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Ein Kapitel der Ausstellung: »Silber aus ehemals jüdischem Besitz«. Edelmetalle mußten Juden ab Februar 1939 abgeben, Trauringe und ein paar Kleinigkeiten ausgenommen. Das Silber war zum Einschmelzen vorgesehen. Fachpersonal begutachtete die Stücke, um Schätze für die Hamburger Museen zu retten. Das MK&G kaufte 1940 dem Deutschen Reich als neuem Besitzer einen Teil des Silbers (2000 Kilogramm in 30.000 Einzelteilen) ab. Auch aus den Synagogen beschlagnahmtes – geraubtes – Silbergerät wurde den Museen angeboten. Was übrig war, kam später in den Tresorraum der Finanzbehörde, den »Silberkeller«. Im Mai 1949 wurde in der britischen Besatzungszone ein Rückerstattungsgesetz erlassen. Nun durften überlebende Eigentümer oder ihre Nachkommen ihr Familiensilber zurückerhalten. Oder auch nicht. Denn: Sie mußten schriftliche Beweise vorlegen, was oft unmöglich war. Im Katalog zur Ausstellung (144 Seiten, 19,90 €) sind viele Dokumente abgedruckt, Listen, Stellungnahmen der Finanzbehörden. Ein dezenter Hinweis auf einer Inventarkarte auf ein Objekt mit unbekanntem Zugangsdatum: »Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß der Becher bei der Auslagerung vom sog. Judensilber in den Bestand des Museums für Hamburgische Geschichte geraten ist.« Sabine Schulze, die Direktorin des MK&G gesteht, daß sie auch »Erwerbungen aus jüdischem Umzugsgut« besäßen, beschlagnahmt im Hamburger Hafen. Ebenso »Erwerbungen« aus »jüdischen Haushaltsauflösungen«. Die Stadt stellte damals dafür Sondermittel zur Verfügung. Im Depot des Museums lagern Kisten mit Bestecken auf weißem Seidenpapier, nicht wohlgeordnet – wie Särge, gefüllt mit Knochen. 1958 hatte Hamburg mit der Jewish Trust Corporation eine Abgeltungssumme vereinbart für jene Silberbestände, die nicht an die Vorbesitzer oder Erben zurückgegeben werden konnten. Etwa eine Tonne Silber war herrenlos und wurde 1960/61 an Hamburger Museen verteilt. Nach dem Washingtoner Abkommen von 1998 verpflichtete sich die Bundesrepublik, Kulturgüter, die verfolgungsbedingt in der NS-Zeit »entzogen« wurden, zurückzugeben oder Wiedergutmachung zu leisten. Das dauert. Die Datenbank »Lost Art« wurde gegründet. Dort können Such- beziehungsweise Fundanzeigen öffentlich gemacht werden. Eine Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin unterstützt das MK&G seit 2010 bei seinen Recherchen. Und wenn jetzt ein Zentrum für Kulturverluste entsteht – so nützt es den Wissenschaftlern, weniger den Erben. Die Exponate in den Vitrinen der Ausstellung sind auf orange-roten Untergrund gebettet. Genauso auffällig die Hinweise, wie Splitter fürs Auge, die sich durch das gesamte Museum ziehen. Überall dort, wo sich in der Dauerausstellung ein Objekt aus einer der Sammlungen befindet, die in den Vitrinen unten vorgestellt werden, markiert das ein orangefarbenes Dreieck. Das MK&G hatte schon immer gute Beziehungen zu Sammlern. So zu dem Ehepaar Henry und Emma Budge, deutsche Juden, die in den USA reich geworden waren und sich am Lebensabend in Hamburg niederlassen wollten. Sie sammelten Kunstgewerbe, ließen sich vom MK&G beraten, machten als Dank auch Schenkungen. Nach dem Tod des Ehemanns sollte die kostbare Sammlung an das Museum vermacht werden – die Villa an der Außenalster ebenfalls. Dort war eine Außenstelle des Museums geplant, um großbürgerliches Leben zu zeigen. Dann kamen die Nazis. 