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Rückgratlose Politiker aller Couleur, voran Vizekanzler und SPD-Vorsitzender Gabriel, dienen sich für »Gespräche« mit den Protestlern an, weil man – ich kann es nicht mehr hören – deren »Ängste ernst nehmen« müsse. So reden Mandatsträger, die notorisch den Willen ihrer Wähler mißachten. Nicht Einsicht motiviert sie, sondern die Furcht, der Kahn könnte ihnen aus dem Ruder laufen. Für die neueste Oxfam-Armutsstudie haben »Tagesschau« & Co nicht einmal halb soviel Aufmerksamkeit und noch viel weniger Sendezeit übrig. Oxfam (Oxford Committee for Famine Relief) ist eine internationale Entwicklungsorganisation, die weltweit Menschen gegen die Armut mobilisiert. Sie hat auch die deutschen Verhältnisse untersucht. Ihr Ergebnis wäre eine komplette »Tagesschau«-Sendung mit Filmen, Grafiken und Erläuterungen wert: Die fünf reichsten Deutschen haben ebensoviel Geld wie der ärmere 40-Prozent-Anteil der Bevölkerung. Das Vermögen des reichsten Prozents ist ebenso groß wie das von 80 Prozent der Gesamtbevölkerung: fast drei Billionen Euro. Damit könnte die Staatsverschuldung komplett getilgt werden, obendrein wären der Bundeshaushalt des vorigen Jahres damit zu finanzieren gewesen und der Aufwand der gesetzlichen Krankenversicherungen. Das soziale Unrecht hierzulande ist so monströs, die Daten sind so abstrakt, daß der Normalverbraucher sich nichts mehr darunter vorstellen kann. In den Chefredaktionen der konzern- und der regierungsfrommen Massenmedien weiß man das, verschweigt die Fakten aber trotzdem lieber und vermeidet erst recht jede analytisch saubere Aufklärung, warum die öffentlichen Schulden in Deutschland inzwischen bei fast 2,5 Billionen Euro angelangt sind, während das private reine Geldvermögen – ohne Immobilien und Unternehmensbeteiligungen – auf fast sechs Billionen Euro anschwoll. Am Tag, an dem die »Tagesschau« vermeldet, daß der Pegida-Anführer Bachmann den Vorsitz seines schrägen Vereins aufgegeben habe und gegen ihn wegen Volksverhetzung ermittelt werde, dem Tag, an dem in Leipzig die Ersatzdemo der »Wutbürger« keine 15.000 Teilnehmer mehr findet, kungeln tausend Superreiche dieser Welt wieder mit ebenso vielen »Spitzenpolitikern« (inklusive Kanzlerin Merkel) auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) im schweizerischen Davos über das Schicksal der Menschheit. Das WEF – übrigens eine gemeinnützige Stiftung – erlaubte heuer zwar der Uganderin und Oxfam-Chefin Winnie Byanyima, als Co-Moderatorin das Forum mit Armutsfakten zu konfrontieren. Aber: Fürchten diese immens Reichen wirklich das Pulverfaß, auf dem sie sitzen? Schon nächstes Jahr wird das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen zusammengerafft haben als die restlichen 99 Prozent der Menschheit. Noch klarer: Die 80 reichsten Männer haben ein gleich großes Vermögen wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Was für eine ungeheuerliche Gleichung: 80 Reiche = 3.500.000.000 Menschen. Auf Einsicht und Umkehr der Milliardäre darf man freilich nicht hoffen; die Erfahrung, daß ihr Reichtum den Tod von Millionen Menschen und Ströme von Blut bewirkt, hat bisher niemals ihre Profitsucht gebremst. Vielmehr beraten einige von ihnen, darunter der superreiche Bill Gates, in verschwiegenen Zirkeln darüber, wie und mit welchen Vernichtungsprogrammen sich die Weltbevölkerung um einige Milliarden Menschen reduzieren ließe, notfalls sogar gewaltsam. Was haben diese Vorgänge mit den in Sachsen aufmarschierenden »Wutbürgern« zu tun, mit den weder armen noch superreichen Angehörigen der Mittelschicht? Es