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Damit ist der Prozeß Anfang April 2015 gegen alle drei ohne Verurteilung zu Ende gegangen – eine überraschende Wende. Doch hätte das Verfahren überhaupt eröffnet werden dürfen? Was war geschehen? Die drei jungen Leute waren im April 2012 von Polizeibeamten in Weimar des Nachts aufgegriffen und zur Identitätsfeststellung auf die Wache verbracht worden. Man verdächtigte sie, einen Bauzaun umgeworfen und Müllcontainer auf die Straße gekippt zu haben, ohne ihnen diesen »gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr« jedoch nachweisen zu können. Trotzdem sind die drei über zehn Stunden in Einzelzellen festgehalten und nach Aussagen der Betroffenen auch mißhandelt worden. Besonders die aus Ungarn stammende Emöke K. (Name geändert) trug starke Verletzungen im Gesicht und an den Armen davon, soll bedroht sowie rassistisch und sexistisch beleidigt worden sein. Nach ihrer Freilassung am späten Vormittag des folgenden Tages machten alle drei ihre Erlebnisse im Polizeigewahrsam öffentlich und stellten Strafanzeige gegen die beteiligten Polizeibeamten, die die Staatsanwaltschaft allerdings nach wenigen Monaten verwarf. Stattdessen beförderten die Ankläger die mutmaßlichen Polizeiopfer postwendend zu Tätern und schickten ihnen Strafbefehle ins Haus: wegen »falscher Verdächtigung« und »Vortäuschens einer Straftat«; die Verletzungen, so die Unterstellung, habe Emöke K. frei erfunden, um die beteiligten Polizisten aus einer grundsätzlich »polizeifeindlichen Haltung« heraus zu Unrecht zu beschuldigen. Und so nahm Justitia ihren Lauf. Die Betroffenen erhoben Einspruch gegen die Strafbefehle, im Februar/März 2015 kam es zur Verhandlung vor dem Amtsgericht Weimar. Eine Soligruppe, die die Angeklagten unterstützte, hatte eine unabhängige Untersuchungskommission zusammengetrommelt, die den als »Weimar im April« bekanntgewordenen Strafprozeß beobachten und die kritische Öffentlichkeit informieren soll. Alle sechs Mitglieder, darunter Abgeordnete, Anwälte, Publizisten und ein Arzt, haben mit Menschen zu tun, die Opfer von Polizeigewalt wurden. Und alle wissen, daß Strafanzeigen gegen Polizeibeamte wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt fast nie zu einer Verurteilung führen; etwa 95 Prozent der eingeleiteten Strafverfahren werden eingestellt. Das Weimarer Strafverfahren ist ein Beispiel dafür, wie es Menschen ergehen kann, die von Polizeigewalt betroffen sind und sich hiergegen zur Wehr setzen. Nicht selten werden sie, wie in diesem Fall, windigen Gegenanzeigen wegen »falscher Verdächtigung« ausgesetzt; solche Erfahrungen führen dazu, daß sich Opfer illegaler Polizeigewalt nur selten wehren, um nicht ihrerseits belangt zu werden. Als Mitglied der Untersuchungsgruppe konnte ich den Prozeß am fünften und letzten Verhandlungstag miterleben. Hier meine Eindrücke und Erkenntnisse: Wie sich im Laufe des Strafverfahrens herausstellte, sind die drei Betroffenen offenbar zu Unrecht festgenommen, auf das Polizeirevier verbracht und dort über zehn Stunden in Gewahrsam gehalten worden – ohne richterliche Anordnung, die laut Thüringer Polizeiaufgabengesetz »unverzüglich« einzuholen ist. Aussagen von Polizeizeugen legen den Verdacht nahe, daß auf dem Polizeirevier eine organisierte Verantwortungslosigkeit herrschte. So mußten die Betroffenen entwürdigende Körperdurchsuchungen mit Nacktausziehen ertragen – eine Routineprozedur auf dem Weimarer Polizeirevier, auch ohne konkreten Anlaß oder Verdacht, und damit ein Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Außerdem stellte sich heraus, daß die obligatorischen Kontrollen der Gewahrsamszellen nur nachlässig, wenn überhaupt durchgeführt worden sind; obendrein kamen die verantwortlichen