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Der Publikumsprotest ist zugleich Anklage. Denn ein von Partikularinteressen freies und vertrauenswürdiges Informationswesen ist für eine demokratische Gesellschaft konstitutiv. Die Protestierenden sehen nicht nur ihren individuellen Anspruch auf sachgerechte und um Objektivität bemühte Information mißachtet, sondern auch das demokratische Fundament unseres Staates bedroht. Sie sind entsetzt, mit welcher Bedenkenlosigkeit eine Politik- und Medienmafia die Gefahr eines Krieges mit Rußland heraufbeschwört und sich dabei von nichts beirren läßt. Wie viele andere Zuschauer auch hatte ich Ende April beim Rundfunkrat des NDR eine Beschwerde über »ARD-aktuell«-Berichte eingereicht. Anlaß waren deren Verstöße gegen Programmauftrag und Programmrichtlinien des NDR-Staatsvertrags. »ARD-aktuell« hatte wider besseres Wissen wochenlang über in der Ostukraine gefangene »OSZE-Militärbeobachter« berichtet. »Tagesschau« und »Tagesthemen« verschwiegen, daß es sich – bewiesenermaßen – um Spione der Bundeswehr handelte. Die Darstellung Berlins, die Soldaten hätten sich im Einvernehmen mit Kiew und gemäß einem OSZE-Dokument im Osten aufgehalten und würden dort als »Geiseln« festgehalten, war ein bewußter Täuschungsversuch. Sie war ebenso eine Beleidigung für die Intelligenz der Zuschauer, rechtsverleugnend wie die derzeitige Politik unserer Regierung, der EU, der NATO und der USA gegenüber der Ukraine und Rußland. Namhafte Juristen, darunter Peter Vonnahme (vormals Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof), bestätigten die Schlüssigkeit und Beweiskraft meiner Eingabe; sie teilten die Auffassung, daß die Bezeichnung »OSZE-Beobachter« falsch war. Nicht so der NDR-Rundfunkrat! Das Gremium aus nicht demokratisch gewählten »Volksvertretern« erwies sich als kopfnickender Spätkonfirmandenklub. Es schmetterte meine Beschwerde nach gut einem halben Jahr Bearbeitungszeit ab. Die Verfasser beharrten dreist darauf, »Tagesschau« und »Tagesthemen« hätten trotz Verwendung des Begriffs »OSZE-Militärbeobachter« angemessen berichtet. Die Begründung verniedlicht die Problematik und steckt voller klitzekleiner Umdeutungen zwecks Verdrehung von Ursache und Wirkung, sie ist voller Falschinterpretationen und Unaufrichtigkeiten. Das Problem: Bekommt der Beschwerdeführer keine oder eine unsachgemäße Antwort, so gibt es keinen rundfunkinternen Instanzenweg für ihn. Er kann nirgends eine Berufung einlegen und das fragwürdige Votum überprüfen lassen. Das byzantinistische Syndikat der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gibt derzeit Ablehnungsbescheide schockweise heraus. Die Hohe Pforte empfindet den zahlenden Zuschauer zunehmend als lästig. Die Redaktion der Website tagesschau.de erwägt sogar, die Kommentarfunktion einzuschränken – nach dem Vorbild der Süddeutsche Zeitung und der Frankfurter Allgemeine. Die Begründung trägt den Titel »Aggressivität im Netz: Wenn der Leser zum Tier wird«. Der Chefredakteur der Online-Zeitschrift Telepolis, Florian Rötzer, schrieb zutreffend, so werde eine sachliche Diskussion versperrt. »Man setzt auf Krawall. Das muß offenbar sein, um Einschränkungen der Meinungsfreiheit legitimieren zu können.« Der hochproblematische Umgang der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ihrem zahlungspflichtigen Publikum hat seine Grundlagen in politischen Ereignissen von anno 1979. Damals kündigte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg, CDU, den NDR-Staatsvertrag wegen der kritischen Berichterstattung des Senders über den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf. Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht, CDU, (sowohl Vater der gegenwärtigen Verteidigungsministern von der Leyen als auch des Atommüll-Lagers Gorleben und Einpeitscher bei der Entdemokratisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) sprang flugs aufs Trittbrett. Die beiden selbstherrlichen Landesfürsten planten, den Drei-Länder-Sender NDR (das dritte Land im Bunde war das SPD-regierte Hamburg) aufzulösen und eine Zwei-Länder-Anstalt unter der Fuchtel der CDU-Regierungen in Kiel und Hannover einzurichten. Hamburg klagte gegen die Kündigung und obsiegte vor dem Bundesverwaltungsgericht. Immerhin gelang es Stoltenberg und Albrecht in den nachfolgenden Verhandlungen mit Hamburg, das Beschwerderecht im NDR-Staatsvertrag in ihrem Sinne auszubauen und zugleich eine dauerhafte Dominanz von CDU-orientierten Vertretern im Rundfunkrat zu installieren. Erkennbare Absicht: Druckmittel gegenüber dem NDR-Management in die Hand zu bekommen und den Sender unter ständigen Rechtfertigungsdruck zu setzen. Und zwar mittels Beschwerden aus den CDU-Parteizentralen und CDU-Staatskanzleien. Die damals in reaktionärer Absicht formulierten Beschwerderechte macht heute das Publikum geltend, um gegen die russophobe und kriegstreiberische Berichterstattung der ARD-Anstalten zu protestieren. Dies wäre eine Ironie des Schicksals – wenn, ja, wenn dem öffentlich-rechtlichen, abgabefinanzierten Rundfunkmoloch die Meinung seines Publikums nicht längst am Allerwertesten vorbeiginge. Was tun? Den NDR vor dem Verwaltungsgericht verklagen? Hier zitiere ich, mit seiner Erlaubnis, nochmals Vonnahme: »Der Beschwerdeführer hat derzeit keine realistischen Chancen, einen Sender zu einer fehlerfreien Berichterstattung zu zwingen, insbesondere nicht mittels einer verwaltungsgerichtlichen Klage. Abgesehen von sonstigen Voraussetzungen kann eine Klage vor dem VG prinzipiell nur dann erfolgreich sein, wenn der Kläger geltend machen kann, daß er in seinen eigenen subjektiven Rechten verletzt ist (§ 42 Abs. 2 VwGO). Es genügt also nicht, daß ein Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig ist. Weitere zwingende Voraussetzung wäre, daß der Kläger hierdurch in Rechten verletzt wird, die der Gesetzgeber ausdrücklich ihm, dem Zuhörer, eingeräumt hat. Das sieht die geltende Rechtsordnung jedoch nicht vor. In anderen Worten: Der Zuhörer hat rechtsdogmatisch nur ein Interesse, aber kein einklagbares Recht auf fehlerfreie Berichterstattung der ›Tagesschau‹. Zum Ausgleich dafür darf er aber die Rundfunkgebühren bezahlen.« Nur der Gesetzgeber könnte diese Lücke schließen und den unbestreitbaren Regelungsbedarf decken. Doch er denkt nicht daran. Emanzipation des Bürgers mit dem Ziel einer Demokratisierung seines öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesens liegt nicht im Geist unserer Zeit. Es gibt vorerst nur eine Lösung: Unter Berufung auf den Rundfunkstaatsvertrag Beschwerde bei den Rundfunkräten einzureichen. Unverdrossen, unermüdlich. Wenn möglich, in jedem einzelnen Fall von tendenziöser oder fehlerhafter Berichterstattung. Wenn nicht heute, so doch irgendwann wird das Wirkung entfalten. Man bedenke: Der Preis für Gleichgültigkeit gegenüber unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist, von ihm mit faulen Informationen versorgt und – perspektivisch – verdummt zu werden. Adressen der Rundfunkräte: Internetauftritt des NDR-Rundfunkrats: www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/rundfunkrat/index.html – Weblinks zu den Räten anderer Anstalten siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Rundfunkrat
Erschienen in Ossietzky 2/2015 |
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