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Unter dem Terminus »Kunst« verhandeln sie die in den bildenden Künsten freigesetzten, deren traditionellen Bereich entgrenzende Gestaltungsmöglichkeiten, die im medialen Tagesgeschäft in schnell wechselnden Diskursen zu Kunst deklariert werden: Die produzierte Beliebigkeit des Kunstbegriffs beschreiben sie treffend als »Schmiermittel«, als »geschmeidige Verbindung von Politik und Ökonomie durch Kunst«. In den Mittelpunkt der Krise zwischen Kunst und Gesellschaft stellen die Verfasser das im Neoliberalismus von den Netzwerken globalisierter Finanzspekulationen beherrschte Verhältnis von Kunst, Geld/Kapital und Kunst-Diskurs. Es wird in fünf Abschnitten abgehandelt. Im Lauf ihrer Argumentationen dokumentieren Metz und Seeßlen mit Informationen aus Wirtschaft und Feuilleton, wie Kunst im neoliberal verpackten Kapitalismus auf dem Kunstmarkt als Geldäquivalent zur Währung wird. Allerdings verlieren sich die analytischen Ansätze ihres Kunst-Diskurses beim Beschreiben des Verhältnisses oft in eingängigen Aussagen aphoristischer Manier, die Oberflächeneffekte beschreiben, zum Beispiel: »Der Markt definiert nicht nur die Kunst neu, er schreibt sich auch seine eigene Kunstgeschichte.« Das stimmt so nicht: Nicht der Markt definiert die Kunst, sondern die »Experten« und Kunst-Diskurs-Spezialisten, die ihn bedienen. Wie sie dabei die Geschichte der Kunst entstellen, zurechtbiegen und verfälschen, wäre ein im Dienste kritischer Wissenschaftsgeschichte zu bearbeitendes Forschungsgebiet. Ein zweites Beispiel: »Wenn zwei Künstler miteinander reden, dann sprechen sie über Geld. Wenn zwei Banker miteinander reden, dann sprechen sie über Kunst.« Erkenntniselemente werden zum Wortspiel oder – wie auch im Titel des Buchs – zur Metapher verkürzt. Aufgelockert wird der Kunst-Diskurs durch die von der Künstlerin Ute Richter auf 101 von 496 Seiten eingerichtete photographische »Bilderspur«: Zu ihr gehören die auf vier schwarze Seiten verteilten, weiß gedruckten Worte »Da schwimmt die alte Sau schon«. Dem Vernehmungsprotokoll der Mörder von Rosa Luxemburg (15. Januar 1919) entnommen, sollen sie die Verrohung der Gefühle im Kapitalismus bezeugen, wie die Künstlerin in ihrem Beitrag unter dem Titel »Bildnachweis« erläutert. Der »Anhang« enthält den Text »Occupy Art! Labyrinth und Ausweg. Beginn einer Sammlung widerständiger Gesten in der Kunst (to be continued)« und als Quintessenz in 42 Punkten »Occupy Art! Ein Manifest zur Rettung der Kunst für die Gesellschaft«. Hier wird gefordert: »Der Kunst-Diskurs muß einen Prozeß der Selbstaufklärung durchlaufen, muß seine Abhängigkeiten und seine Deformationen erkennen«, weil er »für den ›Zustand‹ der Kunst im selben Maße verantwortlich [ist] wie die Produktion und der Betrieb.« Doch Selbstaufklärung ist kein kunstspezifisches Anliegen. Uneingelöst steht sie auf der Tagesordnung seit Kant 1784 in seiner Schrift »Was ist Aufklärung?« als Voraussetzung einer weltbürgerlichen Gesellschaft an einen jeden die Forderung herangetragen hat: »wage zu denken« (sapere aude), um sich von der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« zu befreien. Deren Ursache sieht er in den Abhängigkeitsverhältnissen, die durch Geld entstehen. Im »Manifest« folgt die These: »Aus den unterschiedlichsten, auch widersprüchlichen Ansätzen einer neuen Selbstorganisation der Kunst wird früher oder später eine neue politische Ökonomie erstehen müssen.« Das aber ist eine Variante des Mythos von Kunst als Revolution. Er wurde in die Welt gesetzt, um von der im Ersten Weltkrieg ausbrechenden Oktoberrevolution und dem mit ihr als Hoffnung am historischen Horizont aufscheinenden Sozialismus abzulenken. Seitdem wird er als Ersatz für die Revolution propagiert. Sodann heißt es: »Es geht nicht darum, ›politische Kunst‹ zu machen. Es geht darum, Kunst politisch und politisch Kunst zu machen. Und es geht nicht darum, politische Kunst zu sehen, sondern darum, Kunst politisch zu sehen.« (Punkt 5, S. 473) Das Wortgeklingel übertönt die zu stellende Frage: Was ist »das Politische« an der Kunst? Die Spur einer Antwort als Alternative zu dem von den Verfassern verhandelten Kunst-Begriff ist in den zwei letzten Sätzen zu finden (Punkt 42, S. 492): »[…] Allerdings gibt es die Kunst auch als gesellschaftliches und historisches Projekt, als Vorgriff und Erfahrung. Als Ferment der Menschwerdung des Menschen. Diese Kunst ist weder selbstverständlich noch unsterblich. Diese Kunst kann uns verloren gehen. Oder von uns gerettet werden.« Mehr erfahren die Leser zu diesem anderen »Kunst-Projekt« leider nicht. Beim Lesen dieser letzten Sätze denke ich an Ernst Cassirers Definition der Künste als vergegenständlichtes Gedächtnis der Menschheit (Stockholm 1942), das Peter Weiß in seinem Werk »Die Ästhetik des Widerstandes« (1975–1981) weiterentwickelt hat. Dieses Potential für die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit wird im Warenangebot der an Profit und Wachstum ausgerichteten Kulturindustrie zum Entertainment trivialisiert und geht dabei verloren. Doch es bleibt die Möglichkeit, Kants Forderung »wage zu denken« ernst zu nehmen, uns von den hegemonialen fremdbestimmten Kunst-Diskursen zu verabschieden und das Projekt von Ernst Cassirer und Peter Weiß aufzunehmen, um den selbstbestimmten Umgang mit den Künsten als Spiegel der Menschheitsgeschichte zu erkunden. Markus Metz und Georg Seeßlen: »Geld frißt Kunst – Kunst frißt Geld. Ein Pamphlet. Mit einer Bilderspur von Ute Richter«, Suhrkamp, 496 Seiten, 20 €. Gabriele Sprigath lebt in München und arbeitet als freiberufliche Kunstwissenschaftlerin im Bereich Erwachsenenbildung. 1986 erschien im Jonas-Verlag Marburg ihr Buch »Bilder anschauen – den eigenen Augen trauen«.
Erschienen in Ossietzky 8/2015 |
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