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Der Polizist Darren Wilson, der im August in Ferguson/Missouri den unbewaffneten siebzehnjährigen Michael erschoß, wurde von seiner Gewerkschaft nicht nur vor der Untersuchungshaft geschützt. Angesichts des mächtigen Polizistenverbandes knickte auch die Jury der Staatsanwaltschaft ein, die untersuchen sollte, ob sich Wilson zumindest einem juristischen Verfahren stellen müsse. Daß sie sich – wie auch die Jury im Fall Garner – angeblich mangels Beweismaterials, dagegen entschied, löste rasende Protestwellen aus. Sie waren vorhersehbar, denn farbige Bürger der Vereinigten Staaten sitzen – weitaus überproportional – oft wegen geringer Vergehen jahrelang im Gefängnis. Und liegt eine Anklage gegen einen farbigen Bürger wegen eines Tötungsdelikts vor – wie in Mumia Abu-Jamals Fall – reichen schlampig erbrachte Indizien und eine nachgewiesenerweise nicht verfassungsmäßig funktionierende Jury aus, um zur Höchststrafe zu führen. Abu-Jamal war 1982 wegen angeblichen Polizistenmords an Officer Daniel Faulkner in Philadelphia zum Tode verurteilt worden. Auch hier spielte und spielt die dortige Polizeigewerkschaft eine verhängnisvolle Rolle. Bis heute verhinderte sie durch massiven öffentlichen und noch weitaus massiveren nichtöffentlichen Druck eine ordentliche Untersuchung der Hintergründe und Umstände von Faulkners Tod, dem eine Schießerei voranging, bei der auch Abu-Jamal schwer verletzt wurde. Alljährlich am Todestag ihres Kollegen Faulkner hält die Polizeigewerkschaft am Ort des Geschehens eine öffentliche Gedenkveranstaltung ab, auf der bis vor vier Jahren stets die Vollstreckung des Todesurteils an Mumia Abu-Jamal gefordert wurde, wozu sich übrigens auch die Gouverneure des Bundesstaats Pennsylvania regelmäßig öffentlich bekannten. Wenn der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten schließlich anerkannte, daß der Prozeß von 1982 nicht den gültigen rechtsstaatlichen Normen entsprochen hatte, und das Distriktsgericht von Philadelphia 2011 die Todesstrafe deshalb in lebenslängliche Haft ohne Berufungsmöglichkeit umwandelte, war das ein Erfolg weltweiter Solidarität verschiedenster Gruppen, die sich jahrzehntelang für Abu-Jamal eingesetzt hatten. Diesem Schritt der Justiz lag zweifellos ein politischer Kompromiß zugrunde, durch den einerseits die Polizeigewerkschaft halbwegs zufriedengestellt und andererseits die internationale Aufmerksamkeit für den Fall abgeschwächt werden sollte, die dem Ansehen der Vereinigten Staaten erheblich schadete. Tatsächlich gab sich ein Großteil der Unterstützer Mumia Abu-Jamals mit der Aufhebung des Todesurteils zufrieden, die Solidaritätsbewegung ebbte ab. Das deutsche PEN-Zentrum hat sich jedoch auch nach 2011 kontinuierlich darum bemüht, Abu-Jamals Anwälte bei der Forderung nach einem neuen, fairen Prozeß zu unterstützen. Denn daß es keine Berufungsmöglichkeit mehr für ihn geben soll, obwohl anerkannt ist, daß es nie eine saubere Untersuchung gegeben hat, hält das deutsche PEN-Zentrum für einen unerträglichen Widerspruch, wie auch die bloße Tatsache, daß der mittlerweile sechzigjährige Gefangene, der zweifellos keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt, nach zweiunddreißigjähriger Haft nicht entlassen wird. Das PEN-Zentrum unterstützt die Forderung der Familie Mumia Abu-Jamals nach unverzüglicher Freilassung. Auf der im September 2014 stattgefundenen Jahrestagung in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek hat nun auch der Internationale PEN auf Antrag der deutschen und der französischen Sektion eine Resolution für Mumia Abu-Jamal verabschiedet, deren wichtigster Punkt die Feststellung ist, daß nach europäischem Rechtsverständnis eine fortgesetzte lebenslange Inhaftierung ohne Berufungsmöglichkeit, wie Abu-Jamal sie erleidet, als Folter anzusehen ist. Der Internationale PEN fordert die Justizbehörden der Vereinigten Staaten auf, dafür zu sorgen, daß der Gefangene die Möglichkeit eines fairen Berufungsverfahrens erhält. Während der Vorbereitung der Resolution des Internationalen PEN hatten Autoren aus den USA gewarnt, daß die Erklärung Mumia Abu-Jamal mehr schaden als nützen könne. Tatsächlich muß man sich fragen, ob ein kürzlich vom Parlament von Pennsylvania beschlossenes Gesetz, das es Gefangenen erschweren soll, sich in öffentlichen Medien Gehör zu verschaffen, nicht eine Reaktion auf die Resolution des Internationalen PEN darstellt. Zweifelsfrei ist, daß das Gesetz vor allem auf Mumia Abu-Jamal zugeschnitten ist, dem es bis heute gelingt, per Radio, mit Zeitungsartikeln und Büchern in die Öffentlichkeit vorzudringen. Es war kein Zufall, daß Pennsylvanias Gouverneur Tom Corbett das Gesetz am 21. Oktober 2014 auf einer Tribüne unterzeichnete, die eigens zu diesem Zweck an dem Platz errichtet worden war, an dem Officer Faulkner 1981 seinen Verletzungen erlag. Anwesend waren eine große Abordnung von Polizisten und Faulkners Witwe, die vor einigen Jahren ein Buch veröffentlichte, in dem sie behauptet, die Schuld Abu-Jamals am Tod ihres Mannes eindeutig beweisen zu können. Mumia Abu-Jamal kündigte inzwischen an, daß er – sollte ihm oder einem anderen Gefangenen das freie Wort an die Öffentlichkeit verboten werden – vor dem obersten Verfassungsgericht gegen das in Pennsylvania erlassene Maulkorbgesetz für Inhaftierte klagen wird. Nicht nur in Ferguson, auch in Philadelphia gelingt es den Gewerkschaften der Polizisten nach wie vor, die Durchsetzung der Rechtsnormen für alle Bürger zu behindern. Offenbar verfügt ausgerechnet die Justiz der Vereinigten Staaten nicht über die unabhängige Macht, die ihr verfassungsmäßig zukommen müßte. Anders ist es nicht zu erklären, daß die Gefängnisindustrie vor allem von überproportional vielen farbigen Inhaftierten profitieren kann. Die Institutionen des sich gern als demokratischer Vorreiter der Welt gebärdenden Landes konnten nicht verhindern, daß es nach wie vor vom »Rassenkonflikt« zerrissen ist. Das hat auch der erste farbige Präsident nicht ändern können. Die außergerichtliche Exkulpierung von Darren Wilson hat Proteste ausgelöst, die häßliche Schatten auf die ausklingende Amtszeit Obamas werfen. Sie werden den Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen viele Wählerstimmen kosten.
Erschienen in Ossietzky 1/2015 |
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