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Der solidarische Hilfseinsatz zur Rettung von Menschenleben in der einen steht dem Geschäft mit dem Tod und dem Töten in der anderen Welt gegenüber. Die Wahrnehmung der gegensätzlichen Welten zieht sich wie ein roter Faden durch meine Reisen zwischen Hamburg und Havanna. Unter den Papieren, die ich während meines Flugs nach Havanna durchsehe, ist auch eine Pressemitteilung der von Jesuiten geführten Eliteuniversität Georgetown in Washington. Die katholisch-konservative Kaderschmiede begrüßt danach im Wintersemester die kubanische Systemgegnerin Yoani Sánchez als Gaststudentin. Die Kosten von 60.000 US-Dollar für einen Crashkurs in Online-Journalismus übernehme der US-amerikanische Internetkonzern Yahoo, der Sánchez zusätzlich 5.000 Dollar für Reisekosten zukommen lasse, heißt es weiter. Beim Beiseitelegen der Meldung überlege ich, wieviel kritische Journalisten in der Welt wohl in den Genuß vergleichbarer Förderungen kommen, und frage mich, ob taz, FAZ und andere Medien weiterhin versuchen werden, ihren Lesern weißzumachen, daß die weltreisende Kubanerin eine unabhängige Bloggerin sei. Auch die nächste Notiz dokumentiert ein Täuschungsmanöver. Ihr zufolge vertreibt der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlé für sein Kaffeesystem »Nes-presso« neuerdings Aluminium-Kapseln mit dem Namen »Cubanía«. Die Kreation sei »authentisch kubanisch«, verspricht die Werbung. Etwas versteckt wird der Konsument dann dezent darauf hingewiesen, daß die Neuschöpfung »keinen kubanischen Kaffee« enthält. Statt sich dem langen Arm der US-Blockade zu widersetzen, zieht das größte Industrieunternehmen der neutralen Schweiz es offenbar vor, seine Kunden etwas unseriös zu ködern. An dieser devoten Ergebenheit europäischer Unternehmen und Regierungen gegenüber Washington wird sich vermutlich auch nach dem 28. Oktober nichts ändern. An diesem Tag steht in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York zum 23. Mal die Verurteilung der seit über 50 Jahren von den USA gegen Kuba aufrechterhaltenen Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade auf der Tagesordnung. Da ich frische Kaffeebohnen dem in Aluminium-Kapseln gepreßten Konzentrat vorziehe, freue ich mich auf den Genuß echten kubanischen Espressos in meinem Lieblingscafé Escorial an der Plaza Vieja in Havanna. Hier in Havanna stellten Mitte Oktober im Villena-Saal des Schriftsteller- und Künstlerverbandes UNEAC die renommierten US-amerikanischen Kuba-Experten William M. LeoGrande und Peter Kornbluh ihr jüngstes Buch mit dem Titel »Back Channel to Cuba« vor. Darin werden unter anderem erstmals Dokumente veröffentlicht, die belegen, daß die USA in den 1970er Jahren einen Krieg gegen Kuba vorbereitet haben. Die Autoren weisen nach, daß der frühere US-Außenminister Henry Kissinger seinem Präsidenten Gerald Ford dazu geraten hat, die Insel militärisch zu attackieren. Der Angriff sollte mit Luftschlägen eingeleitet, kubanische Städte bombardiert und die Häfen der Insel vermint werden. Zur Vorbereitung fand am 24. März 1976 ein Treffen statt, an dem neben anderen hochrangigen Militärs auch der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beteiligt war. Kissinger konnte seinen Schlachtplan allerdings nicht mehr in die Tat umsetzen, weil er nach dem Wahlsieg Jimmy Carters am 23. Januar 1977 durch seinen Nachfolger Cyrus Vance von der Demokratischen Partei als Außenminister abgelöst wurde. Gut drei Jahre zuvor war Kriegsplaner Kissinger – in bewährter Tradition – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Einige Tage nach der Buchvorstellung treffe ich mich zum Frühstück mit Heinz Langer. Er ist einer derjenigen, die ein Opfer der von Kissinger geplanten Bombenangriffe hätten werden können. Von 1975 bis 1979 und von 1983 bis 1986 war Langer Botschafter der DDR in Kuba. Der Ex-Diplomat verfügt noch immer über exzellente Kontakte und führt in diesen Tagen eine Reisegruppe der vor 40 Jahren gegründeten Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba über die Insel. Nach seiner Pensionierung hat Langer drei Bücher mit Analysen, Hintergrundinformationen und Anekdoten über Kuba veröffentlicht. Ein viertes Buch, das den Prozeß der wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Umgestaltung zum Schwerpunkt hat, steht kurz vor der Fertigstellung. Während unseres Gesprächs blicken wir auf den Malecón von Havanna, dem Kissingers Bombardement erspart geblieben ist. Langer schwärmt mir von einem legendären Konzert der ebenso legendären DDR-Rockband »Puhdys« während der 11. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Jahr 1978 auf der Uferstraße der Karibikmetropole vor. Die Musiker und die 18.500 Festspielteilnehmer hätten die Befestigungsmauer der Promenade zum Erzittern gebracht, allerdings auf eine friedlichere und freundlichere Art als die US-Militärs es vorgehabt hatten, versichert mir der Botschafter a. D. Am Nachmittag desselben Tages treffe ich den Filmemacher Tobias Kriele, dessen jüngster Dokumentarfilm, »Die Kraft der Schwachen«, beim kubanischen Premierenpublikum in der Provinzhauptstadt Camagüey und in Havanna Tränen und Beifallsstürme auslöste. Der Film beschreibt den Weg des heute 21jährigen Jorge Enrique Jerez Belisario, genannt Jorgito, der mit einer beidseitigen spastischen Lähmung in der 550 Kilometer östlich von Havanna gelegenen Stadt Camagüey zur Welt kam. Jorgito selbst, seine Angehörigen, Ärzte, Physiotherapeuten, Lehrer und Freunde erzählen von seinem Willen und den Erfolgen, davon wie er als Junge mühsam laufen und sprechen lernt. Dank Solidarität und großer Wärme kann er seine Träume verwirklichen. Einer davon ist das Journalistik-Studium, das er auch ohne fünfstelliges Yahoo-Stipendium mit gutem Erfolg absolviert, wie der Zuspruch zu seinem Blog (http://jorgitoxcuba.wordpress.com) beweist. Jetzt freue Jorgito sich vor allem auf seine Reise zur deutschen Premiere des Films am 23. November in Berlin. Anschließend soll die 45minütige Dokumentation in Anwesenheit von Tobias Kriele und Jorgito in acht weiteren deutschen Städten gezeigt werden. Werden die deutschen Mainstream-Medien dem Film eine Zeile widmen?
Erschienen in Ossietzky 22/2014 |
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