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Sie ähneln sich in vielerlei Hinsicht: Von der Überakkumulation, Finanzialisierung und dem Platzen einer Spekulationsblase bis hin zu den Tatsachen, daß sie von den USA ausgingen und die Vermögensungleichheit 1929 und 2007 nicht zufällig am Vorabend der Krise ihre jeweiligen Höhepunkte mit einem annähernd identischen Anteil des wohlhabendsten einen Prozents der Bevölkerung am US-Gesamtvermögen erreichten. In den 1930er Jahren bearbeitete der zur Demokratischen Partei gehörende damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Überakkumulationskrise mit dem New Deal. Die Maßnahmen waren teilweise widersprüchlich und besaßen – anders als heute wahrgenommen – keinen planmäßigen, sondern zunächst einen Ad-hoc-Charakter. Letztlich liefen sie aber darauf hinaus, das Überschußkapital ohne profitable Anlagesphären durch Hochbesteuerung (94 Prozent Spitzensteuersatz auf alle Einkommen über 200.000 US-Dollar) zu absorbieren und mit für das Kapital unprofitabler Überschußarbeit in Form von öffentlichen Beschäftigungsprogrammen als Infrastrukturinvestitionen – Staudämme, Autobahnen, öffentliche Verkehrssysteme, Elektrifizierung des Hinterlandes – produktiv zusammenzubringen, die dann die Umlaufzeit des Kapitals beschleunigten: eine »innere Landnahme«. Aus dem New Deal entstand der fordistische Kapitalismus unter keynesianischer Regulation, der nach dem Zweiten Weltkrieg vom imperialen US-Staat in der »Grand Area« des »Westens« internationalisiert wurde. Vor dem Hintergrund der Krisenparallelen wurde der Demokrat Barack Obama – auf dem Höhepunkt der Krise 2008 ebenfalls als demokratischer Nachfolger eines immens unpopulären Republikaners und mit großem Vertrauensvorschuß gewählt – nach seinem Amtsantritt entsprechend mit Roosevelt verglichen. Sein politisches Projekt wurde als »New New Deal« oder »Green New Deal« angekündigt beziehungsweise von vielen langfristig orientierten bürgerlichen Intellektuellen eingefordert. Im Sommer 2010 entpuppten sich die Roosevelt- und New-Deal-Vergleiche als Chimäre. Obamas American Recovery and Reinvestment Act (ARRA) – als Konjunkturprogramm im Umfang von 787 Milliarden US-Dollar das Kernstück seines Krisenmanagements – hatte erfolgreich die finanzielle Kernschmelze bekämpft. Es reichte aber nicht aus, um Massenarbeitslosigkeit, Lohnverfall und die rasante Ausdehnung des Niedriglohnsektors zu korrigieren. Die geplante Anschubfinanzierung in Richtung eines neuen »grünen Kapitalismus« mit Basisinnovationen wie Hochgeschwindigkeitszügen, Windturbinen, Solaranlagen und Elektroautos zur Absorption des anlagesuchenden Überschußkapitals fiel aus; die teilverstaatlichte Autoindustrie wurde nicht umstrukturiert, statt dessen wurden die Löhne für alle Neueinstellungen halbiert; und anstelle eines Ausbaus der öffentlichen Beschäftigung wie noch unter Roosevelt (ja sogar Bush) wurden unter Obama 1,6 Millionen öffentliche Stellen (Lehrer, Polizeibeamte, Hochschulbedienstete et cetera) vernichtet. Ende 2009/Anfang 2010 zeigte sich, daß ARRA nicht ausreichte: Es folgte der Katzenjammer, weil der Plan nicht aufgegangen war. Die Arbeitslosenzahlen blieben hoch, die Löhne niedrig. Das befeuerte die rechtspopulistische Tea-Party-Bewegung mit der altneoliberalen Botschaft vom ineffizienten Staat, und auf ihrem Rücken gelangten die Republikaner zu einer Blockademehrheit im Repräsentantenhaus und drängten auf eine besonders harsche Umsetzung der Austeritätspolitik, zu der Obama bereits im Sommer 2010 übergegangen war. Die Phase der expansiven Fiskalpolitik zur Bekämpfung der Krise war zu Ende. Investigativ-journalistische Publikationen von Noam Scheiber, Ron Suskind, Richard Wolffe und Ryan Lizza haben in den letzten Jahren die ARRA-Entstehungsgeschichte