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Und nun wird vor der Gefahr gewarnt, daß Bürgerinnen und Bürger in anderen südeuropäischen Ländern sich ähnlich aufsässig verhalten könnten wie die in Hellas ... Voraussichtlich also wird Tsipras Ministerpräsident – groß kann dann der Handlungsspielraum für eine regierende Syriza-Partei nicht sein. Deshalb wird sie manche Erwartungen enttäuschen, die WählerInnen mit ihr verbunden haben. Immerhin hat sie die Chance, gegen die Verarmungspolitik anzugehen, mit der bisher die Finanz- und Politikgewaltigen draußen und in Griechenland selbst fälschlich »wirtschaftliche Gesundung« herzustellen versprachen. Bisher sind die angeblich wohltätigen Kredite denen zugute gekommen, die ohnehin ihren Profit machen. Zudem ist der Erfolg von Syriza ein erfreuliches Zeichen dafür, daß nicht immer und nicht überall der gemeine »Souverän« sich von demokratischer Widerständigkeit abbringen läßt, wenn ihm das Fell über die Ohren gezogen werden soll. Arno Klönne Mittelständler marschierenBis zu 25.000 Demonstranten sollen es gewesen sein, die in den vergangenen Wochen als »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) durch Dresden gezogen sind. Was verstehen diese Leute unter ihrer anmaßenden, hochtrabenden Bezeichnung? Was wollen sie? Die meisten marschierten schweigend, einige grölten. Neonazis aus ganz Deutschland reisten an, um die montäglichen Zusammenkünfte für sich zu nutzen. Offenbar spekulierten sie auf verbreitete Ängste vor gewalttätigen Gruppen wie Al-Kaida, Boko Haram oder IS. Allerdings spielen gerade in Sachsen Flüchtlinge aus diesen Kampfgebieten zahlenmäßig kaum eine Rolle. Selten sieht man hier Frauen mit Kopftüchern. Woraus also rekrutieren sich hier die Pegida? Eine Forschungsgruppe der Technischen Universität Dresden hat erstmals Daten vorgelegt. Mit 400 Befragten war die Erhebung wenig repräsentativ, aber die Ergebnisse geben zumindest Hinweise für Nachforschungen. Sie könnten überschrieben werden mit »Die Mittelschicht marschiert«. Es zeigt sich, daß es nicht etwa vor allem frustrierte Arbeitslose waren, die mit Pegida auf die Straße gingen, und auch nicht vorrangig Neonazis. Größtenteils erwiesen sie sich als berufstätig und gut ausgebildet. Zwei Drittel verweigerten den Wissenschaftlern jedoch Auskunft über ihre Motive – ein beunruhigendes Ergebnis. Etwa 20 Prozent derer, die Auskunft gaben, äußerten Unmut oder sogar Wut über das politische System der Bundesrepublik. Etwa ebenso viele nannten NPD oder AfD als ihre parteipolitische Präferenz. Für Parteien links von der CDU äußerte niemand Sympathie. Insgesamt ein trauriges Bild der Bundesrepublik. Es reflektiert die zunehmende Zahl der Unzufriedenen, die nicht mehr zur Wahl gehen oder ihre Hemmungen verlieren, AfD oder NPD zu wählen. Die Furcht vor Islam, Islamisierung oder Islamismus ist offenbar nicht der wahre, sondern ein vorgeschobener Grund für Pegida. Parallelen zu den 1930er Jahren werden erkennbar. Damals waren vor allem Juden und Kommunisten Gegenstände des Hasses, der sich – ausgehend von der Mittelschicht – schnell ausbreitete. Die beachtliche Mobilisierungsfähigkeit der heutigen »Bewegung«, die Nachahmer in vielen anderen Städten fordern dazu heraus, ihnen entgegenzutreten, bevor es wieder einmal zu spät ist. Manfred Uesseler Was Wolfgang losläßtUnter der Überschrift »Schäuble bezeichnet Pegida als Phänomen der alternden Gesellschaft« wird dessen Meinung über protestierende Bürger so wiedergegeben: »Immer, wenn es Menschen gut gehe, wollen sie festhalten an dem, was ihnen gefalle. Und sie sind leichter ansprechbar für Populisten, die ihnen versprechen, alles könnte von nun an so bleiben, wie es ist.