mehr. Der Zeit mit dem ehemals besten Feuilleton der Republik genügt ein knapper »Bühnentest«, um den Elephanten zur Sau zu machen. Ulrich Greiner, der kundige Hans-Henny-Jahnn-Spezialist und ehemalige Feuilleton-Chef, war bei der Premiere anwesend, schreiben aber durfte ein Coolness-Redakteur ganz unaufgeregt über »Nutzwert« und »Small-Talk-Faktor« dieser »Alt-68-Folklore«. Die Uraufführung fand 1923 in Berlin statt, Bertolt Brecht und Arnolt Bronnen inszenierten – und kürzten stark. Heute sind die fünf Stunden im Hamburger Schauspielhaus anstrengend – einige verließen das Theater in der Pause –, aber es lohnt sich trotz der quälenden gottsuchenden oder gottverfluchenden Text-Unendlichkeiten. Merkwürdig: Auf der Bühne waren die Grausamkeiten und Exzesse leichter zu ertragen als beim Lesen. Alles beherrschend: die Drehbühne (Aleksandar Denić). Für ein Pfarrhaus sehr opulent, aber unübersichtlich, dunkel, weihevoll mit brennenden Kerzen. Jahnn gibt für den zweiten Teil die Sakristei des Doms vor. Keine Außenwelt, ein in sich geschlossener Kosmos – geschichtslos? Dieses Pastorenhaus, mit dunkel getäfelter Bibliothekswand, mit loderndem Kamin, Leuchtern – eine Drehung läßt die Orgel erscheinen, Teile der Potsdamer Garnisonkirche, eine Folterbank – über allem der Videobildschirm, auf dem ein Großteil der Aufführung stattfindet. Helfer mit Mikrofongalgen und Kamera tauchen wie schwarze Geister auch noch als Schattenspiel auf der Wand auf. Zu Beginn der alte Pastor Magnus, am Tisch sitzend, mit allen nur denkbaren Leiden geschlagen, ißt, brüllt, ist sich selbst eine Last, verflucht sich und Gott, ekelt sich vor dem Fettbrocken, der er selbst ist: »Man verrottet und lebt dabei – man ist wie ein verwesender Leichnam und lebt!« Josef Ostendorf schreit seine Qual heraus, den ungeheuren Weltekel, das Eingesperrtsein in den Körper, Erinnerung an die Lust. Er ruft seinen Sohn Ephraim (Christoph Luser) herbei, seine Tochter Johanna (Jeanne Balibar) und den unehelichen Sohn Jakob (Samuel Weiss). Predigen will er ein letztes Mal, bevor er sich erschießt. Jakob zeigt Verständnis – doch es darf nicht unästhetisch sein. Alle Grausamkeiten, die noch kommen, sind in der ersten Szene angelegt. Die Suche nach Erlösung und nach der Seele in einer Welt, vom Christentum verseucht. Josef Ostendorf übertrifft sich selbst in dieser faszinierend unsympathischen Rolle. Wie auch die anderen Schauspieler bis an ihre physische Grenze gehen. Ganz zum Schluß ist Magnus als knabenverführender Superintendent wieder auferstanden. Wie durch das Gitter eines Beichtstuhls gesehen: christliche Demut. Was dazwischenliegt, ist furchtbar, eine gewollte Folter und auch eine reale. Auf jenem Instrument, das Ephraim in der Krypta entdeckte, der Folterbank, »die ein Priester zur Ehre Gottes lächelnd erfand«. Er läßt sich foltern von der Schwester und kreuzigen – er will alles erleiden müssen. Auch die Kastration und die Blendung. Johanna, die ihn liebt, glaubt, durch das Einbohren einer im Kamin glühend gemachten Eisenstange – eine weibliche Kastration – ihren Teil zur Ehre Gottes beizutragen. Vorher hat Jakob seine Freundin Mathilde (Kathrin Wehlisch), die ihn heiraten will, sich so unterworfen, hörig gemacht, daß sie sich einem jungen unerfahrenen Knaben, Paul (Carlo Ljubek), hingibt – gezwungenermaßen. Das Kind, das daraus entsteht, stirbt bei der Geburt und auch – gezielt – Mathilde. Jakob sucht die Seele einer Frau in ihrem Körper, den er aufreißt und zerstört. Eine Hure auf der Straße ist das zufällige Opfer. Die Gerichtsverhandlung – findet sie heute statt? Der Staatsanwalt heißt nur salopp »Bettina« wie die Schauspielerin (Bettina Stucky), mit prallen Schenkeln unterm schwarzen Minirock. Der Verteidiger, Michael (Michael Weber), mit Sonnenbrille und Hut, ganovengleich. Der Angeklagte Jakob ist hier nur Samuel, sein Bruder, Christoph, der ihn verteidigen und predigen will. Jakob-Samuel in seiner eigenen Verteidigungsrede: »Sie haben in allen Dingen Recht …, denn Sie haben die Gewalt. Wir führen Krieg. Sie haben viele Kanonen, ich habe leere Hände.