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In einem Buch, das er selbst als Polemik bezeichnet, setzt Norbert Blüm sich mit der »Willkür an deutschen Gerichten« auseinander. Dabei bekennt der studierte Philosoph gleich zu Beginn seines Buches, daß ihn Jura »nie sonderlich interessiert« habe und »Recht und Gerichte ... bisher nicht im Fokus [seines] Lebenslaufes« standen. Seine Berührungspunkte mit der Justiz waren eher die Ausnahme. Nach eigener Einschätzung hielt er »Gerechtigkeit vor Gericht ... für etwas Höheres, höher als alles, was [er] sozialpolitisch mache.« Man mag dies vielleicht für ein wenig naiv halten, es war aber offensichtlich lange Jahre Blüms Grundüberzeugung, die sich noch verfestigte, als er während seiner Ministeramtszeit eine Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erlebte. Den Einzug der Richter vergleicht Blüm mit »der Eröffnung eines Festgottesdienstes«. »Mein Verhältnis zur Justiz war ehrfurchtsvoll wie das eines Gläubigen zu Gott.« An dieser Stelle spätestens wird der erfahrene Jurist etwas süffisant lächeln, weil er die Wirklichkeit der Justiz erlebt hat und sein Bild deshalb von deutlich mehr Realitätspraxis geprägt ist. Blüms juristisches Weltbild änderte sich anscheinend erst nach dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit, als er mehr Zeit hatte, sich Bekannten und Freunden zuzuwenden, die ihm ihre Erlebnisse mit der Justitia schilderten, was ihn offensichtlich zu weiteren Recherchen animierte. Lange Zeit ging Blüm davon aus, »Schlachten der Gerechtigkeit [würden] nicht vor Gericht, sondern vor allem auf dem politischen Kampffeld geschlagen«. Diese Überzeugung muß man vermutlich haben, um in der aktiven Politik bestehen und um ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein entwickeln zu können. Die Arbeit an dem Buch hat Blüms Zweifel an der Unfehlbarkeit der deutschen Justiz offenbar genährt. Dabei kommt er zu Erkenntnissen, über die es nicht nur nachzudenken lohnt, sondern mit denen der Autor auch ein Erfordernis für Veränderungen deutlich macht. »Die dritte Gewalt schickt sich an, Staat im Staate zu werden. Die Jurisdiktion scheint niemandem rechenschaftspflichtig zu sein, außer sich selbst ... Ich bezweifle nicht die unverzichtbare Funktion der Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Aber ich beklage ihre Selbstgefälligkeit, mit der sie jedwede Kritik als Angriff auf ihre Unabhängigkeit abschmettert.« Manche Richter sind bei der Bewertung der ihnen anvertrauten Menschen keineswegs zurückhaltend und finden mitunter überdeutliche Worte, wo ein wenig mehr Maßhaltung, mitunter sogar Demut, angezeigt wäre. Dieselben sind aber im Zweifel besonders dünnhäutig und geradezu mimosenhaft, wenn sie ihrerseits auf Fehler oder Irrtümer hingewiesen werden. Ein Richter gilt gern als unfehlbar, ist es aber öfters nicht und kann es auch schlechterdings nicht sein, denn er ist kein Übermensch und auch nicht allwissend. »Es irrt der Mensch, solang er strebt«, wußte Altmeister Goethe schon, der ganz beiläufig auch Jurist war. Wer einmal Richter ist, der bleibt es auch. Während Politiker unter öffentlicher Beobachtung, vor allem von Journalisten, stehen und Kritik an ihnen bis hin zum Rücktritt führen kann, prallt dies am deutschen Richter in der Regel ab. Norbert Blüm bringt sowohl bekannte als auch unbekannte Fallschilderungen, um am Einzelbeispiel deutlich zu machen, wo es im Gebälk knistert. Seine Erkenntnisse sind oftmals zwar banal, aber deshalb keineswegs falsch. »Richter sind frei wie die Vögel unter Gottes weitem Himmel.« Er schildert »erschütternde Überheblichkeit« und setzt sich kritisch mit Richterprivilegien wie der nicht geregelten Anwesenheitspflicht und der völlig selbstbestimmten Zeiteinteilung auseinander, die es aus Blüms Sicht zu überdenken gilt. Immer wieder kommt der Vergleich zur Politik: »Richter und Politiker leben scheinbar auf verschiedenen Sternen. Hochmut und gespielte Unterwürfigkeit sind offenbar professionelle Deformationen, unter denen beide leiden.« In diesem Sinne setzt sich Blüm mit der Rechtspflege, vor allem dem Beruf des Richters, aber auch dem des Rechtsanwalts auseinander. Seine Erkenntnisse sind letztlich zwar nicht neu, aber in dieser Form doch selten so komprimiert auf den Punkt gebracht – und leider auch überwiegend zutreffend. Die Justiz ist die dritte Säule staatlicher Gewalt. Es wird viel Wert darauf gelegt, daß die Bundesrepublik als Rechtsstaat gilt. Beeinträchtigungen dieses äußeren Bildes sollen nach Möglichkeit vermieden werden, weshalb auch in der öffentlichen Diskussion das, was von Blüm so gnadenlos angesprochen wird, meist nur verhalten zum Ausdruck kommt. Das Buch ist zweifellos für all diejenigen ein Gewinn, die entweder sich auf Berührungen mit der Justiz einstellen müssen oder aber sich in besonderer Weise für die Thematik interessieren. Richter werden vermutlich weniger darunter sein. Eine Hoffnung wird man aber den Lesern nehmen müssen: Eine Änderung der von Blüm kritisch angesprochenen Probleme ist in absehbarer Zeit wohl nicht zu erwarten. Norbert Blüm: »Einspruch! Wider die Willkür an deutschen Gerichten. Eine Polemik«, Westend Verlag, 245 Seiten, 19,99 €
Erschienen in Ossietzky 3/2015 |
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