« Alte Leute, die nicht loslassen wollen? Das klingt ganz so, als ob Schäuble demnächst mitmarschieren wollte. Günter Krone Binnenkonflikte beim KapitalDie Europäische Zentralbank will schrittweise in großem Stil Wertpapiere (Pfandbriefe, Kreditverbriefungen) von Banken und vor allem Staatsanleihen ankaufen, im Gesamtwert von über einer Billion Euro. Die Inflationsrate solle dadurch hochgezogen, Investitionsneigung gefördert, wirtschaftliches Wachstum angeregt werden, sagt EZB-Präsident Mario Draghi. Die Deutsche Bundesbank hält dieses Programm für falsch, die deutschen Ökonomieweisen sind uneins in ihrem Urteil, ein F.A.Z.-Herausgeber allerdings weiß es ganz genau: »Die EZB zerstört das Vertrauen in den Euro ... Nur Reformen könnten in Europa das Wachstum zurückbringen, das hat die Agenda 2010 in Deutschland gezeigt.« Die Bundeskanzlerin äußerte sich moderat, ermahnte jedoch die anderen Regierungen im Euroland, nun »vom Reformkurs nicht abzuweichen«. Bei alledem kommt man erst einmal in Verwirrung, bei näherer Überlegung aber lichtet sich das Halbdunkel: Um finanzpolitische Maßnahmen gegen die zunehmende Verarmung in Europa geht es weder der EZB noch ihren Kritikern. Die Einsprüche gegen Draghi sind motiviert durch die Sorge, der Ankauf von Staatsanleihen könne die so entlasteten Länder und ihre politischen Eliten dazu verführen, bei Lohnsenkungen und beim Abbau von Sozialleistungen etwas weniger rigoros vorzugehen und damit die Profite bestimmter Kapitalsorten zu schmälern. Das ist aber gar nicht die Absicht der EZB; sie möchte das Finanzgeschäft beleben, das profitable Investieren begünstigen und nimmt in Kauf, daß eine Versicherungssparte darunter ein bißchen leidet, wegen des Niedrigzinses, aber dafür blechen am Ende die zahllosen kleinen »Anleger« und Alters-»Sparer«. Daß der produzierende unternehmerische Mittelstand aus der Geldvermehrung durch die EZB Gewinn ziehen könnte, ist nicht zu erwarten. Jubel hingegen brach in der Spekulationsbranche aus, auch der DAX kletterte sofort hoch; da läßt sich an der Börse im schnellen Zugriff viel verdienen. So oder so – um Interessen aus den Palästen geht es, nicht um die aus den Hütten. Freilich, beim großen Kapital gibt es halt immer auch Binnenkonflikte, nicht alle seiner Fraktionen können bei jedem finanzpolitischen Programm gleichermaßen gut abschneiden. A. K. Lügenpresse als »Unwort 2014«Die Sprachjury in Darmstadt habe den Begriff »Lügenpresse« zum »Unwort 2014« gewählt, weil er schon »im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff« war, später »den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien diente«, heute den Pegida-Demonstranten. Selten war eine Wahl aktueller. Sie zielt auf Verteidigung der Pressefreiheit nach dem Attentat auf Charlie-Hebdo-Journalisten, wenn ich über die aus vier angestellten Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten bestehende Jury richtig informiert bin. Dahinter kann aber auch eine raffinierte Umdrehung der Motivation stehen: Lügenpresse für die Nazis war auch die Weltbühne, deren Nachfolger heute wie Ossietzky und junge Welt die Unabhängigkeit und Pressefreiheit bei den großen Leitmedien vermissen. Könnte es eine Instrumentalisierung der