« Er mache keinen Kniefall. Die Staatsanwältin wittert »die zerfressenden Säfte des Anarchismus aus jedem Wort … Sie haben mit ihrem Vergehen tapfere Krieger, Helden, Stützen des Vaterlandes beleidigt … Sie werben keinen Zeitungsschreiber für ihre Sache an.« Und gleich fällt Castorf dazu die Albernheit ein: »Spiegel-Leser wissen mehr.« Der »Feind der menschlichen Gesellschaft« wird auf ein Martergerät, auf ein Rad, gesperrt. Heute dazu – keine Albernheit – der Verteidiger: »Das ist schon der Zweite. Der andere war schwarz.« Wir befinden uns im Abschieberaum des Frankfurter Flughafens. Auf der Bühne, der Angeklagte, hängt im Rad wie tot. »Micha«, der Verteidiger, beunruhigt, »daß wir nun keinem Menschen erklären können, daß der hier liegt«. Die Szene vor Gericht ist die einzige, die aus dem festen Gefüge des Kirchengeheges herausfällt – selbst wenn Jakob auch hier seine Seele sucht, schreiend. Er wird hingerichtet, von Helfern gestohlen und heimlich in die Krypta gebracht. Ephraim will ihn sehen können, seine Verwesung aufhalten durch Selbstkasteiung. Das Köpfen Jakobs wurde dem Zuschauer erspart. Ein ritueller Kopfputz, eine Strahlenkrone, ersetzt es. Im Programmheft abgedruckt, ein Statement oder Brief, unklar, wann Jahnn das schrieb. Da äußert er sich über den Krieg, »diese abscheuliche Sache«. Jahnn war 1915 mit seinem Freund Harms als 21jähriger nach Norwegen gegangen. Dort entstand »Pastor Ephraim Magnus«, noch während des Krieges. Vielleicht stammt der Text im Programmheft aus den fünfziger Jahren, als Jahnn sich gegen die Atombewaffnung aussprach. Das Stück selbst ist wie im luftleeren Raum angesiedelt, im Zentrum steht der Körper, die Seele. Nicht die Toten auf den Schlachtfeldern, die sind weit weg. Nicht ganz. In der Sakristei, ein Gespräch von Ephraim und Johanna über Zufall oder Bestimmung. Johanna fragt: »Weshalb fallen von tausend Soldaten, die in den Krieg zogen, jene fünfzig oder hundert, deren Namen später irgendwo geschrieben sind? Warum gerade die? Und sind‘s die Guten unter ihnen oder die Bösen?« Ephraim: »Die Göttlichen sind nicht unter den Soldaten. Sie werden sich durch kein Gesetz zum Morden berufen fühlen. Nur die werden es erfüllen, die unreif und dumpf in sich sind oder böswillig oder allgemein menschlich gewissenlos.« Die Äußerungen Ephraims spiegeln Jahnns Haltung. Im Oktober 1916 schrieb er in einem Brief an einen Freund: »Ich werde nächstens öffentlich sagen, daß ich mich zu den Auserwählten rechne und daß die Welt im großen und ganzen voll Gesindel ist.« Die Szene in der Sakristei findet einen Widerhall, nur angedeutet, im Videobild. Marschierende Soldaten – kaum zu erkennen –, darüber zarte rote Gestalten, schemenhaft. Man muß sie nicht wahrnehmen – die Geister der toten Soldaten? Ganz reale Geister erscheinen, nachdem Ephraim – wie nebenbei, aus Versehen – seine Schwester erdrückt. Nachdem er geblendet wurde, nachdem er sie zum Bruder in die Krypta gebettet hat. Masken bedrohen ihn, aus den Särgen entstiegen. Er kann sie nicht sehen, aber mit ihnen sprechen. Mit dem Kopflosen, dem Handlosen, dem Kastrierten, mit dem Gekreuzigten. Ein Totentanz, der nicht endet.
Erschienen in Ossietzky 8/2015 |
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