Polizisten ihren rechtlichen Pflichten zur Dokumentation wichtiger Vorgänge, vor allem im Haftbuch, nicht oder allenfalls lasch und fehlerhaft nach. Im übrigen haben nicht nur die Betroffenen von Polizeigewalt berichtet. In derselben Nacht befand sich ein weiterer Mann im Gewahrsam, der vor Gericht berichtete, daß auch er massiver Gewaltanwendung – Ohrfeigen, Schlägen ins Gesicht, Tritten in die Beine – ausgesetzt war, was ein Begleiter des Zeugen bestätigt hat. Der Gipfel des Skandals: Polizeizeugen der Polizeiinspektion sind eigens für dieses Verfahren geschult worden – inklusive Rollenspielen, um sich ganz speziell auf Befragungstechniken der Verteidigung vorzubereiten. Selbst Einsatzberichte und Vernehmungsprotokolle zu dem Fall konnten sie im Thüringer Landeskriminalamt einsehen und durchlesen. Eine solche Zeugenschulung und -vorbereitung ist skandalös, weil die Gefahr der Zeugenbeeinflussung und -absprache nicht auszuschließen ist. Seit diese spezielle Zeugenvorbereitung gerichtsbekannt ist, kann das merkwürdige Aussageverhalten der Polizeizeugen besser eingeschätzt werden: Die widersprüchlichen, von Erinnerungslücken geprägten, teilweise wie auswendig gelernten Aussagen der Polizeizeugen zeugten tatsächlich von Einübung und Korpsgeist. Und keiner dieser Zeugen will die erheblichen Verletzungen der Hauptbeschuldigten Emöke K. wahrgenommen haben, obwohl sie wenig später auf Fotos dokumentiert, ärztlich und von Zeugen bestätigt worden sind. Die Verteidigung der drei Betroffenen im Weimarer Verfahren verlangt nun die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen die Polizeibeamten wegen Verdachts der Körperverletzung im Amt. Außerdem will sie Strafanzeige erstatten wegen Falschaussagen vor Gericht, Strafvereitelung im Amt, Beleidigung und Freiheitsberaubung. Wegen der unrechtmäßigen Ingewahrsamnahme und erlittener Verletzungen sollen auch Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen das Land Thüringen geltend gemacht werden. Die Geschichte ist also noch lange nicht zu Ende. Die Weimarer Vorkommnisse und die oft ausweglose Situation von Opfern rechtswidriger Polizeigewalt zeigen, daß die gesetzliche Kontrolle von Polizeihandeln mit gravierenden strukturellen Mängeln behaftet ist, die immer wieder zu Sanktionsimmunität von Polizeibeamten führt. Die institutionelle Nähe von Staatsanwaltschaft und Polizei bürgt jedenfalls nicht für Unabhängigkeit, zumal Polizisten als Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft fungieren und bei Strafverfahren gegen Polizisten in eigener Sache ermitteln. Neben Amnesty International und Human Rights Watch haben auch das UN-Menschenrechtskomitee und der Europäische Menschenrechtskommissar deshalb entsprechende Konsequenzen angemahnt – so etwa die Einrichtung einer zusätzlichen unabhängigen Untersuchungsinstanz, die mit eigenen Kontrollrechten ausgestattet ist. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, war Mitglied der Untersuchungskommission. Weitere Mitglieder: Martina Renner (MdB), Steffen Dittes (MdL Thüringen), RA Ulrich v. Klinggräff (RAV), Dr. Helmut Krause (Menschenrechtsbeauftragter Landesärztekammer Thüringen) und Friedrich Burschel (Journalist, Rosa-Luxemburg-Stiftung). Die Soligruppe und Dokumente zum Verfahren sind unter wia.blogsport.de abzurufen. Amnesty International, Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte, Republikanischer Anwältinnen- und Anwaltsverein haben bereits vor Jahren »Kriterien für eine unabhängige Kontrollinstanz zur Untersuchung von Polizeigewalt« vorgelegt, siehe unter ilmr.de/2012/burgerrechtsorganisationen-fordern-unabhangige-kontrollinstanz-gegen-polizeigewalt.
Erschienen in Ossietzky 8/2015 |
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