Opfer von Paris sein, jetzt den Kampf gegen Medien zu verstärken, die seit Jahren zum Beispiel mit dem Motto »Sie lügen wie gedruckt – wir drucken, wie sie lügen« erfolgreich werben? Wegen der nun stigmatisierten Besetzung des vielfach belegten Sachverhalts einer real existierenden Lügenpresse werde ich zukünftig eher von »regierungskonformen Medien« sprechen. Inhaltlich sehe ich keinen wesentlichen Unterschied. Manfred Lotze Putins GeschenkDie F.A.Z. gab dem ukrainischen Präsidenten Gelegenheit zu einer staatsmännischen Deklaration. Längst Bekanntes überwog darin: Der »Euromaidan« sei eine »Revolution der Würde«, »westliche Werte« stünden »nicht zum Verkauf«, sie hätten höheren Wert als Wirtschaftsinteressen, alle Europäer müßten nun ausrufen: »Ich bin ein Ukrainer«, und so weiter. Aber dann kam doch ein ungewöhnlicher Gedanke Poroschenkos: Die »russische Aggression« habe dem »wachsenden Euro-Skeptizismus der NATO und der EU neue Kraft eingehaucht«. Die Formulierung (oder deren deutsche Übersetzung) ist schief, der Präsident meint ja nicht das Währungssystem, und nicht den Skeptizismus will er vitalisieren, sondern dessen Gegenteil, die Alimentierung seines Regimes möchte er fördern und weitere Waffenlieferung; aber davon abgesehen: So hat Putin doch auch seine Verdienste. M. W. PrioritäterDer SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Gabriel wurde in einem bei Bild online veröffentlichten Interview gefragt: »Steht der SPD-Vorsitzende Sigmar dem Vizekanzler Gabriel manchmal im Wege?« Er antwortete: »Nein, warum sollte das so sein? Bei mir ist es wie bei Angela Merkel: Das wichtigste Amt ist das des Parteivorsitzenden …« Das meint er ernst. Günter Krone Europäischer SozialismusDie Medien konfrontieren ihr Publikum derzeit gern mit der Erkundigung, ob der Kapitalismus (noch) brauchbar sei, und falls ja, welcher Kapitalismus. Entsprechend aktuell ist die Erforschung, inwiefern der Sozialismus – Mutige könnten hinzusetzen: samt dem Kommunismus – denn (wieder) gebraucht würde, und falls ja, in welcher Gestalt. Jeder journalistische und wissenschaftliche Beitrag, der dazu Argumente liefert, pro und contra, ist begrüßenswert. So der hier zu nominierende stattliche Band über den europäischen Sozialismus. Den Punkt, auf den die Verfasserin zielt, deutet sie bereits mit der zweiten Hälfte des Titels an: »… immer anders«. Wenn die »Orthodoxie« dekretierte, Sozialismus müsse unbedingt als »fortwährender Reinigungsprozeß« verstanden werden, hält sie dagegen, seine »Stärke« werde gerade »in der Vielfalt seiner Ausprägungen« sichtbar. Helga Schultz definiert Sozialismus zunächst als einen Ausschnitt aus den Bemühungen der Menschheit um »Weltverbesserung«, also als Antithese zur Politik der »Weltbewahrung« (wobei die Weltbewahrer sich bekanntlich keinerlei Beschränkung auferlegen bei der zerstörerischen Ausplünderung ganzer Kontinente, bei der unbeschränkten Verwüstung der Ökologie). Neben dieser globalen Antithese erscheinen in den einzelnen Kapiteln dann die dem Sozialismus, sofern nicht orthodox aufgefaßt, inhärenten Alternativen, vor allem geht Schultz Fragen nach wie: Verschmilzt der Sozialismus notwendig mit revolutionärer Methodik, existiert er ausschließlich oder bevorzugt im evolutionären Modus, tritt er womöglich in dialektischer Einheit beider auf? Verschiedene Varianten des Sozialismus führt die Verfasserin anhand der Lebensläufe von Theoretikern und praktischen Anwendern des