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Die Bilder, Graphiken, Skulpturen stammen aus der Sammlung von Hedy und Arthur Hahnloser, einem Schweizer Ehepaar, das zwischen 1906 und 1936 alles zusammentrug. Sie lebten inmitten der Kunstwerke in ihrer Villa Flora, die seit 1995 als Museum betrieben wird. 2014 wurde sie vorübergehend geschlossen wegen »kommunaler Sparmaßnahmen«. Nächste Station der Ausstellung ist Paris, dann das Kunstmuseum Moritzburg Halle und zuletzt Stuttgart. Ein von der Hamburger Kunsthalle in Auftrag gegebener Film (78 Minuten) von Nathalie David begleitet durch die Innenräume und durch den in geometrischem Stil gestalteten Garten mit Skulpturen von Maillol. Im Haus, neben den Bildern viele Zeugnisse von Hedys (Hedwigs) »handwerklichen Fähigkeiten«: Vorhänge, Tischdecken, Kissenhüllen (auch heute noch ein Graus). Sie war ausgebildet in Kunstgewerbe und vom »Reformgeist« erfüllt. Hedy stammte aus einer Fabrikantenfamilie (Textilproduktion, Spinnereibetriebe). Der Katalog (144 Seiten, 17,90 €) macht klar: »Ihr Selbstbewußtsein als öffentliche Person, als Kulturschaffende und Sammlerin entsprang ihrer Herkunft aus einer Familie von Unternehmern, die mit großer Risikobereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit einen beachtlichen gesellschaftlichen Aufstieg erlebt hatte.« 1898, im Jahr der Heirat, bezogen Hedy und Arthur Hahnloser, ein Augenarzt, das 1846 im klassizistischen Stil erbaute Haus. Es war 1862 von Hedys Großeltern erweitert worden, ein Anbau mit griechischem Tempelgiebel. Vorbild: das gleichzeitig entstandene Winterthurer Stadthaus. Im Katalog ein Foto, das den Stilmischmasch drastisch dokumentiert. Einiges wurde modernisiert, so der Salon, der dann – rückwärtsgewandt – ein »Gesamtkunstwerk« repräsentierte. Holzvertäfelungen, wohin das Auge blickt, darüber die Gemälde. Van Goghs »Sämann« (1888) über der verkleideten Heizung (skurril: sogar im Bad, über der Badewanne, hingen Ölbilder). In den Salon wurden Freunde und Verwandte jeden Dienstag zum »Revolutionskaffee« eingeladen. Sie diskutierten über Lebensreform, Kunstgewerbe und Malerei. Im Film heißt es zutreffend: »Sie waren ganz und gar nicht Revolutionäre.« Aber der Kaffee war pechschwarz. Kein Zucker? Ein Buchtitel auf dem Tisch: »Die Seele einer Zuckerdose«. Nicht nur die Hahnlosers begannen in Winterthur sich für Kunst zu interessieren, auch andere Industriellenfamilien sammelten Bilder. Es war ein Wettbewerb unter Konkurrenten. Der Schweizer Künstler Carl Montag hatte schon 1904 Hedy und ihre beiden Kinder im Garten gemalt. Er zog nach Paris. Seine Ateliernachbarn dort: Pierre Bonnard und Edouard Vuillard. 1905 schrieb ihm Hedy einen bitteren Brief: »Daß Sie Ihr ganzes treues deutsches Gemüt über Bord werfen, um kniend vor den raffinierten, aber teilweise, trotz allen Genies oberflächlichen Feinheiten der Franzosen zu liegen, das ist stark, mein Lieber. Sie müssen zu uns deutschen Gemütern zurückkehren, denn uns gehören Sie an.« Ein paar Jahre später schon waren die Hahnlosers bekehrt. Sie kauften Bilder, erst einmal von Giovanni Giacometti und Ferdinand Hodlers »Kirschbaum« (um 1906), der einen Platz im Salon erhielt. Sie reisten nach Paris, wo der Schweizer Maler Félix Vallotton sie in den Zirkel seiner Freunde einführte. Vallotton gehörte der Künstlergruppe »Nabis« an. Er wurde in die Villa Flora eingeladen, um seine Auftraggeber und deren Kinder zu porträtieren. Seine Holzschnitte, 23 davon in Hamburg, die sich an japanischen Vorbildern orientierten, sind bekannter als seine Gemälde. Die großen liegenden Akte: »Frau mit Papagei« (1909-13) und »Die Weiße und die Schwarze« (1913) – beide mit versteckter Erotik. Der Papagei ist kein »kostbares« Beiwerk, wie es in der Pressekonferenz hieß, er gilt als Symbol für Sexualität. Das Gemälde von 1913 mit den beiden, so unterschiedlichen Frauen – eine weiß und nackt, mit geschlossenen Augen, die andere schwarz, mit blauem Tuch bekleidet. Sie sitzt am Fußende, mit Zigarette im Mund, trotz Halskette männlich. Auch ihr Blick wirkt so, beherrschend kühl. Arthur Hahnlosers Bruder Paul starb 1910. Er hatte ihm Anteile am Gewinn aus dem Baumwollhandel und Beteiligungen an Firmen in Ägypten vermacht. Das brachte Geld für neue Kunstankäufe. Zu den Freunden der Villa Flora gehörte auch Pierre Bonnard, von dem 26 Ölbilder, noch mehr Graphiken und einige Bronzeskulpturen erworben wurden. Ein Kapitel im Katalog befaßt sich mit einem Gemälde von 1924/25: »Segelpartie auf dem Meer«. Ausführliche Schilderungen und Anekdoten über das schließlich erfolgreiche Drängen, dieses Bild zu malen: die beiden Sammler, Tochter Lisa, Hündchen Dany und ein Segel. Viele Blautöne, verwaschen. 1922 hatten die Hahnlosers die Villa Pauline in Cannes gekauft, nicht ohne sich vorher zu versichern, daß Bonnard seine Wintermonate in der Gegend verbringen würde. Picasso soll auch einmal der Villa Flora einen Besuch abgestattet haben, wird im Film verraten. Danach sagte er, Bonnard sei kein guter Maler. Das hat die Hahnlosers erschüttert. Sie protestierten. Es gibt kein Werk von Picasso im Haus. Aber sie besuchten ihn in Südfrankreich. Nur – Picasso ließ sie sehr, sehr lange warten, als sie eintrafen. Seine Rache. Was mir auffiel. Auguste Rodins Bronzebüste von Balzac mit nackten Armen von 1892. Der selbstgefällige Gesichtsausdruck sagt: »Ich erreiche alles, was ich will.« Ganz anders das Gesicht des Vaters von Georges Rouault, eine Gouache von 1911. Er wirkt mit herabgerutschter Brille, halbgeöffnetem Mund und aufgerissenen Augen ein wenig deppert, aber menschlich, sympathisch. Von van Gogh noch: »Die Sonnenblumen« (1887). Nicht die berühmten leuchtend gelben in der Vase. Diese hier sind dunkel, eher braun-grün, überreif, schon Früchte. Das Bild inspirierte die junge Künstlerin Ursula Palla zu der Videoprojektion mit – sehr zarten – Sonnenblumen: »Sunflowers 2«. Eine ganz reale dunkle Keramikvase steht vor einer hellen Wand. Die Blumen sind nur als feiner Schatten wahrnehmbar, wie dorthin gedacht. Bei Sonnenlicht von draußen, vom Fenster her, sind sie straff und fest. Bei trübem Himmel hängen sie traurig und welk herab (wie ich feststellen konnte beim zweiten Besuch). Judith Albert, von Bildern Vallottons beeinflußt, irritiert mit ihrer Videoarbeit: »Akt mit orangem Schal«. Sie ist hier gleichzeitig die Aufnehmende hinter der Kamera und das Modell auf dem Bildschirm, der wie ein Gemälde wirkt. Auf einem dunkelroten Tuch liegt sie – wie hingegossen – vor einer gestreiften türkisfarbenen Tapete. Die Scham bedeckt vom Schal. Darüber ein riesiger zartvioletter Oktopus, der seine Tentakeln über ihre Brüste breitet. Wer etwas länger hinsieht, entdeckt, daß der Tintenfisch sich sanft bewegt, als atme er. Dazu dringt leise Musik von Eric Satie ans Ohr. Das Motiv des Kraken entnahm die Künstlerin dem Farbholzschnitt von Hokusai: »Der Traum der Fischersfrau«. Wie hätte sich das, als Gemälde verkleidete, Video der Künstlerin wohl inmitten des »Gesamtkunstwerks« Salon der Villa Flora ausgenommen?
Erschienen in Ossietzky 6/2015 |
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