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Sie können Vorurteile verstärken und Nachbarn gegeneinander aufhetzen oder aber zu gegenseitigem Verständnis und angstfreiem Miteinander beitragen. Eine im Institut für Journalistik an der Universität Dortmund entstandene Studie hat erstmals einen solchen Fall systematisch untersucht: Die Zuwanderung von Roma aus Rumänien und Bulgarien führte Anfang 2011 im Stadtteil Dortmund-Nord dazu, daß sich Politiker, Anwohner und Vermieter zunehmend über Müll, Prostitution und Kriminalität beschwerten. Die Schuld daran sahen sie bei den Migranten. Auf dem Höhepunkt des Konflikts wurden mehrere illegal bewohnte Häuser gewaltsam geräumt, und der Stadtrat beschloß, den legalen Straßenstrich in der Nordstadt zu schließen. Die Studie wollte nicht nur analysieren, wie die Ruhr Nachrichten, die damals größte, inzwischen einzige Dortmunder Lokalzeitung, und das Westdeutsche Fernsehen in seiner »Lokalzeit aus Dortmund« darüber berichteten. Ziel der Untersuchung war auch herauszufinden, ob das Konzept des Friedensjournalismus, wie es der norwegische Medien- und Friedensforscher Johan Galtung aufgestellt hat, im Lokalteil der Medien umsetzbar ist. Friedensjournalismus ist ein Gegenentwurf zur betont distanzierten, scheinbar objektiven Kriegsberichterstattung, die sich auf Elite-Personen, offizielle Verlautbarungen und die technischen Details des Krieges konzentriert. Auf lokale Konflikte übertragen ergibt sich daraus die Forderung nach einer – wie die Autoren der Studie sie nennen – »konfliktsensitiven Berichterstattung«, die die Opfer in den Mittelpunkt stellt, Einzelschicksale schildert, Klischees vermeidet und alle Formen von Gewalt (darunter auch systematische Diskriminierung) aufdeckt. Die Ergebnisse der Studie belegen, daß konfliktsensitive Berichterstattung zu jeder Zeit möglich war, auch am Höhepunkt der Eskalation. Beide Medien ordneten die Ereignisse in den politischen und sozialen Kontext ein, ließen Roma zu Wort kommen und präsentierten Lösungsvorschläge. Die meisten Berichte waren jedoch von negativen, konfliktverschärfenden Aussagen – hauptsächlich Äußerungen von Politikern oder anderen lokalen Eliten – bestimmt. Da Negativismus und Eliten-Orientierung zu den Kriterien gehören, nach denen im journalistischen Alltag über die Wichtigkeit von Nachrichten entschieden wird, geht die Berichterstattung dann nicht nur an der Realität der Menschen im Stadtteil, vor allem der Migranten, vorbei und schürt statt dessen Animosität und Panik; mehr und mehr kommen in den Medien die Sicherheitskräfte meinungsbildend zu Wort. Die damals beteiligten Dortmunder Journalisten erkannten ihre eigene Befangenheit nicht. Ohne Skrupel bedienten sie in der Berichterstattung über Roma antiziganistische Klischees und stigmatisierten den gesamten Stadtteil Dortmund-Nord als »Problemviertel«, das zum rechtsfreien Raum geworden sei. Um zu klären, wie es dazu kommen konnte, wurden ausgewählte Journalisten und je ein Redaktionsleiter von Ruhr Nachrichten und WDR befragt. Hier bestätigte sich, daß konfliktschürende Berichterstattung in lokalen Medien zumeist nicht auf bösen Willen zurückzuführen ist oder auf die Absicht, Quote oder Auflage zu steigern. Lokaljournalisten als Teil der Stadtgemeinschaft sind vielmehr in der Regel an einer Konfliktlösung interessiert. Aber sie stellen sich unwillkürlich auf diejenigen Rezipienten ein, von denen sie die meiste Resonanz erhalten, und das sind oft konservative Kreise. Neu zugezogene Migranten sind nicht darunter. Ein anderes, viel größeres Problem besteht darin, daß Journalisten sich vormachen, »neutral« zu sein und als »objektive Beobachter« nur zu berichten, ohne das Geschehen zu beeinflussen. Die Redaktionsleiter zeigten sich hier reflektierter, erklärten aber, daß im Alltag wenig Zeit zur Reflexion und Diskussion bleibe. So müsse sich jeder »für sich allein« mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen. Alle Befragten bezeichneten sich als »Getriebene der Ereignisse«, die Tag für Tag auf das aktuelle Geschehen reagieren. Da es im Einwanderungsland Deutschland immer wieder zu interkulturellen Konflikten kommen kann, müßten Lokalredaktionen sich gründlich mit dem Thema auseinandersetzen und langfristige Konzepte entwickeln. Aber die bloße Frage »Was wollen wir mit unserer Berichterstattung bewirken?« läßt viele Lokaljournalisten zusammenzucken und sich über »Propaganda« oder »Kampagnen« empören, woran sie sich niemals beteiligen würden. Wer sich im Glauben an die eigene Objektivität der täglichen Hektik ausliefert, wird an solchen Themen scheitern. Gerade in interkulturellen Konflikten gibt es nicht »die Wahrheit«, die der einzelne Journalist spontan erfassen könnte. Jede Konfliktpartei hat ihre eigene Version, eine eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wenn aber als Ziel feststeht, alle Fakten zusammenzutragen, auch die widersprüchlichen, allen eine Stimme zu geben, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln, jede Gewalt zu verurteilen und zu einer friedlichen Austragung des Konflikts beizutragen, dann laufen Lokaljournalisten nicht Gefahr, zum Sprachrohr der einen (ihnen kulturell oder persönlich nahestehenden) Seite zu werden. Dazu bedarf es allerdings einer personell und finanziell ausreichend starken Redaktion. Wenn weiterhin Stellen gestrichen werden, laufen Appelle an die Verantwortung der Journalisten ins Leere. Lara Eckstein, geb. 1990, hat in Dortmund Journalistik studiert, ein Volontariat bei den Kieler Nachrichten und Praktika in lokalen Print- und Rundfunkmedien absolviert. Im Rahmen ihrer Bacherlorarbeit an der TU Dortmund mit dem Titel »Konfliktsensitive Berichterstattung im Lokalen. Chancen und Herausforderungen für Journalisten in der Berichterstattung über lokale Konflikte am Beispiel der Dortmunder Nordstadt« hat sie 2014 die Berichterstattung von Ruhr Nachrichten und WDR untersucht sowie Interviews mit den verantwortlichen Journalisten geführt. Auf den Ergebnissen der Studie basiert der vorliegende Artikel.
Erschienen in Ossietzky 2/2015 |
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