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Von den emigrierten deutschen Schriftstellern, die es bereits in der Weimarer Republik zu Ansehen gebracht hatten, haben nur wenige nach dem Krieg wieder die Öffentlichkeit erreicht, die wenigsten sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland, namentlich die beiden Überlebenden, Thomas Mann und – nach jahrelanger Ächtung in der Bundesrepublik – auch Bertolt Brecht. Unter denen, die das Jahr 1945 nicht erlebten, wurde kaum einem solche Beachtung zuteil, wie Kurt Tucholsky, der zehn Jahre zuvor in der schwedischen Emigration sein Leben aufgegeben hatte. Alles, was er zwischen 1907 und 1932 geschrieben und in Buchform veröffentlicht hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nachgedruckt: In verschiedenen Ausgaben seiner »Ausgewählten und Gesammelten Werke« erschienen bis in die 1980er Jahre in West und Ost auch die meisten der einst in mehr als 80 Zeitschriften und Zeitungen gedruckten Beiträge. Heute sind mehr als 2900 Texte in den 22 Bänden der »Gesamtausgabe Texte und Briefe« zugänglich. Zudem sind seine Lieder, Gedichte und Kabarettexte auf Tonträgern aller Art verbreitet. Doch während der politische Publizist in keiner zeitgeschichtlichen Abhandlung über jene Jahre fehlt, ist er als Schriftsteller nur mit Vorbehalt in die Literaturgeschichte der Weimarer Republik eingegangen. Dabei hat er jede nur denkbare Form schriftlicher Verwendung der Sprache mit gleicher Virtuosität benutzt; so daß sich von Tucholsky sagen ließe, seine Schreibmaschine war ein Orchester, in dem alle Instrumente vertreten waren. Aber er schrieb nicht für die Ewigkeit, sondern für den Tag, um der (politischen) Wirkung willen und bedauerte schon 1924: »Ich habe Erfolg, aber keinerlei Wirkung.« Das sagte ein Mann von unbeugsamer Gesinnung, und man könnte annehmen, es ließe sich alles, was er geschrieben hat, mit einem roten Faden bündeln; in den Augen derer, die er bekämpfte, war er denn ja auch nichts anderes als ein jüdischer Vaterlandsverräter, wenn nicht gar ein Kommunist. Doch weder formal und stilistisch noch politisch läßt sich aus seiner weiten Produktion von bedrucktem Papier ein Paket mit homogenem Inhalt machen. Er wollte nicht nur die »nahende Katastrophe mit der Schreibmaschine aufhalten« (Erich Kästner), sondern mischte sich vielfach ein, um Gesinnung und Gesellschaft von »Teutschland« zu verändern hin zu einem friedfertigen Deutschland, in dem die Menschen glücklicher leben könnten. Seine Vorstellungen, wie sich diese Veränderung bewerkstelligen ließe, brachten ihn in größere Nähe zu Freud als zu Marx, vom Pazifisten entwickelte er sich zum verbalen Revolutionär und zur hellsichtigen Kassandra. Tucholskys unruhiges Leben und sein vielseitiges Lebenswerk lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Er schrieb unter fünf Namen, oft in ein und demselben Heft der Weltbühne, und die Forschung hat inzwischen sogar etwa ein Dutzend Pseudonyme ausfindig gemacht. Die vielzitierte Kultur des zur Metropole gewordenen Berlin – trotz Straßenkämpfen, Inflation, Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, politischem Defaitismus diverser Regierungen – war gewissermaßen der Schaum auf einer Brühe geworden, deren Vergiftung zunahm. Tucholsky registrierte beides, schon seit 1924 aus räumlichem Abstand in Paris, warnend, anklagend und persiflierend, als Satiriker, Kämpfer und Romantiker in einer Person. Das Emotionale in seiner Kritik ist dabei unübersehbar. Er war weder ein Leopold Schwarzschild noch ein Carl von Ossietzky, beide gleich ihm Neinsager der Deutschen, sie aber lntellektuelle, denen