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Social FreezingIn den USA, erfahren wir auf Spiegel online, machen die Firmen Facebook und Apple ihren weiblichen Beschäftigten (denen, deren Arbeitskraft sie noch eine Weile benötigen) das Angebot, »Eizellenbevorratung« zu finanzieren, im Einfrierverfahren. Eine Schwangerschaft kann dann, wenn es noch früh genug ist und alles gut geht, nach Ausscheiden aus dem Job bewerkstelligt werden. Als betriebliches soziales Engagement gilt dies, als Fördermaßnahme für die Laufbahn von Frauen. Das Modell ist ausbaufähig. Hirnforschung und Neurologie machen ja rasante Fortschritte. Also wäre doch demnächst folgende Offerte der Bundestagsverwaltung an MdBs möglich: Sensiblen Abgeordneten, die zu mißtrauischen politischen Gefühlen gegenüber der regierenden Politik oder abweichendem Verhalten in der eigenen Fraktion neigen, wird das Einfrieren der dementsprechenden kleinen grauen Zellen bezahlt, für die Frist bis kurz vor der Aufstellung von Kandidatenlisten zur nächsten Bundestagswahl. Auch das hätte karrierefördernde Wirkungen. M. W. KonjunkturenDie etablierten Wirtschaftswissenschaftler hierzulande haben wieder einmal eine forschende Leistung erbracht: Das Wachstum des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik schwächele, ökonomisch seien schlechtere Zeiten zu befürchten. Offenbar sind sie erstaunt darüber, mit prognostischen Fähigkeiten darf man ja bei ihnen nicht rechnen. Und was sie herausgefunden haben, war jedem schon bekannt, der den wirtschaftlichen Alltag beobachtet. Die Gründe für das Schwächeln liegen auf der Hand: Die deutsche Industrie hat zunehmend Schwierigkeiten mit ihren Exportmärkten im Ausland. Nicht nur – bedingt durch die westliche Sanktionspolitik – in Rußland, sondern auch in Ländern der EU. Dennoch wird diesen weiterhin der deutsche Rat gegeben, »sparsam« zu werden, soziale Standards abzusenken. Viele Wirtschaftsexperten vergessen gern, daß der Verkauf von Produkten die Möglichkeit der Abnehmer voraussetzt, diese zu bezahlen. Stattdessen wird nun von den Wirtschaftsinstituten und den »wirtschaftsnahen« Medien gefordert, die Politik in der Bundesrepublik müsse etwas tun für die Freude deutscher Unternehmer am Investieren, an der Ausweitung des Angebots gerade auch für den Export. Dafür wird ein Patentrezept angeboten: »Schluß mit den staatlichen sozialen Wohltaten!« So als sei das Projekt eines gesetzlichen Mindestlohns in der Bundesrepublik dafür verantwortlich, daß Menschen in anderen europäischen Ländern weniger deutsche Produkte erwerben können. »Weg mit dem Plan einer Frauenquote« schlägt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag vor – so könne die unternehmerische Investitionsneigung wieder ins Lot gebracht werden. Er meint den (bereits abgeschwächten) Gesetzesentwurf für weibliche Beteiligung in den Aufsichtsräten und Vorständen börsennotierter Firmen. Eine Spitzenleistung im wirtschaftspolitischen Diskurs! A. K. Des Kaisers neue KleiderSalbungsvolle Reden und Talkshows mit stundenlanger Selbstbeweihräucherung mußten wir in den letzten Wochen ertragen. Da wollte die schreibende Zunft nicht nachstehen und hat fleißig mitgeschrieben. Auf Seite eins werden die blühenden Landschaften beschrieben, auf Seite fünf der Verfall beklagt und auf Seite sieben die Verheerungen durch den millionenfachen Wegzug aus Ostdeutschland illustriert. Ein Beispiel für diese Schizophrenie liefert die Magdeburger Volksstimme