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Oder wie wär‘s mit folgender Story: Der Vorstandsvorsitzende eines Großkonzerns, ein Milliardär, bestellt beim Ministerpräsidenten eines Bundeslandes einen schriftlichen, für ihn günstigen Bescheid; der Chef des Bundeskanzleramtes habe ihn bereits zugesagt. »Wann können wir mit dem Schreiben rechnen?« Der Ministerpräsident liefert prompt und ermöglicht damit dem Konzern – und zwei weiteren –, den Staat auf 882 Millionen Euro Schadensersatz zu verklagen. Warnungen wurden von der Ministerialbürokratie mißachtet, Akten vernichtet, Gutachten von ehemaligen Lobbyisten erstellt; die Aufsicht wurde kaltgestellt. Bekanntlich handelt es sich aber auch in diesem Fall nicht um einen abgedrehten Thriller, sondern um deutsche Politik. Der Vorstandsvorsitzende ist Jürgen Großmann von der RWE, der Ministerpräsident Volker Bouffier von Hessen. Und der Kanzleramtsminister ist Roland Pofalla, der inzwischen nahtlos Generalbevollmächtigter der Bahn geworden ist. Den Schadensersatz müßten natürlich die Steuerzahler leisten. Die Kumpanei zu Lasten der Bürger als Steuerzahler wäre geheim geblieben, hätte nicht die ARD-Sendung »Monitor« vor kurzem, dreieinhalb Jahre nach dem Briefwechsel, den Vorgang publik gemacht (»Monitor«-Pressemeldung vom 15.1.15). Im Gegenzug hat das Bundesumweltministerium seinen Beamten die Aussagegenehmigung für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß verweigert, der die Vorgänge aufklären soll. Niemand vermag eine genaue Grenze zwischen Verschwörungstheorie und Verschwörung zu ziehen, zumal sich viele frühere Verschwörungs-Vermutungen später als Tatsachen entpuppt haben. Es gibt ungezählte Beispiele für illegale Machenschaften, Morde und Terroranschläge mit einer tiefen Verstrickung der Geheimdienste in die Verbrechen, begünstigt durch die Politik verschiedener Regierungen und den mangelnden Aufklärungswillen der Justiz. Stichworte: Celler Loch, Schmücker-Mord, Oktoberfestattentat, Gladio, Lübecker Mord an Asylsuchenden und aktuell die NSU-Morde. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit und das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie wird aber nicht nur durch eklatante Fälle staatlich geschützter Verschwörung erschüttert, sondern durch die »ganz normale« Politik. Der vorherrschende Politikbetrieb liefert nämlich ständig Beispiele für Praktiken, die man vermutlich nur um den Preis einer Verleumdungsklage Verschwörung nennen könnte, obwohl sie der Wikipedia-Definition (»heimliches Bündnis mehrerer Personen mit dem Zweck, einen Plan auszuführen; dieser kann ein selbstsüchtiges, verwerfliches Ziel haben und den Schaden anderer beinhalten«) sehr nahe kommen. Jedenfalls hat die Lobbytätigkeit und die personelle Verflechtung zwischen Großkonzernen und Regierungspolitikern zur wechselseitigen Bedienung eigener Interessen eine hohe Intensität erreicht – meist eindeutig zu Lasten der Bevölkerung. Prominentes Beispiel etwa Dirk Niebel: Er stimmte als Minister im geheim tagenden Bundessicherheitsrat über Waffenexporte ab – um kurz darauf bei dem Waffenkonzern Rheinmetall (u.a. Leopard-Panzer) anzuheuern. Oder Bert Rürup: Er verkörpert bestens die Verquickung von Politikberatung (zwecks Privatisierung der Sozialversicherung), Tätigkeit für Carsten Maschmeyers AWD zur Erschließung neuer Märkte der privaten Altersvorsorge und Lobbytätigkeit für das »Institut zur Zukunft der Arbeit« mit der ganzen Palette neoliberaler Rezepte. Oder Schröder, Clement, Bahr, Pofalla …: Eine ganze Reihe hochrangiger Politiker hielt es für selbstverständlich, ihre politischen Insider-Informationen und Verbindungen anschließend bei Konzernen zu nutzen. Werner Rügemer nannte das »eine neue Form des Lobbyismus«, bei der die Lobbyisten »längst im Staat« sitzen (Blätter 8/13). Die geheime Vernetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen zu Lasten der Bevölkerung zeigt sich in erschreckender Deutlichkeit bei den geplanten Freihandelsverträgen TTIP, CETA und TISA. Unter strikter Geheimhaltung kommen EU-Politiker und Konzernlobbyisten zusammen, um weitreichende Verträge auszuhandeln, die massiv die Daseinsvorsorge aushöhlen und demokratische Rechte beschneiden – für die Herrschaft von Konzernen. Alle sozialen, ökologischen, arbeitsrechtlichen und demokratischen Errungenschaften werden als »Handelshemmnisse« zur Disposition gestellt, im überwiegenden Interesse der globalen Großkonzerne. Einrichtung privater