Sozialismus vor. Die Besonderheit ist, daß sie den Blick einmal nicht auf Karl Marx, Friedrich Engels, Wilhelm und Karl Liebknecht, August Bebel, Lenin, Franz Mehring richtet, sondern – aus der Zeit von 1880 bis 1980 – auf einige andere bedeutende europäische Sozialisten, darunter Karl Kautsky, George Bernard Shaw, Jean Jaurès, Otto Bauer, Tito, Herbert Marcuse und selbst solche aus der zweiten und dritten Reihe historischer Persönlichkeiten, sogar auf den einen oder anderen, der nur temporär dem Sozialismus anhing und später zum Renegaten wurde, – immer in der Absicht, jene »Vielfalt« in sorgfältigen Darlegungen zu demonstrieren. Wolfgang Beutin Helga Schultz: »Europäischer Sozialismus – immer anders«, Berliner Wissenschaftsverlag, 566 Seiten, 59 € Mobilisation GénéraleFrankreichs Staatspräsident hat rapide an demoskopischem Rang gewonnen. Der Grund: Das Attentat auf Charlie Hebdo hat ihn dazu veranlaßt, den »Krieg« zu verkünden, gegen den »Terrorismus«, den nichtstaatlichen, fremden (s. Ossietzky 2/15, Seite 75, »Kollateralnutzen«). Eine »Generalmobilmachung« der Grande Nation kündigte Hollande an, auch auf das eigene Terrain gerichtet: Mehr Polizisten und Geheimdienstler, weniger Datenschutz. Die Marseillaise dient als Begleitmusik für diese Politik. Vergewissert man sich ihres Textes, stellt sich heraus: Es mangelt diesem nicht an Blutrünstigkeit. P. S. Über das deutsche WesenIm März 2013 fuhr Helge Malchow, Verleger bei Kiepenheuer & Witsch, zu dem Schriftsteller Christian Kracht nach Oberitalien, aus Anlaß der Veröffentlichung der italienischen Ausgabe des Kracht-Romans »Imperium«. Im Gästezimmer entdeckte er einen kleinen Pappband, dessen Inhalt ihn so faszinierte, daß das Büchlein seit 2014 in deutscher und englischer Sprache vorliegt und sogar den Sprung unter die Topseller schaffte: »Instructions for British Servicemen in Germany 1944«, ein »Leitfaden für Britische Soldaten in Deutschland 1944« (aus dem Englischen von Klaus Modick). Als sich damals, ein Jahr vor Kriegsende, 400.000 britische Soldaten auf den Weg nach Deutschland machten, hatten sie diesen von Deutschlandexperten aus dem britischen Außenministerium verfaßten Text dabei. Die Handreichung sollte die Soldaten über deutsche Geschichte, den Nationalcharakter, über Politik, Kultur, Essen und Trinken, aber auch über die aktuelle Situation aufklären. Die Broschüre sollte die Truppen gegen deutsche Propaganda immunisieren. Daher gab es Ermahnungen mit auf den Weg, zum Beispiel: »Nicht sentimental werden. Wenn die Zeiten für die Deutschen hart sind, sind sie selbst dafür verantwortlich.« Oder: »Deutschen Berichten über den Krieg oder die Ereignisse, die zum Krieg führten, keinen Glauben schenken.« Oder: »Sich nicht von oberflächlichen Ähnlichkeiten zwischen Deutschen und uns beeindrucken lassen.« Klaus Nilius The Bodleian Library (Hg.), Klaus Modick (Ü.): »Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944«, Kiepenheuer & Witsch, 59 Seiten (deutsch) und 65 Seiten (englisch), 8 € Ging ein Mensch des WegsAls wir im Verlag Volk und Welt 1978 debattierten, mit welchem Roman wir die deutsche Herausgabe des schnell berühmt gewordenen Georgiers Otar Tschiladse (geb. 1933) beginnen sollten, stellten wir den jetzt als »Garten der Dariatschangi« erschienenen zurück: Könne es nicht die Kaufbereitschaft beeinträchtigen, daß er sein erstes Werk aus der doch allgemein bekannten griechischen Argonautensage entwickelt? Nun, da von dem 