vom 7. Oktober. Zwar findet sich keinerlei Hinweis auf die Gründung der DDR vor 65 Jahren, dafür aber die Überschrift »Zumindest der Verkehr hält mit – 25 Jahre nach Mauerfall ist Ostdeutschland noch nicht auf Westniveau«. Aus einer »Diskussion« wird dann Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln zitiert: »Zumindest in einem Punkt ist Ostdeutschland ... auf Westniveau. Die Verkehrsinfrastruktur ist gut ausgebaut. Das ist eine Erfolgsgeschichte«. Das ist zwar zynisch angesichts demontierter Bahnstrecken und stillgelegter Bahnhöfe, aber zunächst merkt das ja niemand – denken Hüther und die Volksstimme. Munter wird weiter darüber geplaudert, daß die »neuen Bundesländer« Vorbild sein können bei der Bewältigung des demografischen Wandels, denn was in weiten Teilen Sachsen-Anhalts schon an Entvölkerung stattgefunden habe, stünde »einigen westdeutschen Industrie-regionen« noch bevor. Zehn Seiten weiter, in der gleichen Zeitungsausgabe, wird deutlich, daß mit »Verkehrsinfrastruktur« doch nur Straßen gemeint waren, über die die mit Kredit gekauften oder geleasten privaten PKWs und noch viel mehr LKWs rollen – von West nach Ost und umgekehrt quer durch Europa. Die Autobahn A2 wird scherzhaft auch »Warschauer Allee« genannt, auf der Unfälle, Verletzte und Tote kaum noch zu zählen sind. Dort, auf der Lokalseite der Zeitung, wird dann über den Protest der Bürgerinnen und Bürger der Orte Beyendorf und Sohlen berichtet, die sich gegen die Schließung des Bahnhaltepunktes wehren. Und sie argumentieren klüger und weitsichtiger als Michael Hüther oder der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff. Sie sagen nämlich, daß dort, wo keine Bahn mehr hält, auch niemand mehr hinzieht, sondern alle früher oder später wegziehen. Der Exodus von zwei Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern ist ein gutes Stück der Demontage von Fabriken und Verkehrsinfrastruktur geschuldet und wird in dem Umfang weitergehen, wie weiter Bahnstrecken stillgelegt, der schienengebundene Personen-Verkehr ausgedünnt und Bahnhöfe geschlossen werden. Warum soll der Bahnhaltepunkt gestrichen werden? Zwecks Haushaltssanierung! Mit gleicher Begründung werden Theater geschlossen und Hochschulinstitute abgewickelt. Und die ganze selbsternannte »Elite« des Landes ist zu dumm, den Zusammenhang zu kapieren. Die Kinder schreien schon »Er hat ja gar nix an« – aber die neuen Kaiser sind nicht nur eitel, sondern auch taub. Stephan Krull MachandelRegina Scheer hat allerlei zu Papier gebracht, seit frühen Zeiten im Oktoberklub, als Nachdichterin und Literaturzeitschriften-Redakteurin, bis zu späteren biografischen Forschungsarbeiten über das jüdische Berlin. Vielleicht hat mancher gar noch Zeilen im Ohr: »Ich bin wie alle blind geboren / Sehen lernte ich in diesem Land …« Nun schrieb Regina Scheer, Jahrgang 1950, ihren ersten Roman und gab ihm den märchenhaften Titel »Machandel«. Dieses Buch ist ein Wurf, ein Stück Zeitgeschichte, ein regional tief verwurzeltes Stück Literatur, das die Welt des 20. Jahrhunderts in einen weiten Blick nimmt. Machandel ist ein Synonym für Wacholder; der Machandelboom aus dem niederdeutschen, überaus grausamen Grimm-Märchen wird hier zum wiederkehrenden Bild. Machandel heißt aber auch ein imaginäres Dorf in der Mecklenburgischen Schweiz, recht genau lokalisierbar zwischen Teterow und Krakow am See, zumal die seltsamen Namen der Gegend auftauchen: Kuchelmiß, Düstersee, Lalendorf, Burg