1933 widerrief Emma Budge das Testament zugunsten ihrer Verwandten. Jeglicher Nutzen für Hamburg sollte ausgeschlossen sein. Was aber geschah? Nach dem Tod Emma Budges wurde die Sammlung 1937 versteigert – unter Wert – und die Villa kam an die Stadt. Karl Kaufmann, der Gauleiter und Reichsstatthalter zog ein. Sein neuer Amtssitz. Der Erlös aus Auktionen und Verkauf kam auf ein Nachlaßkonto. Doch darüber verfügen konnten die Erben nicht. Nach dem Krieg gab es ein Wiedergutmachungsverfahren für das Palais, eine umstrittene »Nachvergütung«. Seit 1959 ist die Hochschule für Musik und Theater hier angesiedelt. Für einen Erweiterungsbau sollte der Spiegelsaal abgerissen werden. Der Denkmalschutz rettete ihn und ließ ihn im MK&G 1987 einbauen. Aus der Budge-Sammlung ausgestellt unter anderem eine Terrine aus Meißner Porzellan und ein Puppenhaus. Ein anderes Beispiel: der »Räumungsverkauf« der Kunsthandlung A.S. Drey. Dieses Schnäppchen für Museen ergab sich, weil eine vorgeblich fällige Steuerschuld von 300.000 Mark an das Finanzamt München abzuführen war. Die alteingesessene Firma wurde von Siegfried Drey und Adolf Stern geführt, auch deren Söhne arbeiteten dort. Der Kunsthändler hatte sein gesamtes Lager an Kunstgegenständen versteigern lassen müssen. Der Katalog stellt lakonisch fest: »Siegfried Drey starb im Februar 1936 unmittelbar nach der Verhandlung mit dem Finanzamt und im Beisein seines damaligen Juniorpartners Ludwig Stern.« Ein kostbarer Pokal aus dem 16. Jahrhundert befindet sich seit 1936 im Besitz des MK&G. 2003 gab es Rückgabeansprüche darauf. Die Erben und das Museum einigten sich auf einen Abgeltungsbetrag. So kann das alte Nürnberger Prunkgefäß in der Ausstellung gezeigt werden. Das MK&G beherbergt eine große Asiatika-Abteilung. Der Tabakindustrielle Philipp Fürchtegott Reemtsma aus Hamburg, der mit dem Zigarettenmonopol für die SA, ließ in den Jahren 1934 bis 1940 eine exklusive Sammlung chinesischer Kunstwerke zusammentragen. Bei der Auswahl halfen ihm Museumsmitarbeiter aus Hamburg und Berlin. Die Stücke stammten aus acht Sammlungen, die in den 30er Jahren aufgelöst oder versteigert werden mußten. Während des Krieges gut verwahrt – eingemauert im Keller der Reemtsma-Villa – überlebten die Kostbarkeiten. Nach einer Ausstellung chinesischer Keramik im MK&G 1974 verblieben die Stücke als Dauerleihgabe dort. Später wurden sie als Schenkung dem Museum übereignet. Von 319 Kunstgegenständen konnten nur 91 Provenienzen »zufriedenstellend« geklärt werden. Anderes wanderte in die »Lost-Art«-Datenbank. Immer wieder stößt man auf »nicht abgeschlossene Fälle«, die noch erforscht werden müssen oder wie – bei einigem von Reemtsma »Erworbenen« – wird ein Rückgabeanspruch »geprüft«. Der Katalog hilft, das Fragezeichen hinter dem Titel »Raubkunst« in mancherlei Hinsicht zu deuten. Und zeigt, wie unerläßlich es ist, sich in alte Auktionskataloge, Kunstzeitschriften, Zeitungsannoncen und nicht zuletzt in die Geschichten von Sammlern zu vertiefen. Leider sind Seitenzahlen und Anmerkungen extrem klein in einem unleserlichen Grauton gedruckt – unwichtig? Die Ausstellung läuft als – hoffentlich – »Work in Progress« bis 1.11.2015.
Erschienen in Ossietzky 22/2014 |
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