gibt ideelle Gemeinsamkeiten. Auch Pegida und ihre Mitläufer sind reaktionär geprägt, sie entstammen überwiegend dem für rechtsextreme Parolen empfänglichen Bevölkerungsteil. Ein weithin ignorierter Fakt. Da die Lügenpresse – der Generalverdacht gegenüber unseren Massenmedien ist absolut berechtigt – da die Lügenpresse sich keiner qualifizierenden Analyse befleißigt, darf ich an die Ergebnisse der Studien zum Rechtsextremismus erinnern, die vor Jahrzehnten vom Sinus-Institut der Universität Heidelberg aufgenommen wurden und seit 2002 an der Universität Leipzig weitergeführt werden. Empirisch einwandfrei, auf der breiten Basis von 7000 Befragten, stellten die Wissenschaftler fest, daß mehr als 13 Prozent der Deutschen ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild« haben und daß weitere 37 Prozent sehr empfänglich sind für rechtsextremes Gedankengut. Jeder zweite in dieser Gruppe befürwortet Gewalt zur Konfliktlösung. In diesem Sumpf blüht Pegida. Das rechtsextreme Denkmuster ihrer Gefolgschaft enthält laut Sinus-Studie folgende Komponenten: Autoritarismus, das heißt die Bereitschaft, sich freiwillig einem stärkeren »Führer« unterzuordnen; Nationalismus, also die Überbetonung der eigenen Nation und Abwertung anderer Nationen; Fremdenfeindlichkeit, das heißt Verachtung und Ausgrenzung anderer Ethnien; Islamfeindlichkeit; schließlich Pronazismus, beim harten Kern also Verharmlosung oder gar Rechtfertigung der Nazipest. Auch Wohlstandschauvinismus ist dabei, die Diskriminierung von Menschen sozial niedrigerer Herkunft. Gemeinsamer Nenner all dieser »Patrioten« ist aber der Rassismus. Auf welcher Gesprächsebene ist mit diesem Segment unserer Nation zu reden? Ist eine Perspektive des Umdenkens überhaupt möglich? Schwerlich, denn nicht einmal der verbriefte Informationsauftrag unserer Massenmedien schafft die nötigen Mindestvoraussetzungen dazu. Das Ernst-nehmen-Geschwätz der Journalisten und unserer politischen Funktionselite ist vielmehr pure Verschleierung, das Gegenteil von Aufklärungsbereitschaft. Von Anbeginn war klar, daß die Pegida-Bäume nicht in den Himmel wachsen, daß die »Wutbürger« vor der Semperoper demonstrieren werden und nicht mit Fackelumzügen in Davos. Es war klar, daß die Pegida-Spießer sich weder über die zwei Millionen Kinder aufregen, die in Deutschland in Armut leben müssen, nicht über die sieben Millionen Empfänger von Sozialhilfe, noch über die 120 Multimilliardäre und die 800.000 Multimillionäre und deren entsetzlichen Reichtum, der immer schneller anschwillt. Nicht Pegida, sondern die wachsende soziale Ungleichheit ist eine Gefahr für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Oxfam hat das erkannt. Die aufgeblasene Pegida-Berichterstattung und die maßlose, nur dem Polizeistaat dienliche Terrorismushysterie verstellen den Blick auf die Ungeheuerlichkeit des Superreichtums, seine Ursachen, seine Nutznießer, seine Helfershelfer in Politik und Medien. Der Rechtsstaatlichkeit, dem Menschen- sowie dem Völkerrecht wird damit der Boden entzogen, während die politische mit der kapitalistischen Elite Geheimverhandlungen über TTIP-Verträge führt und somit den Schlußverkauf parlamentarischer und richterlicher Kontrollrechte betreibt, der letzten Restposten unserer Demokratie. In Davos werden nicht nur öffentliche Reden gehalten. Da werden auch geheime Absprachen zwischen Geldaristokratie und Politfunktionären getroffen. Das erfahren die Pegida-, Bild- und »Tagesschau«-Lemminge nicht – falls sie es überhaupt wissen wollen.
Erschienen in Ossietzky 3/2015 |
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