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Arnaud Amaury, der vom Papst ernannte Heerführer der Kreuzritter, antwortete auf die Frage, was mit jenen geschehen sollte, die behaupten, Katholiken zu sein: »Tötet sie alle, der Herr wird die seinen schon erkennen.« In einem Brief an Papst Innozenz III. schrieb der Abt von Cluny später stolz von 20.000 Getöteten. Eigentlicher Profiteur dieses Kreuzzuges war freilich der französische König Philippe II., der schon lange ein Auge auf das reiche Okzitanien hatte. Die Macht hatten dort aber der König von Aragon und der Graf von Toulouse. Im Jahre 1229 fiel der Landstrich an Frankreich. Im Namen Gottes wird bis heute in den Kampf gezogen. Jenes höhere Wesen, wie Böll es in einer Satire nannte, eignet sich hervorragend für die Legitimierung von Kriegen und Völkermorden. Denn der Herr äußert sich nicht direkt, sondern läßt seine menschlichen Stellvertreter verkünden, was zu tun sei, und lebensgefährlich ist es, die Gottheit zu hinterfragen. Im 16. Jahrhundert wurde die Eroberung des amerikanischen Kontinents und die weitgehende Ausrottung der indigenen Bevölkerung mit deren Gottlosigkeit gerechtfertigt. Den Kolonialtruppen, die den afrikanischen Kontinent unterwarfen, folgten alsbald Heerscharen von Missionaren zur Bekehrung der Heiden. Im 20. Jahrhundert wurde vor allem im Ersten Weltkrieg der Allmächtige von allen Beteiligten heftig bemüht. Der russische Zar berief sich ganz selbstverständlich auf das Gottesgnadentum, die deutschen Soldaten verkündeten auf der Gürtelschnalle ihrer Uniformen, daß Gott mit ihnen sei, in allen Armeen beschworen Feldgeistliche den Schutz des jeweils Allmächtigen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das höchste Wesen zumindest in Europa weniger in Anspruch genommen. Das imperiale Japan freilich war mit seinem Gottkaiser Hirohito bis zur militärischen Niederlage 1945 eine kriegerische Theokratie. Nach dem Krieg geriet das Modell des Gottesstaates in Vergessenheit, die Verheißungen von Demokratie und nicht endendem Fortschritt, revolutionäre Veränderungen in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas und eine fortschreitende Säkularisierung machten religiös motivierte Kriege scheinbar obsolet. Erst 1979, als die sowjetische Armee in Afghanistan eingriff, öffneten die USA unter den Präsidenten Carter und Reagan die Büchse der Pandora, indem sie den muslimischen Dschihad gegen die ungläubigen Sowjets massiv unterstützten. Der Islam, eine durch den Kolonialismus zutiefst gedemütigte Religion, bezog aus der Kombination von saudischem Geld und amerikanischen Waffen neues Selbstbewußtsein. Taliban und Gotteskrieger gaben nach dem Sieg über die Ungläubigen keineswegs ihre Waffen ab, sondern richteten diese gegen den ehemaligen Waffenlieferanten. Seit den Kriegen der USA in Afghanistan und Irak hat der militante Islam sunnitischer Prägung starken Zulauf, und dies nicht nur aus den traditionell muslimischen Kernländern. Die Skandalorte Guantanamo und Abu Graib sind für Muslime eine starke Motivation, sich für den militanten Islam zu entscheiden. Mit der Errichtung eines islamischen Staatsgebietes in Syrien und Irak gibt es einen neuen Gottesstaat, der sich auf eine buchstabengetreue Auslegung des Koran beruft und die Soldaten westlicher Länder ausdrücklich als »Kreuzritter« bezeichnet. Gleich nebenan befindet sich Saudi-Arabien, ein Staat, der die Scharia ebenso brutal praktiziert wie der IS, der aber Dank seines Öls als geschätzter Partner der westlichen Wertegemeinschaft gilt. Die 1979 errichtete islamische Republik Iran war letztendlich die religiöse Alternative zu der Zerschlagung der demokratischen Regierung von Mohammad Mossadegh durch den CIA im Jahr 1953. Das Schah-Regime konnte sich 26 Jahre lang durch repressive Maßnahmen an der Macht halten, doch die märchenhafte Prachtentfaltung des Herrschers Pahlavi stand im krassen Gegensatz zur Situation der armen Bevölkerung. Da der schiitische Islam als einzige