untersucht. Die Enthüllungen lesen sich wie ein Krimi. Sie schildern eine innerlich zerstrittene (Wirtschafts-)Regierung. Als Haupttatverdächtige stehen Lawrence Summers, Direktor des National Economic Council und damit einflußreichster Wirtschaftspolitiker in der Obama-Regierung, und Finanzminister Timothy Geithner im Mittelpunkt. Für guten Krimistoff ist gesorgt: Summers hat als früherer Weltbankchef, Architekt der postsowjetischen Schockstrategie-Privatisierungen und früherer Wirtschaftsminister unter Bill Clinton, wo er für die Deregulierung der Finanzmärkte zentral verantwortlich war, ausgezeichnete Verbindungen zur Wall Street. Geithner war bis zu seiner Ernennung hoher Wall-Street-Banker. Auf der Gegenseite befand sich Obamas oberste Wirtschaftsberaterin Christina Romer. Als Professorin für Volkswirtschaft an der University of California in Berkeley und anerkannte Expertin für die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wurde sie von Obama zur Vorsitzenden des Council of Economic Advisers (Rat der Wirtschaftsberater des Präsidenten) ernannt. Das Loch in der US-Wirtschaft infolge der Finanzkrise betrug zwei Billionen US-Dollar. Romer forderte zur Bekämpfung der Krise ein Konjunkturprogramm im Umfang von 1,8 Billionen. Von Obama war sie als wissenschaftliche Expertin beauftragt worden, ein Präsidenten-Memo zu schreiben. Es sollte die Krise analysieren und für Obama die zu unternehmenden Schritte skizzieren. Zuvor mußte es jedoch über den Schreibtisch von Summers und Geithner sowie Obamas Wahlkampfberater David Axelrod. Die drei wiesen die geforderte Summe als »unnötig hoch« (Summers, Geithner) oder »politisch unkommunizierbar« (Axelrod) zurück und ließen Romer das Memo – eine Woche vor Abgabe – noch einmal überarbeiten; Vorgabe: Die Summe muß nach unten korrigiert werden. Romers neuer Vorschlag sah 1,2 Billionen US-Dollar vor; Summers und Geithner erledigten Romers Zweitgeburt jedoch auf die letzte Minute und legten Obama zwei gänzlich neue Vorschläge über nur noch 600 oder 900 Milliarden US-Dollar zur Entscheidung vor. Der ARRA war das Kompromißergebnis aus diesen beiden Vorschlägen. Das roch nach Mord! Der Plan von Romer, die im September 2010 enttäuscht zurücktrat, war Obama nicht zur Kenntnis gebracht worden; Obamas Vizepräsident Joe Biden beschwerte sich da schon längst, daß er (und Obama) von elementaren Diskussionen ausgeschlossen und ihnen wichtige Informationen vorenthalten worden seien. Über George W. Bush hatte es immer geheißen, er sei ein schwacher Präsident gewesen; die Strippen hätten sein maliziöser, heute die gerade bekannt gewordenen CIA-Folterungen vehement verteidigender Vizepräsident Dick Cheney und Kriegsminister Donald Rumsfeld gezogen. Rumsfeld war der Architekt der Irakkriegslügen, der schon am Tag nach dem 11. September 2001 einen Zusammenhang zwischen Saddam Hussein und 9/11 fingieren wollte, während Cheney bis zu seiner Ernennung die Geschäfte des dann von Public-Private-Partnership-Milliardenaufträgen im Irak profitierenden Halliburton-Konzerns führte. Ähnlich werden heute auch Obama und Biden bewertet. Die Demokraten, so zuletzt unisono Washington Post und New York Times, hätten die Zwischenwahlen vom November 2014 aufgrund von Obamas »Führungsschwäche« verloren. Fragen drängen sich auf: Ist Romers Baby das Opfer eines Mordkomplotts von Summers und Geithner geworden? Gab es eine Wall-Street-Verschwörung gegen einen etwaigen neuen New Deal? Ist Obama, obgleich niemals ein Linker, ein bloß hierdurch verhinderter Neo-Roosevelt? Ist das Problem vielleicht, daß Roosevelt dem Sozialaufsteiger Obama voraushatte, daß er als Angehöriger der Großbürgertumselite seine Pappenheimer kannte und sich besser gegen die Einflußnahme von Seiten des Wall-Street-Kapitals, das