2009 Verstorbenen längst auch deutsch drei Romane seiner »Seelengeschichte des georgischen Volkes« vorliegen, weckt es um so größeres Interesse, zu verfolgen, wie er Elemente der Sage schöpferisch verändert hat: So wird bei ihm das Goldene Vlies, das Jason mit Medeas Hilfe dem König Aietes raubt, erst von der goldgeschwängerten Luft in Wanis Goldschmiedebezirk golden – wie bei Tschiladse Wunder überhaupt an natürlicher Glaubhaftigkeit gewinnen. Andererseits schafft Tschiladse bei der realistischen Gestaltung des Lebens in Wani dank seiner bildhaft monologischen und fallweise mythologisierenden Sprache Anklänge zur Sage. Es ist kein großes Ensemble von Figuren, aber sie vermitteln ein lebendiges Gesamtbild der einstigen Hafenstadt am Schwarzen Meer. Doch wieviel Beziehungskonflikte enthalten sie! Pharnaos – relative Zentralfigur und seit der Kindheit in seine (später zur Hure gemachte) Gespielin verliebt – vermag trotz provokanter Sticheleien seines Neffen (einem Vergewaltigungsprodukt) nicht, sich zu dieser zu bekennen, flieht sogar als Steinmetz nach Kreta, wo König Minos einen Palast baut; und zu welchen Erniedrigungen läßt sich die von ihm ungeliebte Ehefrau Tina herbei, bis er sich in eine Höhle zurückzieht! Allein ein Weinkeller von Wani wie auch das Freudenhaus der Babylonierin gäben Material, die Atmosphäre der Stadt zu beschreiben, und was wäre Wani ohne das Meer, das zur Strafe für die Vorgänge dort zurückweicht. Sogar der paradiesähnliche »Garten der Dariatschangi«, der den deutschen Romantitel geliefert hat, reagiert auf das Verhalten der Einwohnerschaft. Tschiladses Erzählweise sprudelt wie ein unerschöpflicher Gebirgsquell, die Ströme verselbständigen sich, verfolgen seelische Konflikte bis ins Intimste. Wörtlich übersetzt lautet der Romantitel »Ging ein Mensch des Wegs«, was Ewigkeit und Gegenwart, nationale Geschichte und Menschenschicksal einschließt (so der Kritiker Jewgeni Sidorow). Wieviel Denkanstöße gehen allein von der (fast) Hintergrundhandlung mit Pharnaos Vater, dem vollinvaliden »Krieger« aus, der seine Lebenserfahrungen in eine riesige Leinwand stickt! Wenn der Verlag nicht noch mit »Godori« auch Tschiladses letzten Roman deutsch herausgeben sollte, schließt »Der Garten der Dariatschangi« einen vierbändigen Zyklus des Autors ab. Leonhard Kossuth Otar Tschiladse: »Der Garten der Dariatschangi«, aus dem Georgischen mit Nachwort von Kristiane Lichtenfeld. Matthes & Seitz, 663 Seiten, 39,90 € Wie politisch ist Poesie?Von Erich Fried, den er »Hauptvertreter der politischen Lyrik in der Nachkriegszeit in Deutschland« nennt (als könne ein Dichter »Vertreter« von Lyrik sein) – von Erich Fried hat Joachim Sartorius ein einziges Gedicht in seine Sammlung politischer Poesie im 20. Jahrhundert aufgenommen, die er etwas vollmundig »Handbuch« nennt. Es handelt vom Vietnamkrieg und ist maßstabsetzend darin, wie es in knapper Diktion Information, Protest und Entlarvung der Linguistik der Lüge verbindet. Den Mut, auch Frieds fulminante Anklageschrift »Höre Israel« heranzuziehen, hatte Sartorius nicht. Obwohl seine nach Krisenzonen chronologisch geordnete Anthologie auch den »Kriegen im Nahen Osten« ein Kapitel widmet, wo neben Mahmoud Darwish und Adonis auch der Israeli Jehuda Amichai über des sinnlose Töten klagt, ohne nach den Ursachen zu fragen. Politisch sind Gedichte für Sartorius, wenn sie »sich politische Themen vornehmen, keine einfache Moral haben und imstande