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Die massenhaft einlaufende Kritik beschäftigt die Aufsichtsgremien der Rundfunkanbieter – mit der Konsequenz, daß das Management der Anstalten unter Begründungsdruck gerät und sich häufig in Erklärungsnot befindet. Die Anzahl der Beschwerden hat einen derartigen Umfang angenommen, daß die Sender der ARD zu Verfahrenstricks greifen, um mit der Protestflut fertig zu werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in Deutschland (ARD) ist keine eigenständige Rechtspersönlichkeit, nicht einmal ein eingetragener Verein. Sie ist nur eine mittels Staatsvertrag und Verwaltungsvereinbarungen der Bundesländer geschaffene Plattform, auf der die Länder-Rundfunkanstalten ihr Gemeinschaftsprogramm verabreden und anbieten, eben »Das Erste«. Jede Anstalt liefert einen ihrer Reichweite entsprechenden Programmanteil; jede finanziert ihren Anteil am weltweiten Korrespondentennetz des »Ersten«. WDR-Leute berichten aus Washington, Moskau und der Ukraine. Für den Nahen Osten ist der BR zuständig. Aus London und zum Beispiel aus Beijing melden sich NDR-Journalisten. Der NDR hat 17,5 Prozent Sendeanteil am »Ersten«. Sendebeiträge sind zum Beispiel das Polit-Magazin »Panorama«, diverse Krimis der »Tatort«-Reihe, Angebote des »Weltspiegel« – und natürlich »ARD-aktuell«, die Fernsehnachrichten »Tagesschau« und »Tagesthemen«. Die »Flaggschiffe der ARD« nennt der NDR sie in verräterischer Militaristensprache. Die Zentralredaktion »ARD-aktuell« sitzt in Hamburg, ihr Stammpersonal ist beim NDR angestellt. Lediglich die Chefredakteure und die Moderatoren sind von anderen Sendern »ausgeliehen.« In den Rundfunk-Staatsverträgen der Bundesländer ist auch ein Beschwerderecht der Zuschauer geregelt. Wer den Anspruch auf sachgerechte Information verletzt sieht (er zahlt schließlich die Rundfunkabgabe dafür!), kann Eingaben bei den Aufsichtsgremien der Anstalten machen. Der mediengesetzlichen Theorie nach fordern diese den jeweiligen Intendanten dann auf, den/die Fehler im Programm korrigieren zu lassen. Der Intendant setzt die Korrektur/Änderung gegenüber den verantwortlichen Redakteuren durch, notfalls mit disziplinarischen oder arbeitsrechtlichen Mitteln. Theoretisch. In der Praxis ist dergleichen seit vielen Jahren nicht mehr vorgekommen. Die Rundfunkanstalten sind ein bürokratischer Moloch, ihre Managements und Chefredaktionen agieren selbstherrlich, abgehoben vom Publikum. Zweifel an ihrer Unfehlbarkeit dulden sie nicht, der Umgang mit der Publikumskritik an der Rußland-Ukraine-Berichterstattung beweist das überdeutlich. Einem Zuschauer, nennen wir ihn hier Valentin Wanninger, war Anfang Oktober aufgefallen, daß die »Tagesschau« bei ihren Berichten über die Wahlen in der Ukraine zweierlei Maß angelegt hatte: Die gläsernen Urnen in den Wahllokalen der Ost-Ukraine galten den Reportern und Kommentatoren als Beleg für undemokratische Wählerkontrolle; bei der Wahl in Kiew, eine Woche zuvor, waren gleiche Urnen verwendet worden, ohne daß die »Tagesschau« das moniert hatte. Wanninger beschwerte sich formell bei Ute Schildt, der Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrats. Die erstaunliche Antwort: »Sehr geehrter Herr (...), nach den ARD-einheitlichen Programmrichtlinien (vgl. beim NDR Abschnitt A Ziffer IV) ist für die Behandlung von Beschwerden vorrangig die den kritisierten Beitrag einbringende Anstalt zuständig. Deswegen habe ich Ihre Beschwerde in diesem Fall, in Abstimmung mit der Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrates, an den dafür zuständigen WDR weitergeleitet. Sie werden von dort unaufgefordert Bescheid erhalten.« Bekäme Lieschen Müller ein solches Antwortschreiben, so wäre sie schon am Ende ihres Lateins. Irritierend ist, daß es im NDR-Staatsvertrag keinen Abschnitt A und keine Ziffer IV gibt. Eine Internet-Suche mit dem Stichwort »NDR-Programmrichtlinien« bringt Hunderte nutzloser Einträge und Kopfschmerzen. Man muß mit Medienrechtsfragen vertraut sein, um den Text der erwähnten Richtlinie im Internet zu finden, allerdings nicht unter »NDR« oder »Programmrichtlinien«, sondern unter »Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm ›Erstes Deutsches Fernsehen‹ und anderen Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten (Richtlinien gemäß § 11 RfStV)«. Der Abschnitt IV dieses Dokuments lautet knapp: Beschwerden gegen Beiträge in Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten werden jeweils an die einbringende Rundfunkanstalt weitergeleitet und von dieser behandelt. Unberührt bleibt die Behandlung eingehender Beschwerden durch jede verbreitende Rundfunkanstalt. Das bedeutet: Wer Anstößiges zum Beispiel in der Sendung »Report« (München) findet, muß sich an den BR wenden. Dort sitzen die zuständige Programmaufsicht und die verantwortliche Redaktion. Valentin Wanninger dachte sich, er sei mit seiner Beschwerde über die »Tagesschau«-Nachrichten beim NDR in Hamburg an der richtigen Adresse. Sein Pech. Obwohl die ARD als eh nicht rechtsfähige Institution keine eigene Beschwerdestelle hat, verfügt sie dennoch über ein internes Regularium. Es dient dem für die »Tagesschau« zuständigen Sender NDR dazu, im Falle von Zuschauerkritik seine Verantwortlichkeit für alle nicht von ihm selbst produzierten Beiträge wegzuorganisieren. Ein Bubenstück. Wäre diese Finte rechtens, dann schöbe nach derartiger Praxis der NDR ohne eigene redaktionelle Prüfung die Beiträge anderer Sender einfach in die »Tagesschau« und damit ins »Erste« – und wäre somit nur noch Abspielstation. Er hätte sich selbst von jeglicher redaktionellen Verantwortung befreit. Ein solches Aufgabenverständnis ist mit dem NDR-Staatsvertrag unvereinbar. Dieser enthält in den Paragraphen »Programmauftrag«, »Programmgestaltung« und »Programmrichtlinien« erheblich detailreichere Bestimmungen als das ARD-Papier. Und deshalb ist dem Valentin Wanninger anzuraten, sich vom NDR nicht so billig abspeisen und auf die lange WDR-Bank schieben zu lassen, sondern auf unmittelbarer und prompter Antwort zu bestehen.
Erschienen in Ossietzky 25/2014 |
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