Schiedsgerichte, »regulatorische Kooperation« und Foren für die Deregulierung der Finanzmärkte dienen der Ausschaltung der Parlamente. Von diesen konspirativen Verhandlungen erfuhren die Menschen in Europa erst, als Gruppen wie Attac, Corporate Europe Observatory (CEO) oder Lobbycontrol Alarm geschlagen hatten. Daraufhin begann die Politik eine koordinierte PR-Kampagne, die das Ziel verfolgte, »die Erzählung der Mainstream-Medien zu den Verhandlungen im Griff« zu behalten (aus einem internen Papier der EU-Kommission) und Stimmung für die Verträge zu machen. Für die überzeugten Verfechter der parlamentarischen Demokratie wird es eng. Denn elementare Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung werden von der neoliberalen Politik mißachtet. Bankenrettung, Verteilungs- und Steuerpolitik, Militäreinsätze: Bei all diesen existentiellen Themen handelt die Politik entgegen einem breiten Konsens der Bevölkerung. Vielmehr werden quasi konspirativ Konzepte entwickelt und Beschlüsse gefaßt, in denen der Wille des »Souveräns« nicht repräsentiert ist, sondern die Interessen von Konzernen und Kapitalbesitzern. Wieso setzen politische Eliten mit aller Macht Interessen von Banken und Konzernen durch und betreiben damit die Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie? Warum betreiben sie »Politik als Verschwörung«? Eine kleine Szene kann zum Verständnis beitragen: Vizekanzler Sigmar Gabriel spricht beim Weltwirtschaftsforum in Davos über die TTIP-Debatte. In Deutschland sei sie schwierig, da Deutschland »reich und hysterisch« sei – aber das solle man nicht in der Zeitung bringen. Abgesehen von der merkwürdigen Einschätzung des Landes, das er vertritt, spricht aus seinem Statement eine Verachtung der Bevölkerung und der Demokratie. Die wenigen Sekunden charakterisieren treffend die Haltung der deutschen und der EU-Politik: Wichtige Entscheidungen müssen interessierte »Experten« geheim beschließen, um sie dann dem dummen Volk trickreich und sedierend zu verabreichen. Intime Nähe besteht nur zu Banken und Konzernen und Teilen der Medien, das Volk muß demgegenüber geschickt manipuliert werden, damit keine Gegenwehr entsteht. Die vorherrschende deutsche und europäische Politik identifiziert sich mit den Kapitalbesitzern, die ihnen die eigentliche Macht verleihen. In einer solchen Konstellation muß Politik zwangsläufig konspirativen, verschwörerischen Charakter annehmen, da sie nicht offen verhandeln kann, daß sie die Interessen der Investoren und der Kapital- und Vermögensbesitzer vertritt. Durch den Siegeszug des neoliberalen Kapitalismus hat ein Politikstil Einzug gehalten, der zuvor in dieser Radikalität die Ausnahme war. Die Doktrin des Neoliberalismus ist hegemonial geworden, aber nicht nur als Wirtschaftslehre, sondern ebenso als Menschen- und Gesellschaftsbild. Jetzt gilt ein Leitbild, in dessen Zentrum Leistung, Wettbewerb und Marktkonformität stehen; dieses läßt es selbstverständlich werden, Menschen nach Nützlichkeit und Verwertbarkeit zu taxieren. In einem solchen System sind Solidarität und Mitgefühl unnütze Relikte einer vergangenen Zeit. Das gilt privat ebenso wie in der Politik. Daß die Schwächeren dabei auf der Strecke bleiben, ist nach dieser Art Sozialdarwinismus natürlich, die Armen sind selbst schuld. Erfolgreiche Politik ist die Durchsetzung mächtiger Kapitalinteressen gegen die Bevölkerung – am besten, ohne daß sie das merkt. So ein »unverschämter Krawallkurs von Geisterfahrern« (deutsche Leitmedien) wie in Griechenland ist hierzulande nicht zu befürchten: In Deutschland ist die »Identifikation mit dem Aggressor« als seelischer Mechanismus zur Angstbewältigung und Verdrängung stark verankert. Die Angst wird dann als Ressentiment gegen projizierte Feinde ausgelebt. So wichtig (und schwierig) es ist, eklatante Fälle politischer Verschwörung aufzudecken und zu beweisen; die investigativen Journalisten werden damit nicht den gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit gerichteten Charakter des Neoliberalismus ändern. Wie kann das überhaupt gelingen? Wir werden mit Aufmerksamkeit und Anteilnahme verfolgen, ob und wie die in Griechenland gewählte Regierung eine in Inhalt und Stil neue Politik durchzusetzen vermag – gegen die Macht der herrschenden Klasse –, die etwas Ungeheuerliches anstrebt: Den Bedürfnissen und Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung zu dienen.
Erschienen in Ossietzky 5/2015 |
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