ihn bekämpfte, zu wehren wußte? Hätte ein erfahrener Oba ma den Green New Deal durchziehen können? After all, he is the President! Jedoch: Was wie ein spannender Verschwörungsfall und die Aufgabe für einen Kriminalisten erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung letztlich doch als banal. Kein Sherlock Holmes, kein Justus Jonas hilft hier weiter, nur der olle Politikwissenschaftler. Und dieser muß auch noch ein kritischer Dauernörgler sein. Die Frage, warum konnte Roosevelt eigentlich tun, was er tat, wirft nämlich andere Fragen auf, Fragen staatstheoretischer Art. In der Mainstream-Politikwissenschaft dominiert nun tatsächlich der Institutionalismus. Ihn interessiert vor allem, welche Politiker den Staat in spezifischen Situationen lenken, welche Ideen diese Akteure verfolgen, welche Berater sie mit welchen Konzepten in die Regierung mitbringen, wie es ihnen gelingt, diese politisch zu kommunizieren (»verkaufen«) und so weiter. Roosevelt sei ein Altkonservativer mit Mitleid für die einfachen Leute gewesen, der die Krise mit der Unterkonsumtionstheorie analysierte, kann man dann oft lesen. Den Staat begreifen müßte jedoch heißen, ihn erst einmal als kapitalistischen Staat zu entschlüsseln, der mit all seinen schuldenfinanzierten Staatsfunktionen abhängig ist vom privaten (Finanz-)Kapital, das ihm Geld leiht und das in den Investitionsstreik treten und Kapitalflucht begehen kann, wenn der Staat kein »investitionsfreundliches Klima« schafft. Den Staat »aufschließen« müßte ferner heißen, ihn als soziales Verhältnis, genauer: als Verdichtung eines Kräfteverhältnis zwischen gesellschaftlichen Klassen (Kapital und Arbeit) zu begreifen. Roosevelt konnte seine Politik nur betreiben, weil die kapitalistische Klasse gespalten war (in Monopol- und Nichtmonopolkapital, in Finanz- und Industriekapital et cetera) und er zugleich seine Politik gegenüber den ökonomisch Herrschenden rechtfertigen und behaupten konnte mit Hilfe der sie tragenden Klassenkämpfe außerhalb staatlicher Institutionen: so die Bonus-Armee der Veteranen, Generalstreiks in Minneapolis, San Francisco und Toledo (Ohio) 1934, die Sitzstreiks in den Automobilunternehmen von Ford in Detroit und Flint (Michigan) 1936/37. Von solchen Kämpfen hat es bei Obama jedoch keine gegeben: Die Streikaktivitäten sanken 2009 auf den niedrigsten Stand in der US-Geschichte; dasselbe gilt für den gewerkschaftlichen Organisierungsgrad. Occupy Wall Street, der Wisconsin-Aufstand, die Fast-Food-Arbeiter-Bewegung entstanden erst nach der austeritätspolitischen Wende. Die erste politische Artikulation der Krise war die Tea Party, das heißt nach rechts radikalisierte, insbesondere weiße Mittelklassen mit Austeritätsideologie. Eine Verschwörung gegen Obama mag es gegeben haben. Nötig war sie nicht. Die eigentliche Straftat liegt schon Jahrzehnte zurück: der Mordanschlag auf die US-Arbeiterbewegung im Zuge der neoliberalen Wende zwischen Volcker-Schock, Niederschlagung des Fluglotsenstreiks durch den Staat und die Erlassung von gewerkschaftsfeindlichen »Right-to-Work«-Gesetzen. Von diesem Tötungsversuch hat sie sich bis heute nicht erholt. Blöd für den Kapitalismus nur, daß er sich von oben nur reformieren kann, wenn er von unten dazu gezwungen wird. Blöd aber auch für die US-Arbeiterklasse, denn von alleine bricht der Kapitalismus nicht zusammen. Will sie sich von der »Teilzeit-Niedriglohn-Epidemie« (Wall Street Journal) des »Wiederaufschwungs« seit Februar 2010 befreien, hilft kein Jammern, sondern nur politische und Gewerkschaftsarbeit, wie es (wenn auch in anderem Zusammenhang) schon die US-Arbeiterbewegungslegende Joe Hill auf den Punkt gebracht hat: »Don't mourn. Organize!«
Erschienen in Ossietzky 1/2015 |
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