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Weder die Drohungen des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras noch die Einschmeichelungen seines Finanzministers Gianis Varoufakis bei den Mächtigen in Berlin haben bis Mitte Februar gefruchtet. Vermutlich wird es auch danach keinen Sinneswandel in Berlin und Brüssel geben. In relativ engem Takt werden bis März für die Ablösung alter Kredite nun fast zehn Milliarden Euro fällig, die zur Zeit im griechischen Haushalt nicht verfügbar sind. Syriza versucht, neue Kredite mit dem Hinweis zu bekommen, ihre Regierung wolle nicht mehr, als »steuerpolitisch zu einem normalen europäischen Land« zu werden, wie es der zum engeren Regierungszirkel gehörende Gianis Milios gegenüber dem Handelsblatt formulierte. Befragt, ob die Steuern für Reiche erhöht werden sollten, betonte Milos: »Nein, wir wollen die Steuersätze nicht erhöhen«, sondern die Steuerverwaltung effektivieren. Wer das Programm der neuen Regierungspartei Griechenlands liest, wird bei aller Wahlrhetorik die Aussage teilen, daß es kein sozialistisches, sondern ein »ur-sozialdemokratisches« Programm ist, wie es der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Michael Schlecht, formulierte. Von hiesiger links-sozialdemokratischer Seite ist die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) heftig dafür gescholten worden, daß sie in die »ur-sozialdemokratische« Regierung nicht eingetreten ist, sondern es – wie das neue deutschland formulierte – »vorzog, ihre ideologisch weißen Hände nicht mit Politik zu beschmutzen«. Die ersten Wochen der Links-Rechts-Regierung von Tsipras, Varoufakis und Panos Kammenos zeigen, daß die Skepsis der KKE – und auch des Drittels der Wahlbevölkerung, die den Urnen ferngeblieben ist – nicht ganz unberechtigt sein könnte. Alles sieht danach aus, daß die Bettelei an den Machtzentralen der Europäischen Union abprallt und es am Schluß neues Geld nur (nach einigen großmütig zugestandenen kosmetischen Korrekturen) gegen das Fortschreiben alter Kürzungsprogramme gibt. Der Kern des griechischen Dramas ist noch viel erschreckender als das sich abzeichnende Schicksal seiner gegenwärtigen Regierung. Nehmen wir an, die Forderungen Varoufakis nach einem neuen Marshall- beziehungsweise Merkel-Plan, würden durch eine Gabe griechischer Götter Wirklichkeit. Das Programm Syrizas enthält eine Reihe von Erleichterungen bei staatlichen Transferleistungen und ein stärkeres Engagement des Staates in verschiedenen Sektoren der Gesellschaft. Es enthält jedoch kein Programm für die Entwicklung der Wirtschaft außerhalb des Staatsbereiches. Im Rahmen des Kapitalismus können Staatsdiener und Staatszuwendungen nun einmal nur durch Steuerzahlungen aus nichtstaatlichen Sektoren finanziert werden. Also müßte die Frage beantwortet werden, welche nichtstaatlichen Sektoren durch die Merkel-Hilfe entstehen sollen. Bei Tsipras findet sich auf die Frage keine Antwort. Immerhin versucht der griechische Industriepräsident Theodoros Fessas eine, indem er fünf Sektoren nannte: Tourismus, Hochtechnologie, Energie, Logistik und Agrarwirtschaft. Es bleibt sein Geheimnis, warum die anderen Länder, die ihre eigenen Hochtechnologie-, Energie- und Logistik-unternehmen stützen wollen, Geld geben sollten für den Aufbau griechischer Konkurrenz. Damit reduziert sich eine Wachstumsstrategie für Griechenland auf Tourismus und Olivenöl. Hier liegt das eigentlich Drama: Von den EU-Ländern ist Griechenland das erste, in dem sich bewahrheitet, was marxistische Ökonomen schon seit längerem als das Erreichen der schon von Marx analysierten »inneren Schranke« des Kapitalismus bezeichnen: Kapitalistisch organisiert reichen allein die Waren Deutschlands, Frankreichs und der Benelux-Länder, um den ganzen Kontinent damit vollzupumpen. Für Europas Peripherie gibt es außer Tourismus, Folklore und Perspektivlosigkeit nichts mehr. Die Menschen dort werden – wenn sie im Systemzusammenhang bleiben wollen – zu Kostgängern der sich gegen ihre Zumutungen zunehmend abschottenden Zentren des Imperiums. Welches Bild haben Tsipras und Varoufakis eigentlich vom Kapitalismus? Glauben sie ernsthaft, irgend jemand in dem System gäbe Geld (G) ohne die Zusicherung, daß es als G‘ – also »mehr Geld« – zurückkommt? Wenn das aber nicht profitabel erzeugt werden kann – was dann? Dann kommt eben dieses entwürdigende Spiel heraus, das die beiden griechischen Politiker zunehmend aufführen: Sie drohen damit, sich in der guten Stube der Reichen die Kehle so brutal selber durchzuschneiden, daß die Hausherrin das Blut der Szene über Jahre nicht mehr von den Wänden bekommt. Weil auch das am Ende niemanden beeindrucken wird, wird das griechische Volk weiter am Sozialabbau leiden. Zu hoffen ist, daß wenigstens die Befürchtungen der KKE nicht wahr werden, daß eine scheiternde Syriza zu einem Rechtsruck führt. Die Hoffnung, daß ein Scheitern von Tsipras nicht zur Stärkung ihres auf EU-Ebene mit der AfD kooperierenden Koalitionspartners und damit Panos Kammenos oder gar der »Morgenröte« führt, kann sich daher nur auf die KKE stützen, die im Wahlkampf wie eine Gebetsmühle den Satz ihres Generalsekretärs Dimitris Koutsoumbas gepredigt hatte: »… dies ist eine kapitalistische Ökonomie, die – unter welchem Management und welcher Regierung auch immer – Krisen, Arbeitslosigkeit und Armut produziert«. Weil dies wahr ist, sind die griechischen Ereignisse mehr als ein Drama. Sie sind ein Menetekel. Denn die Krise des Kapitalismus, die sich jetzt noch an seinen Rändern austobt, wird in Griechenland nicht haltmachen, sondern sich bis in seine Zentren Japan, Westeuropa und die USA durchfräsen. Die Verwandlung von vorübergehend Arbeitssuchenden zu dauerhaft kapitalistisch nicht mehr verwertbaren, also in diesem System überflüssigen Menschen, die jetzt von Deutschland noch überwiegend in andere Länder exportiert wird, wird auch dieses Land ereilen. Wer hochnäsig auf Griechenland und seine sich windenden Repräsentanten herabsieht, schaut nur in den Spiegel seiner eigenen Zukunft.
Erschienen in Ossietzky 5/2015 |
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