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Vor zehn Jahren trug die Veranstaltung das Motto: »Fragt uns!« Die eindringliche Aufforderung, ausgesprochen von der Generation derer, die rassistische, politische, homophobe oder andere Verfolgung im Faschismus überlebt hatten, beinhaltete bereits die unausgesprochene Mahnung: Uns, die Generation der direkten Zeugen, wird es bald nicht mehr geben. Das Motto 2015 »Treffen der Generationen« nahm den Gedanken auf, indem es sich an alle Generationen der Nachlebenden wendete. Dazu gab es eine Reihe von Arbeitskreisen: »Kinder des Widerstands – die historische Verantwortung weitertragen – aber wie?«, »Die Weitergabe der Erinnerung in jüdischen Familien«, »Die Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus und die transgenerationelle Weitergabe der Erinnerung« und »›Racke Malprahl‹ [»Sprich darüber«, in der Sprache der Sinti]: Gespräch mit Enkeln Hamburger Sinti, die den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma überlebt haben.« Unterschiede zeigten sich zwischen den jüdischen Familien und solchen, in denen Mitglieder politisch verfolgt waren: Das Verschweigen spielte bei Letzteren keine Rolle; aber die Nachkommen fühlten sich teilweise unter Druck gesetzt, einer (vielleicht auch nur vermeintlich) vorgegebenen biographischen Linie zu folgen. In jüdischen Familien bestand eine Scheu der ersten Generation, über das Erlittene zu sprechen, und der Nachkommen, diese zu fragen. Die Gruppe der Child Survivors (Kinder, die die Shoah überlebt haben) kam nach Hamburg, um sich zu vernetzen. Ihr zweiter Vorsitzender, Medizinhistoriker Gerhard Baader, berichtete bei der Vorstellung der Gruppe im Plenum davon, daß die Child Survivors in Israel erst nach dem Eichmann-Prozeß, in Deutschland erst seit den 1990er Jahren über ihre Geschichte zu sprechen begonnen hätten. 1991 fand eine Konferenz statt, bei der etwa 1000 Child Survivors zusammenkamen. Seitdem finden zweimal jährlich Treffen statt, die jeweils von drei Therapeuten betreut werden. Allein der letztgenannte Umstand spricht Bände; Baader wies darauf hin, daß Traumata intergenerationell weitergegeben würden – also: Nicht nur die Überlebenden, sondern auch ihre Nachkommen müßten geschützt werden. Neben den persönlichen Schicksalen wurden in den Arbeitsgruppen aber auch der Kampf um Entschädigung für Massaker in Griechenland und die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen in Italien behandelt. Der Bürgermeister von Sant‘ Anna di Stazzema dankte auf dem Abschlußplenum den Anwesenden dafür, daß sie ihm Gelegenheit geboten hatten, über die Verbrechen zu sprechen, die an den Bürgern seiner Stadt im Jahre 1944 begangen wurden, und er bat um weitere Unterstützung für das Anliegen, die überlebenden Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Hierzu besteht in Hamburg Gelegenheit, da hier der ehemalige SS-Untersturmführer Gerhard Sommer (93) lebt, gegen den in Kürze das Verfahren im Zusammenhang mit dem Massaker von Sant‘ Anna di Stazzema eröffnet werden soll. Die Hamburger Gruppe AK Distomo setzt sich schon seit vielen Jahren für die Entschädigung der Opfer des von der Wehrmacht begangenen Massakers in dem kleinen Ort Distomo ein. Die lange Geschichte des politischen und juristischen Kampfes, den Argyris Sfountouris und der Hamburger Anwalt Martin Klinger schilderten, kann hier nicht dargestellt werden. Wichtig war die Bilanz, die Beurteilung von Erfolg beziehungsweise Mißerfolg: Sfountouris sieht einen Erfolg darin, daß die in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen der Wehrmacht öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland erregt hätten. Klinger nannte folgende positive Veränderungen: In den Griechenland-Reiseführern werden inzwischen die Verbrechen erwähnt. Die deutschen Regierungen können die Erinnerungsfeiern in Griechenland nicht mehr übergehen. (So begab sich Gauck im vergangenen Jahr nach Griechenland und erklärte, der Rechtsweg sei ausgeschöpft [!].) Die Unterstützung Entschädigungsforderungen durch den AK Distomo und andere politische Solidaritätsgruppen wird in der griechischen Öffentlichkeit wahrgenommen. Argyris Sfountouris überraschte die Anwesenden mit einem Konzept zur Verhinderung von Kriegen: Derzeit werden kriegführende Staaten durch das Prinzip der Staatenimmunität vor Haftungsansprüchen für die von ihnen verursachten Schäden geschützt, würde das Prinzip beseitigt, seien Kriege ein unkalkulierbares finanzielles Risiko. Die Nummer 1 trug aus gutem Grund der Gesprächskreis mit der Vorsitzenden des Auschwitz-Komitees Esther Bejarano, die gerade vor einem Monat ihren 90. Geburtstag gefeiert hatte, und Kutlu Yurtseven aus Köln, der zusammen mit »Signor Rossi« eine Rap-Gruppe gegründet hat und seit einigen Jahren mit Esther Bejarano sowie ihrem Sohn Joram auftritt. Wer einem Zeitzeugen zuhört, wird selbst zum Zeugen, so hat es einmal Elie Wiesel formuliert; nach der Veranstaltung in Hamburg mußte man nicht bange sein, daß die Erinnerung an die faschistischen Verbrechen und den Widerstand gegen den Faschismus so bald erlöschen könnte.
Erschienen in Ossietzky 4/2015 |
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