ihr Denken die Feder führte, indes Tucholskys Tinte Herzblut war, wie die seines großen Mentors Siegfried Jakobsohn. Schon zu seinen Lebzeiten unterschied man mindestens zwei Tucholskys, die jeweils ihr Publikum fanden: den Rheinsberg-Autor mit kulinarischer Breitenwirkung seiner Chanson- und Kabarettproduktion und den politischen Kämpfer, den Aufklärer, als Alleinunterhalter einer intellektuellen linken Minderheit. Später, im Kalten Krieg, wurde der »Kämpfer« Tucholsky dann auch auf beiden Seiten mobilisiert, als vermeintlicher Antikommunist in der BRD (»Wachhund der Freiheit« nannte ihn das Hamburger Abendblatt 1960, ihn, der kein Hundebellen vertrug) und als bürgerlicher Vorkämpfer der Arbeiterklasse in der DDR. Doch mit der politischen Klimaveränderung, die die Deutschen mit der neuen Einheit überkam, stellte sich die Frage, ob nicht in Tucholskys Nachruhm überhaupt ein Mißverständnis zu sehen war, wenn nicht gar eine bewußt verfälschende Interpretation von seiten jener linken Minderheit, die nach dem Kriege vor allem im Westen einen Helden gebraucht hatte. Dafür war der tote Tucholsky in der Tat weit brauchbarer, als er es zu Lebzeiten gewesen wäre. Da wurde also 1990 Tucholskys Aura des unbestechlichen Aufklärers miniert, um ihn als Neurotiker erscheinen zu lassen, unfähig, auch mit elementaren privaten Existenzproblemen fertig zu werden. Denn: Wenn es den Tucholsky gar nicht gegeben hat, aus dem nach 1945 ein Rocher de bronce gemacht worden war, so auch nicht, das ist wohl der Umkehrschluß, auf den es ankommt, jenes Volk, von dem sich Tucholsky schließlich trennen zu müssen glaubte, dessen Sprache er nicht mehr sprechen wollte, das sich aber ja dann eigentlich nur als die Projektion eines Mannes erwies, der an sich selbst litt und damit nicht fertig wurde. Und so gingen diejenigen, die auszogen, die Tucholsky-Legende zu zerstören, daran, sie durch eine andere Legende zu ersetzen (vgl. zum Beispiel die Marbacher Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag: »Entlaufene Bürger. Tucholsky und die Seinen«,1990, deren Kuratoren erklärtermaßen Tucholsky »vom Olymp« stoßen wollten und deren moralisierende Tendenz sogar der FAZ als »verleumderische Interpretation« einen Schritt zu weit ging). Als Tucholsky »seine Zeit … schon bis zum Halse stand« und er in mehrfachen Varianten einen »Gruß nach vorn« (1926) an mögliche Leser von 1985, 1991 und 2000 adressierte, wußte er nicht, ob jene dann »noch in einem zurückgebliebenen, also bürgerlich-kapitalistischen Staat« leben würden oder ob sie sich »schon in einer fortgeschrittenen Epoche befinden, wo der Arbeitende sich seinen Lohn hundertprozentig verdient«. Keinesfalls teilte er das Vertrauen Brechts in den historischen Fortschritt, dessen Nachgeborene ja nur noch die Mühen der Ebenen zu bewältigen hätten, als er kurz vor seinem zu frühen Tod feststellte: »Der Sozialismus wird erst siegen, wenn es ihn nicht mehr gibt.« Heute, in unserer homogenisierten Kulturindustrie, sind die erbitterten Kontroversen um Tucholsky weitgehend vergessen: Hat er wesentlich zur Zerstörung der Weimarer Republik beigetragen, wie noch Golo Mann urteilte? Oder war er nur ein radikaler Pazifist, für den Soldaten schlicht Mörder waren? Sympathisierte er mit Kommunisten, oder war er ein früher Kritiker des Stalinismus? Tucholsky war klar, wie sehr auch seine eigene Rezeption von den Zeitumständen abhängen würde, denn: »Der Autor kommt falsch auf die Nachwelt.