Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Auch Tucholsky konnte sich irrenWolfgang Helfritsch »Den eigentlichen Anfang nahm das Abenteuer erst, als wir in Löwenberg umstiegen.« So jedenfalls beschrieb Kurt Tucholsky seine Exkursion mit der angehenden Medizinerin Claire Pimbusch 1911 nach Rheinsberg. Dann berichtete er über den Anschlußzug, der sie zuverlässig durch die sandige Landschaft ruckelte, bevor sie den Bahnhof der märkischen Kleinstadt erreichten, und unterwegs rief der selbstbewußte Schaffner laut den Haltepunkt »Köööpernitz!« aus. Als ich mich an Tucholskys 125. Geburtstag mittels öffentlicher Verkehrsmittel darum bemühte, das Tucholsky-Literaturmuseum anzusteuern, war alles ganz anders. Daß mir keine Else Weil am Arm hing, war auf Grund meines fortgeschrittenen Alters noch erklärbar, und Autorin Sunhild Pflug, die ihr Büchlein »Da stehen die Häuser, und lassen in sich hausen ...« vorstellen wollte, befand sich verständlicherweise bereits vor Ort und bedurfte nicht meiner Begleitung. Außerdem kannte sie die ehemalige Tucholsky-Gedenkstätte längst von innen und außen, hatte sie sich hier doch mit der Präsentation ihrer Else-Weil-Spurensuche bereits Jahre zuvor ihre Meriten verdient. Ohne die Sunhild wüßten wir weniger über die Pimbusch. Für mich hatte das Abenteuer schon am Alexanderplatz seinen Anfang genommen, als mir die Dame am Informationsschalter der Deutschen Bahn gegen 15.30 Uhr mitfühlend auseinandersetzte, daß es im Glücksfall gerade noch gelingen könnte, halb sieben in Rheinsberg anzukommen – eine Rückreise nach 21 Uhr könne ich mir jedoch getrost abschminken. Gut, sagte ich mir, wir leben nicht mehr in Tucholskys Zeiten, und ohne Mut zum Experiment geht schon gar nichts, und Sunhild Pflug und ihr Neuling sind mir das Risiko der Fahrt wert. Es war feuchter Jänner, und winters steht der Schienenstrang nach Rheinsberg sowieso Fontanes Wanderern zur Verfügung. Der lokale Zug, so er denn im Sommer wieder fährt, überspringt den Haltepunkt Köpernitz längst im Durchreisen. Doch zunächst waren einige Fährnisse zu überwinden: die U-Bahn-Anfahrt nach Gesundbrunnen, die S-Bahn-Tour nach Hennigsdorf, das Warten auf die Regionalbahn und die Weiterfahrt nach Neuruppin sowie das Umsteigen in den Bus, der eine ausgedehnte Schleife über Lindow nimmt. Die Bahn erschwerte den Ablauf zusätzlich durch zwei Verspätungen, bedankte sich jedoch über Lautsprecher freundlich für das Verständnis. Das hört man gern, wenn man bei Nieselregen auf dem nicht überdachten Bahnsteig von Hennigsdorf steht. Soweit zur Anreise zur Wiegenfest-Party für Tucholsky, in die ich über einen schlechtbeleuchteten, halsbrecherischen Anmarschweg im Schloßgelände gerade noch gegen halber achte hineinstolperte. Aber nicht der Weg war das Ziel, sondern Sunhild Pflugs Büchlein über Kurt Tucholskys Wohnorte in Berlin, und das hatte die Strapazen der Anreise allemal verdient. »Ich wohne bei Hessler, aber ohne Badezimmer«, klagte Kurt Tucholsky 1927 an seine zweite Frau, Mary Gerold, aus einem Berliner Hotel nach Paris. Schon mit diesem Zitat, das unauffällig den marmorierten Umschlag der Dokumentation ziert, trifft Sunhild Pflug ins Schwarze. Der Mann, der in gutsituierten, bürgerlichen Verhältnissen aufwuchs, liebte den Komfort, auch den seiner Behausungen. Er stellte Ansprüche, und es ist kein Zufall, daß er uns auf seinen Konterfeis gepflegt in gutgebügelten Anzügen, im Binder und in Pose entgegenlächelt