Schlitz. Die Autorin hat eine einfache Methode, um ihrem Jahrhundert in der DDR und Osteuropa, mit Mauerbau und letztlich lustvollen Demonstrationen, mit Flucht aufs Dorf und Flucht gen West beizukommen. Sie läßt die Protagonisten versetzt jeweils Teile ihrer Lebensgeschichte erzählen. Diese Einfachheit aber ergibt ein raffiniertes Geflecht von Wahrheit und Lebenslüge, von Traum und widersprüchlicher Wirklichkeit. Die Haupterzählerin Clara, eine Berlinerin, Jahrgang 1960, findet in Machandel Lebensraum und Lebenstraum, forscht zum Machandel-Motiv in Literatur und Volkskunde und sieht nach und nach ihre Herkunft mit dem mecklenburgischen Dorf verbunden: Den kommunistischen Vater, KZ-Häftling, später Funktionär, verschlug es zufällig 1945 hierher. Im Ort lebte damals die Smolensker Zwangsarbeiterin Natalja, die ein Kind bekommt und bleibt. Der Freund von Claras Bruder, Herbert, einst Kadett in Naumburg, wird später der Lebensgefährte der Tochter Nataljas. Eine Arztwitwe aus Hamburg nimmt sich einer elternlosen Familie im Dorf an; das Leben des jungen Mädchens Marlene, eine Machandelmärchenfigur, endet im Dritten Reich als »unwert« … Das Thomas-Mannsche Figurenarsenal wird leichter entwirrbar durch eine Auflistung »Die wichtigsten Personen« mit Kurzbiografien. Daß Regina Scheer genau beschreiben kann, Landschaften und Mahlzeiten, die Küchengespräche und die offiziellen Lügen, ist das eine. Daß sie aber die reale Zeitgeschichte mit höchst authentischen Personen in ihre Phantasie-Biografien hineinwebt, macht diesen Roman auch zum erstaunlichen, erschütternden, wundersamen Dokument: Ja, so haben wir gestritten, ja, so feige waren wir, ja, solche Argumente gab es, und das haben wir versäumt, oder, um es mit den Worten der Autorin zu sagen, die 1993 auf einem Singe-Bewegungstreffen fragte: »Wie ist das gekommen, woher kam unsere Bereitschaft zum Mißbrauch?« Also wieder so eine DDR-Aufarbeitungsgeschichte? O nein, das ist ein deutsches, ein europäisches Buch mit einer Geschichte, die im hinterletzten Dorf spielt und in der großen, verpatzten Utopie einer gerechten Gesellschaft nicht enden mag. Matthias Biskupek * Das Lebensgefühl zweier Generationen wird in dem Buch spürbar, die Konflikte der Romanfiguren zeigen sich als die Konflikte sehr vieler Menschen in der DDR. Wir, die wir dort gelebt haben, finden uns wieder, unsere Erfahrungen, Hoffnungen, Träume – warum wir bleiben wollten und mancher von uns nicht. Dem Roman mit seinem Bogen von den 1930er Jahren über den Zweiten Weltkrieg bis hin zur deutschen Einheit im 89er Jahr und in die Gegenwart, sind viele Leser zu wünschen – man darf gewiß sein, daß er sie findet. Walter Kaufmann Regina Scheer: »Machandel«, Roman. Knaus Verlag, 480 Seiten, 22,99 € An Leonhard KossuthLieber Leo! Ich beglückwünsche Dich zum Ergebnis einer mehrjährigen Arbeit. Es ist eine sehr interessante Anthologie russischer und nichtrussischer Schriftsteller entstanden, all dem gewidmet, was Sowjetliteratur ausmachte. Größte Neugier weckt die Autorenliste, die Auswahl. Vermutlich entstand sie unwillkürlich, insgesamt aber bietet sie eine mehr oder weniger vollständige Vorstellung von der sowjetischen Poesie, von baltischen Literaturen und unseren mittelasiatischen Republiken. Fast alles darin gilt Autoren, die ich liebte, kannte und für die mich jetzt freut, daß sie in Deine Arbeit gekommen sind – sowohl Wosnessenski als auch Okudshawa und Simonow oder Ljowa Ginsburg – was waren das für bemerkenswerte Schriftsteller, für bemerkenswerte Menschen. Besonders freuen mich die bei uns wenig bekannten Gespräche mit Scholochow in Deutschland. Die Geschichte von Scholochow und dem »Stillen Don« ist ja eine der geheimnisvollsten in der Weltliteratur. Viele Jahre seines Lebens quälte man ihn mit Verdächtigungen, nicht er sei Urheber des großen Romans »Der stille Don«, und schrieb die Autorenschaft verschiedenen Leuten zu. Nicht ein einziges Mal in diesen Jahren hat er, soweit mir bekannt, auf solche Unterstellungen und Angriffe geantwortet. Warum? Auch das ist ein Rätsel. Keinerlei Widerlegungen. »Nimm Lob wie Lästerung mit Gleichmut hin geduldig«, riet Puschkin wohl dem Dichter. »Der stille Don« ist der beste Roman der sowjetischen, vielleicht sogar insgesamt der russischen Literatur. Und der antisowjetischste. Indessen wurde er dafür nicht nur nicht kritisiert, sondern in Schulbuch-Programme aufgenommen. Das alles geschah zu Lebzeiten Stalins, der sich in der Literatur nicht schlecht auskannte und für Gefahren, die sie bergen konnte, sehr sensibel war. Auch warum der Roman nicht verboten wurde, ist ein Rätsel. Dein Buch gehört zu den Schlußfolgerungen Deines von Herzen kommenden Verhältnisses zu den sowjetischen Schriftstellern, nicht einfach zu ihren Büchern, sondern zu jedem von ihnen, denn mit fast allen hast Du kommuniziert. Ich freue mich darüber, wieviel Du für uns alle gemacht hast. Allzeit Dein Daniil Granin Leonhard Kossuth: »Im Anfang war: Granin auf Reisen – Wohin?«, Essays und Gespräche, NORA-Verlag, 380 Seiten, 29,90 €. Anmerkung von Leonhard Kossuth, der den Brief übersetzt und zur Verfügung gestellt hat: Mit »antisowjetisch« meint Granin gewiß Erscheinungen in der Sowjetzeit, die zum Zusammenbruch der UdSSR führten. Denkmal für PutinWie kann man die politischen Bande zwischen den USA und den europäischen Staaten kräftigen – darüber machte sich deutsche und US-amerikanische Prominenz ihre Gedanken, eingeladen hatte die Berliner Filiale der Aspen-Stiftung (Sitz in Washington), der die ideelle Pflege des nordatlantischen Bündnisses obliegt. »USA und Europa – die lieblose, alternativlose Ehe« überschrieb Die Welt den Tagungsbericht darüber und lobte die US-Teilnehmer: »Ohne Scheu vor Vereinfachung« hätten sie geredet. Ein besonderes Lob bekam der deutsche Politiker Elmar Brok, den die Zeitung als »Vorsitzenden des Wehrausschusses im Europäischen Parlament« titulierte, »wohltuend zynisch« habe der die Lage auf den Punkt gebracht mit der Aussage: »Putin verdient ein Denkmal«. Nicht eines in seinem eigenen Reich, sondern im Westen, denn: Der russische Staatschef habe der vor sich hin dümpelnden NATO einen nachhaltigen und großen neuen »Auftrag gebracht«, auch die nordatlantischen Bindungen gefestigt. Elmar Brok, langjähriger Bertelsmann-Manager, kennt sich aus im Wirtschaftsleben. Und so wird er gewiß im Auge haben, wie sich mit der Ausdehnung militärischer Ambitionen der NATO eine neue Blüte der Rüstungsindustrie entwickelt, zum Segen der Kapitaleigner in dieser Branche. Nebenwirkungen bei der Anwendung solcher Produkte sind, zynisch gesagt, in Kauf zu nehmen. P. S. Mittig grünEndlich müßten auch die Spätentwickler in seiner Partei begreifen, daß diese dabei sei, »aus dem Kampfmodus gegen die Gesellschaft herauszukommen« – teilte der Fraktionsführer der Grünen im hessischen Landtag über die F.A.Z. mit. Das Kalkül mit einer schwarz-grünen Koalition auch im Bund habe doch längst seine Selbstverständlichkeit. Die Grünen seien »in der Mitte angekommen«. Wie die sozialen und politischen Verhältnisse so sind – als kampfbereit werden sich die Grünen alsdann doch zeigen müssen. Nicht gegen »die Gesellschaft«, aber gegen einen Teil derselben, den nämlich, der sich – vertikal gesehen – unterhalb der »Mitte« befindet. Einer Partei der Gutverdiener dürfte das nicht schwerfallen. M. W. RüstungswirtschaftlichesDie Leitmedien schlugen Alarm: Die Bundeswehr sei nicht einsatzfähig für das »Mehr an weltpolitischer Verantwortung«, bei dem »militärische Mittel« als unverzichtbar gelten. Es mangele an einer brauchbaren Ausstattung mit modernen Waffen. Zu demselben Schluß kam eine Studie der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG; ein weniger bürokratisches und endlich einmal »professionelles« Beschaffungswesen auf Seiten des Staates wird darin gefordert. Die für das Militär zuständige Ministerin präsentierte das kritische Gutachten recht zufrieden; sie erhofft sich nun mehr Finanzen für ihr Ressort, und gewiß setzt sie darauf, daß Profis aus der Rüstungsbranche ihr bei der Administration behilflich sind. Insgesamt: Ein absatzfördernder Vorgang im Interesse der Waffenproduzenten; von der Bundesregierung erwarten sie Beihilfe und ein »Bekenntnis« zu Deutschland als Standort moderner Militärproduktion. Hier kommt der Bundeswirtschaftsminister ins Spiel. Er steht unter Druck – einerseits durch die auf Akquise sinnende Rüstungsbranche, andererseits durch eine kritische Stimmung in der Öffentlichkeit (auch an der Basis seiner Partei), die sich nicht damit abfinden will, daß deutsche Waffen in Länder und an Regierungen geliefert werden, die alles andere als friedensfreundlich sind. Sigmar Gabriel hat zu diesem Dilemma ein langes Grundsatzreferat gehalten, vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Der Ton ist staatsmännisch, die Argumentation erscheint abwägend, eher politologisch objektivierend, beide Seiten in der Kontroverse über Rüstungsexporte können darin ihre Anliegen bestätigende Sätze finden. Bei genauer Lektüre allerdings stellt sich heraus: Der Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende will deutsche »Wettbewerbsfähigkeit« in der militärtechnischen Konkurrenz, keineswegs möchte er den Rang der Rüstungsindustrie als »Schlüsselbranche« in Frage stellen, auch nicht den Waffenexport aus der Bundesrepublik in »Drittstaaten«, die weder der NATO noch der EU angehören. »Transparent« freilich soll es dabei zugehen, intensive »Prüfung« von Lieferwünschen müsse stattfinden, »Parameter« dafür schlägt Gabriel vor, recht ausgeklügelte. Im Effekt solcher Verfahren soll offenbar das Publikum dazu neigen, auf Kritik zu verzichten, in dem Gefühl: Die ganze Angelegenheit sei eben komplex. Gabriel plädiert für eine europäische Struktur in der Rüstungswirtschaft, aber erst müßten die deutschen Unternehmen dafür fit gemacht werden. Und nicht ohne List schlug er vor, in Sachen militärischer Ausfuhr dem Außenministerium mehr Zuständigkeit zu geben, schließlich diene Waffenexport ja »außen- und bündnispolitischen Interessen« der Bundesrepublik. So wäre demnächst die Verantwortung bei dem wenig angenehmen Thema gleich auf drei ministerielle Schultern verteilt (das Verteidigungsministerium ist in der Praxis mitbeteiligt). Frank-Walter Steinmeier allerdings winkte ab; die Verantwortung für Rüstungsexporte möchte er nicht zugeschoben haben. Die am Rüstungsgeschäft interessierten Konzerne und Firmen haben mit alledem kein Problem, ihre Ambitionen sind nicht gefährdet. Die politische Weltlage verschafft ihnen Aufwind, die Grundrichtung der herrschenden Politik ist: bei Ausbrüchen von Waffengewalt mehr eigener Waffeneinsatz – also auch mehr Waffenproduktion, zum Wohle der rüstungswirtschaftlichen Kapitaleigner. A. K. Staatsziel TiernutzArno Klönne wies kürzlich im ND darauf hin, daß es dem Ersten Weltkrieg 100 Jahre nach dessen Beginn keineswegs an medialer Aufmerksamkeit mangele, sich »allerdings im publizistischen Spektrum dieser Erinnerungsangebote bemerkenswerte Lücken« zeigen. Er hatte dabei die eher vernachlässigte Darstellung entschiedener Kriegsgegnerschaft im Auge. Einem anderen, ebenfalls selten bedienten Aspekt widmet sich Rainer Pöppinghege, der an der Universität Paderborn Neueste Geschichte und Didaktik lehrt. Hatte schon seine Habilitation Kriegsgefangenen-Zeitungen des Ersten Weltkriegs zum Thema, so ist sein neuestes Buch eine Kulturgeschichte über »Tiere im Ersten Weltkrieg«. Mit diesem ersten industrialisierten Krieg endete, so Pöppinghege, ein jahrtausendealtes Miteinander von Mensch und Tier im Krieg. Im Ersten Weltkrieg ging Tiernutz vor Tierschutz, und der Staat rekrutierte nicht nur massenhaft Menschen, sondern halt auch Tiere: Brieftauben, Pferde, Esel, Hunde, Kamele, Ochsen. Im Einsatz waren sie als Reit-, Last- und Zugtiere, als gefiederte Kuriere, als Melde- oder Spürhunde und später als Blindenhunde. Gab es für die Soldaten, wie schon in Ludwig Uhlands Ballade (»Schwäbische Kunde«), an der Front »viel Steine und wenig Brot«, so gab es auch für die Tiere viel Arbeit bei wenig Futter. Stattdessen Gasmasken. Diese wurden nicht nur für die Soldaten, sondern auch für Hunde, Pferde und sogar für Tauben entwickelt, damit sie nicht von Himmel fielen, wenn sie mit umgeschnallter automatisch auslösender Minikamera die Mensch und Tier vergiftenden Gasschwaden über den Frontlinien durchflogen. Klaus Nilius Rainer Pöppinghege: »Tiere im ersten Weltkrieg«, Rotbuch Verlag, 144 Seiten,18,95 € Gemeiner NutzenAttac, einer Nichtregierungsorganisation mit kritischer Einstellung gegenüber globalen Raubzügen des Kapitals, ist vom Finanzamt in Frankfurt/Main der Status des »Gemeinnützigen« entzogen worden. In der Begründung wird darauf verwiesen, daß attac sich politisch engagiere, zum Beispiel eine Besteuerung von Finanztransaktionen fordere. Spenden an attac sind demnach nicht mehr steuerlich in Anrechnung zu bringen, was die Tätigkeit der Organisation beschädigt. Weiterhin als »gemeinnützig« und damit steuerlich begünstigt können jene zahllosen und üppig mit Spenden ausgestatteten Vereine und Stiftungen agieren, die für weitere Steuersenkungen bei Kapitaleinkünften werben. Weil das ja unpolitisch ist und dem gemeinen Nutzen dient. M. W. Beispiellos unwissendDas British Museum in London zeigt seit kurzem eine Ausstellung über Deutschland, die nach Darstellung der Deutschen Welle das britische Deutschlandbild verändern und geraderücken will. Der Titel lautet »Germany: Memories of a Nation«. Die Ausstellung sei eine Art Gratulation der Briten zu 25 Jahren Mauerfall. »Der Ausgangspunkt ist«, sagte Museumsdirektor Neil MacGregor gegenüber dem Sender, »daß die meisten Briten von der deutschen Geschichte nur zwölf Jahre kennen, die zwölf schwarzen Jahre sozusagen.« Im Deutschlandradio Kultur lobte MacGregor Deutschland für »eine beispiellos ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit«. Ist der Direktor des British Museums beispiellos unwissend oder nur beispiellos gefühllos gegenüber denen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben? Hätte es die beispiellos ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wirklich gegeben, dann hätte die Entnazifizierung nicht durch die vorzeitige Entlassung verurteilter Kriegsverbrecher unterlaufen werden dürfen. Aber Hitlers Generäle mit ihrer Erfahrung im Kampf gegen Rußland wurden für die deutsche Wiederbewaffnung gebraucht. Der Chef der Nazi-Spionage-Organisation »Fremde Heere Ost«, Reinhard Gehlen, war als Berater westlicher Geheimdienste herzlich willkommen. Zusammen mit dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, hintertrieb Gehlen als Leiter des Bundesnachrichtendienstes die Entdeckung Adolf Eichmanns, des Organisators der Massenmorde an den Juden. Ein Verfolgter des Naziregimes, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, kam ihnen in die Quere. Was hat es mit einer angeblich beispiellos ehrlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu tun, daß an die Spitze des für politische Strafsachen zuständigen Senats beim Bundesgerichtshof ausgerechnet jener Ernst Kanter berufen wurde, der als Chefrichter im besetzten Dänemark für Todesurteile gegen Widerstandskämpfer verantwortlich gewesen war? War es das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, daß ein Mann wie Theodor Oberländer erst dann aus dem Bundeskabinett entlassen wurde, als ein Verfolgter des Naziregimes dessen tiefbraune Vergangenheit enthüllt hatte? Wie konnte es dazu kommen, daß einem wegen Auschwitz-Verbrechen verurteilten Industriellen das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, zu allem Hohn auch noch ausgerechnet wenige Wochen nach Beginn des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt? Auch dieser Skandal wäre sang- und klanglos über die öffentliche Bühne gegangen, hätte nicht ein deutscher Verfolgter des Naziregimes die Beteiligten mit der Nase auf diese unglaubliche Verhöhnung der Opfer des Holocaust gestoßen. Dear Mister Neil MacGregor – haben Sie vielleicht etwas verpaßt? Conrad Taler Zuschriften an die LokalpresseBlooß gud, daß unseräner immer mal neigierich in de Glodze schdierd oder sich ficheland de Neiichkeidn aus dor Zeidung neinzieht. Wer das nich machen dud, gann ähm nich hinder de Gulissen gugg‘n! Där gann ähm nich midred‘n. An dähm gehds wahre Lähm ähm gladd vorbei! Zum Beischbiel: Schon zum zweeden Mahl innerhalb von eener Woche ham die Loggfiehrer ihre Zieche ohne de Loggemodivn fahrn lassn, und das Geschimbfe und Gemeggere war wieder groß. Angäblich gings den Loggemodivfiehrern um ä baar mähr Eiro in dor Lohndiede, aber das is ja alles Schwindel. Heide hamse nämlich im Färnsähn gugg‘n lassen, daß de Bahnschien‘ und de Bahnbriggen in maroden Zuschdand sinn und daß viele erneierd wern missden, und das kosded Gäld, mei Freind, und nich wenich! Aber de Loggfiehrer, die sinn ja nich mid‘n Glammersagg gebuderd, also was machen die? Die schdreig‘n, damid de Schien‘ und de Briggen geschond wärn un länger hald‘n! Also heert auf, rumzenöln und sähds ooch ämal von der Seide! Hasdes schädsd ändlich begriff‘n, mei Gudsder? Na, ‘s wurde ja ooch heechsde Zeid! – Willi Dampf (70), Bahnrentner, 99100 Bahnhof Zimmernsupra-Töttelstädt Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 22/2014 |
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