sind, Komplexität des Nachdenkens und der Gefühle zu erzeugen«. Der sprachlichen Dürftigkeit dieses Satzes entspricht die denkerische. Ausgeklammert bleibt, was auf direkte politische Wirkung zielt, was klare Position bezieht und entschieden Partei ergreift. Als ob es nicht Kampflieder gäbe, die – bei »einfacher Moral« – große dichterische Kraft haben. Als ob nur die Klage sich mit echter Poesie vertrüge und nicht die Anklage, nur das Jammern und nicht des Anprangern, nur des ohnmächtige Trauern und nicht der energische Aufruf zur Tat. Nicht einmal für Brechts »Kinderhymne« ist da Raum, wohl aber für die hermetischen Metapherngespinste des vielleicht doch ein wenig überschätzen Paul Celan. Melancholische Resignation überwiegt die beherzte Attacke und den hoffenden Mut. Allzu politisch soll Poesie nicht sein. Theodor Kramer fehlt ganz, ebenso Peter Rühmkorf. Brecht ist nur mit Belanglosem vertreten. Absicht oder mangelndes Qualitätsgefühl? Letzteres wäre nicht verwunderlich in einer Zeit, die zielloses Assoziieren für kreativ und inkohärentes Stammeln für Sprachkraft hält. Manche der Klagen über das Morden in den Weltkriegen und in den Nazi-Todeslagern wirken unangemessen redselig und lassen die Frage aufkommen‚ ob Adorno recht gehabt haben könnte mit seinem Verdikt, daß es barbarisch sei, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben. Sartorius weiß viel und kennt vie1, und er war sehr fleißig. Man kann durchaus Entdeckungen machen in diesem etwas wahllosen Kompendium, von Zbigniew Herbert bis zu dem guatemaltekischen Revolutionsmärtyrer Otto René Castillo. Der Anspruch, ein »Handbuch« vorgelegt zu haben, ist dreiste Hochstapelei. Hans Krieger Joachim Sartorius (Hg.): »Niemals eine Atempause – Handbuch der politischen Poesie im 20. Jahrhundert«, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 348 Seiten, 22,99 € Streitbar und voller KraftWenn sie durch unseren Ort ging, folgte treu ergeben ihr großer Hund. Die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger wäre am 3. Februar 100 Jahre alt geworden. Ihren 90. Geburtstag feierten wir noch im Berliner Konzerthaus. Sie starb 2009 im Alter von 94 Jahren. In der Galerie »Alte Schule« in Adlershof findet gegenwärtig ihr zu Ehren eine Personalausstellung statt, die am 28. Februar um 17 Uhr mit einer Lesung und Diskussion zum Thema »Steine auf dem Bitterfelder Weg« endet. Die Jüdin Ingeborg Hunzinger studierte an der Berliner Hochschule für freie und angewandte Kunst, mußte jedoch 1939 aufgrund eines von der Reichskulturkammer erlassenen Verbotes abbrechen und emigrierte nach Italien. Den Weg zur Kommunistischen Partei hatte sie aus Überzeugung schon als Siebzehnjährige gefunden. Wieder in Berlin, nahm sie das Kunststudium von 1951 bis 1953 erneut auf und war Meisterschülerin von Fritz Cremer und Gustav Seitz. Als Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR konnte sie äußerst kritisch und unbequem sein. Sie unterbrach manchen Redner, wenn sie Phrasenhaftes hörte und erkannte, daß Ideal und Wirklichkeit nicht übereinstimmten. Resolut vertrat sie ihre Meinung. In unserem Berliner Ortsteil ist die prominente Rahnsdorferin überall präsent. Im kleinen Park am Püttbergeweg steht ihre Arbeit »Älteres Paar«; in einem Vorgarten neben ihrem Haus sieht man die Plastik »Musik im Steinbruch« – eine Reminiszenz an ihre regelmäßige Teilnahme an den Bildhauersymposien in Reinhardtsdorf. Hinter der Kirche im alten Fischerdorf erinnert die Skulptur »Böse Wolke« an die im Müggelsee ertrunkenen Fischer. Eine frühe Arbeit, »Vater und Kind«, ist im Friedrichshagener Park am Müggelsee zu bewundern. Ergreifend das Mahnmal »Umschlungenes Paar« im Hof der Gedenkstätte für die Opfer der Köpenicker Blutwoche von 1933. Im Krankenhaus Köpenick gibt es in einer schaufensterartigen Wandnische das Terrakotta-Relief »Das Leben und der Schutz vor dem Tod«. Mich berührt zutiefst der »Block der Frauen« in der Rosenstraße, 1995 aufgestellt, ein Thema, das ihr als Jüdin besonders am Herzen lag. Diese Frauen erzwangen 1943 die Freilassung ihrer jüdischen Ehemänner und verhinderten die Deportation. Auf der X. Kunstausstellung der DDR in Dresden 1988/89 war die Arbeit »Die Sehnsüchtigen und die Verdursteten« aus dem Schweriner Wohngebiet Am Großen Dreesch zu sehen, und in das Konzerthaus Berlin fügt sich die 1998 entstandene Plastik »Der Klang« ein. Hunzingers Plastiken sind schwer, kraftvoll, erdgebunden und reduziert auf die Botschaft, die sie bringen sollen. Überall in Berlin, und nicht nur dort, findet man Spuren der Bildhauerin. In ihrem Wohn- und Atelierhaus schräg gegenüber der ehemaligen alten Rahnsdorfer Mühle war sie oft allein, vermißte manchmal die Nähe zu anderen Künstlern. Der Friedrichshagener Maler Thomas J. Richter betreute sie liebevoll. Oft war er bei ihr, um der alternden Künstlerin zu raten und zu helfen. Bei einem Besuch mit meiner Arbeitsgemeinschaft »Bildende Kunst« staunten die Schüler, wie die kleine, drahtige Frau geschickt mit den Turnringen hantierte, die im Atelier zur Stärkung ihrer Armmuskeln und zur Entlastung der Wirbelsäule angebracht waren. Heute ist ihr Wohnhaus ein Obdachlosenheim, leider kein Museum. Vergessen ist die streitbare Künstlerin, Kommunistin und Antifaschistin jedoch nicht; ihre Werke begleiten unseren Alltag. Maria Michel Galerie »Alte Schule« Adlershof, 12489 Berlin, Dörpfeldstraße 54–56, geöffnet Di, Mi, Do 12 bis 19 Uhr; Fr 12 bis 17 Uhr; Sa 15 bis 19 Uhr Zuschrift an die LokalpresseIch bin froh darüber, daß die Zeitungen nach den Berichten über Kriege und Messerstechereien endlich wieder über normale Sachen schreiben, zum Beispiel über die Mode und die menschlichen Abläufe. Als die Models noch wie lebende Leichen über die Laufstege der Fashion Week trippelten, las ich, daß noch ein anderer Modehöhepunkt anlag, nämlich am 21. Januar der Tag der Jogginghose. Für mich war das kein Problem, weil ich nur eine Jogginghose habe und mich gar nicht umzuziehen brauche. Aber nun gibt‘s noch einen neuen Aufreger, denn das Amtsgericht in Düsseldorf hat entschieden, daß männliche Mieter in ihrer Wohnung weiter im Stehen pinkeln dürfen. Nun habe ich aber schon lange keine Wohnung mehr, und ich habe mich immer in Parkbüschen oder an Häuserecken erleichtert. Für mich ist im Prinzip die ganze Stadt meine Wohnung. Gilt das Urteil entsprechend auch für mich? Oder kann ich mich eventuell auf die Gerichtsentscheidung berufen, wenn ich bei irgendwelchen Leuten klingele und in ihrer Wohnung die Örtlichkeiten nutzen möchte? Oder gibt’s vielleicht schon eine Sammeleinrichtung für obdachlose Stehpinkler? Denn die vornehmen WC-Häuschen mit Musik vom Mozart oder vom Verdi kann ich mir erstens nicht leisten und zweitens bin ich auch nicht so musikalisch! – Willibald Knautschke (63), obdachlos, 07589 Lederhose Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 3/2015 |
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