und seine photographischen Überlieferungen nicht dem zufälligen Schnappschuß überläßt. Seine Großcousine Brigitte Rothert hat mir mehrfach bestätigt, daß ihr Verwandter auf Äußerlichkeiten großen Wert legte und auf seinen Reisen stets mehrere komplette Anzüge mitführte. Letztere wechselte er zwar mit Sicherheit häufiger als seine Unterkünfte, aber auch in denen hielt es ihn nur begrenzte Zeit. Und das hing nicht nur mit seiner Umtriebigkeit und seiner Liebe zum Reisen zusammen, sondern mit seinen wechselhaften Stimmungen und mit dem Beharrungsvermögen, das allein den Menschen langzeitig an eine bestimmte Umgebung bindet. Berlin empfand er sowieso als »gräßlich«, aber auch in Paris, mit dem er sich eher identifizieren konnte, wechselte er während des vergleichsweise kurzen Aufenthalts mehrmals seine Postanschrift. »Obwohl ein geborenes Großstadtkind«, befindet die Autorin, »suchte [Tucholsky] zeitlebens die Stille, Orte der Abgeschiedenheit, die ihm ein Gleichmaß des Arbeitens versprachen und doch ausreichend Freiraum für die in seinen Augen wichtigen und elementaren Dinge des Lebens boten.« Und sie folgert: »Zum richtigen Leben und Wohnen schlechthin ist … Kurt Tucholsky nicht gekommen.« So strahlt seine Beschreibung des Parks Monceau auch mehr Häuslichkeit und Komfort aus als die lückenhafte Darstellung seiner Wohnverhältnisse zwischen Mietwänden und in Suiten. Wer von dem Büchlein lediglich eine Auflistung der Wohnstätten und Wohngebiete Tucholskys erwartet, wird zum Glück enttäuscht. Pflug charakterisiert mit den Mietwohnungen Tucholskys treffend das bürgerliche Wohnmilieu der Hauptstadt der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und betont Kaspar Hausers Abstand zum gemeinen Berliner, obwohl er dieser Kategorie selber zugehörte. Und sie läßt durchblicken, daß der beste Wohnkomfort und die interessantesten Gegenden nur dann Ausgeglichenheit und Zufriedenheit bewirken, wenn das Familienklima stimmt. Und das stimmte bei Tucholsky seit dem Tod des geliebten Vaters weder in seinen Jugendjahren noch später, als er seinen beiden Ehen in Berlin und Paris aus ihren Behausungen davonfloh und es auch mit Lottchen nicht lange zwischen gemeinsamen Wänden in Schweden aushielt. Es ist anerkennenswert, daß sich die Autorin nicht nur der damaligen Beschaffenheit der Wohnstätten zuwandte, sondern auch Tucholskys literarisch-publizistischer Betätigung im Aufenthaltszeitraum. Der Neugier, was aus den Häusern geworden sein mag, in denen KT in Berlin zeitweilig lebte, kommt die Autorin durch Fotos, Adreßbücher, Standortschilderungen und Stadtplanauszüge entgegen. Dabei beantwortet sich auch unaufdringlich die Frage, was ein Krieg aus Häusern machen kann und aus den Bewohnern, die darin einst ihr Glück suchten und nicht selten ihr Unglück fanden. Da wurde Tucholskys Voraussage »Diese Häuser werden länger leben als du« nicht selten vom mörderischen Lauf der Dinge korrigiert. Sunhild Pflugs Arbeit ist kein neues Standardwerk über den Autor. Aber es ist ein liebenswertes Accessoire, das einem den aufmüpfigen Vielschreiber und seine Irrtümer näher bringen kann. Sunhild Pflug: »Da stehen die Häuser, und lassen in sich hausen ... Kurt Tucholskys Wohnorte in Berlin«, Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte, Frankfurter Buntbücher 56, hg. von Wolfgang de Bruyn und Hans-Jürgen Rehfeld, 32 Seiten, 8 €
Erschienen in Ossietzky 3/2015 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |