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Herausragende Plastiken, wie Joannis Avramidis‘ »Figur I«, 1959, Heinrich Apels »Sich Ausziehende«, 1967, Siegfried Neuenhausens »Gefesselter auf Stuhl«, 1970, Waldemar Ottos »Mann aus der Enge heraustretend«, 1971/72, Bernd Altensteins »Sich Abwendender«, 1972, Waldemar Grzimeks »Bedrohte«, 1974, oder Theo Baldens »Hommage à Victor Jara II«, 1974, prallen aufeinander oder ergänzen sich in Analogie. Nicht nur Hartog bezeichnet Försters 3,22 Meter große und 1971 bis 1974 entstandene Bronzearbeit als »Ikone der Bildhauerei der DDR«. Schon 1983 nahm die Plastik, deren Form sich jedem einprägt, für Ullrich Kuhirt eine »unikale Position« ein und ragte als »Kulminationspunkt für diese Periode« heraus. Welch schöne Deutung findet Fritz Jacobi im Katalog (25 €): »Dieses Gestaltzeichen eines weiblichen Akts wirkt in seiner konsequent nach oben getriebenen Überlängung wie ein Fanal im Raum. Hoch aufragend, von äußerster Spannung erfüllt, verkörpert diese Figur zunächst vor allem den unaufhaltsamen Drang eines Ausgreifens in scheinbar andere Sphären.« Bei Försters Neeberger Figur wäre, nach Kurt Badt, die Präfigur, der »wörtliche Bildsinn«, was der Künstler am Boddenufer bei Neeberg gesehen hat: die aus dem Bad gestiegene Frau, die sich des Badeanzugs entkleidet. So zeigen es ähnlich Försters »Hemdausziehenden« von 1961 und 1962, zu deren Nacktheit das den Hals und dann den Kopf umschlingende Hemd den Kontrast bildet. Sie stehen sich in der Ausstellung gegenüber – vor einem Gang, der in direkter Linie zur Neeberger Figur führt. Die Plastik entwickelt einen allegorischen Bildsinn, indem der Künstler »mit einer eigenen Stellungnahme zum Körper« (W. F.) den Realismus auflädt. Förster durchforschte die Anatomie. Er entblößt das Innere und läßt – nicht naturalistisch – beispielsweise den vorderen oberen Darmbeinstachel herausragen, dehnt und staucht die Glieder, drückt von der gestrafften Figur die Kniepolster oder den Schamhügel heraus, Muskelwülste steigen eiförmig auf und schließen sich um die Säulen des Knochengerüstes. Die Gliedreihen der Zehen sind mit den Mittelfußknochen zur Fußwurzel verbunden und geben den Füßen auf der abschüssigen Fläche Verwurzelung. Die Tektonik verleiht der Figur konstruktive Festigkeit. Ihre Kraft drückt mit Anspannung nach außen, beständig, doch nicht erstarrt. Mit Symmetrie und gesteigerten Proportionen, durch Idealisierung mit schematisierenden Zügen, durch die feine Draperie, die ähnlich dem harten Frühstil der Antike das Körpervolumen straff umspannt, gewinnt die figurale Bedeutung. Eigenständig entwickelte plastische Formen, weit entfernt vom Realismus der Berliner Gerstel-Schule, entstehen in einer Synthese abstrakter und figuraler Formbestrebungen und erzeugen den allegorischen Bildsinn einer vitalen, kraftvollen Frau, ganz ihrer Selbst bewußt, trotz umhüllten Kopfes. Das Motiv entspricht der vom Künstler gesehenen und beschriebenen »Vision einer hoch aufgerichteten Frau, durch deren Leib in Kopfhöhe ein fasriges Wolkenband zieht«. Das Wolkenband verwandelte er in einen »kopfverdeckenden, gewandartigen Querriegel zur aufstrebenden Vertikale«, durch »die Verhüllung des Kopfes wurde die Figur zur Metapher für das Weibliche: zum erotischen Zeichen« (W. F.). Diese Intention wurde so seltener gesehen. Aus dem Kontrast der Figur zur Draperie, die sie zu fesseln scheint, wurde die Deutung der dualen Gegengestalt entwickelt. Denn das sich um den Kopf schlingende Gewand könnte auch eine Spaltung im Seelenleben zeigen und auf Atemnot hindeuten. In neuerer Zeit wird sie in Klaustrophobie gesehen und politisch interpretiert als Sinnbild qualvoller Knebelung des Freiheitsbedürfnisses. Doch gegen diese Interpretation steht die Bekrönung der Plastik mit einer gelösten Gebärde, den sich »blütenhaft … halb öffnenden Händen« (Heiner Protzmann). Sie schließen sich ein wenig, ohne dabei das Tuch fassen zu wollen. Die Finger tasten nicht blind, sondern umfassen empfindsam eine vorgestellte Form als Lob des menschheitlichen Gebrauchs der Hände. Die Parallelen von Armen und von Beinen geben, vom sinnlichen Blick angeschlagen, wie Stimmgabeln einen Klang. Aufschwingend deute ich die Neeberger als dialogisches Werk, in dem sie auf die Tat wartet, vom Geliebten ausgekleidet zu werden. Sie ist eine Freundin der »großen schimmernden Mädchen« von Saint-John Perse, dem von Förster hochgeschätzten Dichter, der sie mit »göttlichen Fersen«, »geweihten Händen«, »dem Schild der Brüste«, »diesen regsamen Knoten der Lenden« in seinen Preisliedern von Friedhelm Kemp ins Deutsche übertragenen Preisliedern feiert. Försters Vermögen brachte die Neeberger hervor, eine liebevolle Schöpfung, die seiner Vision standhielt, eine gültige Lösung. Försters Lebenswerk ist in weiteren Höhepunkten im öffentlichen Raum zu erleben: der Große Trauernde und die Nike in Dresden, der Marsyas in Bautzen, die Hommage à Schiller in Weimar oder die Große Badende im belgischen Middelheim. Wieland Förster stellt mit seinen Plastiken und Zeichnungen in Inhalt und Form »eine Gegenkraft gegen ›Barbarisches‹ auf, weil er dieses sowohl persönlich erleiden mußte, als auch überpersönlich als eine vielfältige Bedrohung des Humanen bloßstellen und abwehren will« (Peter H. Feist). »Figur tut weh. Positionen um Wieland Försters Große Neeberger Figur« bis 12. April, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, Di, Mi und Fr bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 21 Uhr
Erschienen in Ossietzky 4/2015 |
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