« Diesen Topos hat er oft variiert, seine Feststellung »Es war alles ganz anders« wollte warnen vor einer Geschichtsschreibung, die ihre eigene ideologische Bedingtheit nicht mitreflektiert. Es waren Tucholskys Gesinnung, seine Moral, seine Idealvorstellung vom Menschen, seine Verletzlichkeit und seine Hellsicht, die ihn vom eigenen Volk trennten. Unter den Verächtern und Gegnern des Nationalsozialismus gehört er zu den ganz wenigen, ist unter diesen der bekannteste geblieben, die die Taue zu »den Deutschen« durchschnitten und die Konsequenz daraus gezogen haben: Schweigen, abtreten! Diesen Schritt haben so manche Deutsche Tucholsky nie verzeihen können – und die Tucholsky-Demontage nach der Wende von 1989 dokumentiert auch das klimaverändernde Bedürfnis, nun das erneuerte Vaterland gegen seine Nestbeschmutzer, auch gegen diesen, in Schutz zu nehmen. Tucholsky war in den vierzig Jahren der ehemaligen Bundesrepublik zu erstaunlichem Nachruhm und zu einer erneuten Öffentlichkeit gekommen als Alibi dafür, daß es doch auch ein »anderes«, das heißt ein besseres Deutschland zwischen den Kriegen gegeben habe. Nach 1989 ist er aus dieser Vergangenheit auferstanden, und eigentlich ist es seine Verzweiflung an den herrschenden Zuständen, die wieder aktuell geworden ist. Aus: »Er hat ja so recht gehabt!« wird: »Er hat ja so recht!« Wir sind wieder seine Adressaten, wir – das meint nach wie vor jene kleine Minderheit der »Kommunisten, Sozialisten, Pazifisten, Freiheitsliebenden aller Grade«, deren Existenzberechtigung Tucholsky in seinem Deutschland, Deutschland über alles (1929) beanspruchte. Die Breite der Tucholsky-Rezeption ist ablesbar an Auflagenzahlen der verschiedenen Ausgaben seiner Veröffentlichungen. Da lohnt es schon, genauer hinzuschauen, was von ihm heute in den Buchhandlungen verkauft wird. Tucholsky wird offensichtlich nicht als Klassiker gelesen, »sondern als ein Autor, der die gleiche Sprache spricht wie der Leser oder Hörer der Gegenwart« – wie Irmgard Ackermann (1991) zu seinem 100. Geburtstag feststellte. Gerade der von Tucholsky selbst als besonders vergänglichkeitsanfällig angesehene Humor, erweise sich als langlebig. Aber Humor ist die Verdauung des Satten, nach der prägnanten Unterscheidung von Roda Roda, Satire, hingegen, der Schrei des Hungernden. Letzterer war der Tucholsky, der es ablehnte, unter dem Apfelbaum zu sitzen und ihn zu bitten, Birnen hervorzubringen. Doch gerade der verschwindet in den aktuelleren Neuausgaben (wie »Tucholsky zu Weihnachten« oder »Tucholsky zu Silvester«). Und da finden sich auch keine Einsichten wie diese: »Wer im Krieg getötet wurde, ist nicht zu feiern, sondern aufs tiefste zu bedauern, weil er für einen Dreck gefallen ist. Der Feind steht nicht drüben, sondern hüben.« Erst seine spät, seit den 1980er Jahren, publizierten Briefe aus dem Exil, wo der »aufgehörte Schriftsteller«, wie er sich 1933 nannte, zum »aufgehörten Deutschen« wurde, ermöglichen einen Blick in die kaum erforschten Motivationsgrundlagen, die ihn ermächtigten, wenn nicht dazu verurteilten, praktisch von Anfang an die Solidarität mit dem eigenen Volk aufzukündigen. Es war wohl gerade sein Defizit an Hingabefähigkeit an ein Kollektiv (Volk, Vaterland, Partei), das ihn zum scharfsinnigsten Richter über »die Deutschen« werden ließ. Seine moralische, sittliche und auch politische Integrität beruht gerade darauf, daß ihm diese Objektivität in seiner Subjektivität so bitter schwer geworden war. Aus leider gegebenem Anlaß: Tucholsky schränkte seine vielzitierte Aussage, daß Satire »alles« darf, (1919) später ein: »Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt sich nicht – so tief kann man nicht schießen.« (1933)
Erschienen in Ossietzky 2/2015 |
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