intakte Gegenmacht übriggeblieben war, konnte dieser mit religiösem Furor einen Gottesstaat errichten, der im Umgang mit seinen Gegnern freilich ebenso wenig Gnade walten ließ wie der Schah. Israel, welches gerne als einzige Demokratie des Nahen Ostens bezeichnet wird, ist auf dem besten Weg zu einem Gottesstaat, der zudem über Atomwaffen verfügt. Einerseits gewinnen die religiösen Parteien ständig an Einfluß, andererseits beruft sich die aggressive Siedlerbewegung auf 3000 Jahre alte göttliche Verheißungen, um die Landnahme im Westjordanland zu legitimieren. Die Siedler verstehen sich als Gotteskrieger und handeln auch so, wenn sie zum Beispiel Brandanschläge auf Moscheen begehen. Auch die Palästinenser sehen nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen um einen eigenen Staat ihr Heil in der Religion. Jerusalem, das im Mittelalter Eroberungsziel christlicher Kreuzritter war, wird mehr und mehr wieder Symbol für einen neuen Krieg der Religionen. Die Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan verändert sich gerade von einem laizistischen in einen islamisch geprägten Staat. Die 1918 von Atatürk eingeführte laizistische Gesetzgebung wird Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt, das Land besinnt sich auf seine historische Rolle als islamische Hegemonialmacht. Auch in der Türkei ist Religion die Antwort auf vermeintliche Demütigungen durch Europa und die USA. In Afrika entstehen als späte Antwort auf den Kolonialismus islamische Gruppen, die sich gegen alles richten, was von den Kolonialmächten propagiert wurde. In Somalia hat sich die Al-Shabaab-Miliz etabliert und massakriert auch im Nachbarland Kenia Menschen, die keine Muslime sind. In Nigeria hat sich im Norden Boko Haram, eine militante islamische Bewegung etabliert, die den Kampf gegen westliche Bildung sogar im Namen trägt. Eine andere Variante ist die Lords Resistance Army des Joseph Kony in Uganda, die die Religion der ehemaligen Kolonialherren als brutale Legitimation für eine Schreckensherrschaft mißbraucht. Aber auch der westliche Hegemon, die USA, haben eine lange militant-religiöse Tradition. Es ist vor allem der Konkurrenz der christlichen Religionen und Sekten zu verdanken, daß das Land nicht zu einem Gottesstaat konvertiert. Immerhin versteht man sich gern als »nation under god«, viele Amerikaner sprechen von ihrer Heimat als »God‘s own country«, und auf dem Dollarschein findet sich immer noch die Aufschrift »In god we trust«. In keinem westlichen Land ist Religion so allgegenwärtig wie in den USA, und wer sich dort als »Ungläubiger« outet, wird zwar nicht geköpft, aber die »nice-to-meet-you«-Floskel wird man nicht zu hören bekommen. Die westliche Wertegemeinschaft – ein Begriff aus dem Kalten Krieg – hat an Bedeutung, vor allem aber an Glaubwürdigkeit verloren, auch wenn sie immer wieder beschworen wird. Die nicht endenden Wirtschaftskrisen, der Demokratieabbau, die Verarmung in den westlichen Kernländern und die damit verbundene Perspektivlosigkeit sind der Nährboden für die Hinwendung zu einer religiösen Alternative. In den arabischen Ländern ist es vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die junge Männer zu Gotteskriegern werden läßt. Das Bedürfnis, ernst und wichtig genommen zu werden, schafft willige Märtyrer. Zu lange hat der technische Fortschritt, verbunden mit einem ungehemmten Machbarkeitswahn, den dringenden Wunsch nach Identität und Lebenssinn unterdrückt. Die Biographien der Attentäter von Paris zeigen, wie schnell der Wunsch nach Anerkennung und Respekt zu einem fatalen Akt religiösen Fanatismus führt. Kriege im Namen der Religion gehören daher leider nicht in die Geschichtsbücher des Mittelalters, sondern sie sind Teil des 21. Jahrhunderts. Daß die Gotteskrieger als unfreiwillige Helfershelfer oft ganz anderen Interessen dienen, hat sich allerdings seit den Kreuzzügen nicht geändert.
Erschienen in Ossietzky 3/2015 |
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