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Um einen Druckfehler handelt es sich keineswegs, poetisch hat die Linke gegenwärtig wenig vorzuweisen; genutzt wird vielmehr ein Begriff, den der geschickte Soziologe Niklas Luhmann in gebildeten Gebrauch gebracht hat. Er verstand sich darauf, alltäglichen Erfahrungen wissenschaftlichen Charme zu geben. »Autopoiesis« – das ist (Luhmannexegeten mögen mir die Reduktion der Komplexität des Begriffs verzeihen) die Gewohnheit eines Teilsystems in der Gesellschaft, sich auf Selbsterhaltung zu konzentrieren, vorwiegend mit sich selbst zu beschäftigen, aus der gesellschaftlichen Umwelt nur das wahrzunehmen, was dazu paßt. Nun zum Empirischen, und um Kränkungen gleich vorzubeugen: Es handelt sich um einzelne Beobachtungen, die Allgemeingültigkeit nicht beanspruchen; linke LeserInnen dürfen also immer unterstellen, es seien ganz andere Linke gemeint. Erst einmal die linke Partei: Ihre Köpfe und Hände haben derzeit voll damit zu tun, eine Positionierung zu den Scheußlichkeiten jener Milizen zustande zu bringen, die sich »Islamischer Staat« nennen. Jetzt doch den UN-Sicherheitsrat animieren, ein Mandat für eine militärische Großaktion zu geben? Ausnahmsweise US-amerikanische und saudiarabische Bombardierungen billigen? Vielleicht sogar in diesem Fall einem Einsatz der Bundeswehr zustimmen? Oder: Der Kampffähigkeit kurdischer Gegner des IS auf die Sprünge helfen, dafür Waffengeld sammeln? Aber auf welche kurdische Partei setzen? Und Syrien: Sich auf die Seite von Assad schlagen? Oder auf die der syrischen »Befreiungskräfte« – aber auf welche ihrer Sorten? Die innerparteilichen Kontroversen halten an, ein Ende ist nicht abzusehen. Dem autopoietischen Linksparteiler mag die Frage abwegig erscheinen, ob denn zu erwarten ist, daß ein solcher Diskurs in seinem Ergebnis Einfluß auf Entscheidungen bei den Vereinten Nationen nehmen kann, oder bei den US-amerikanischen Strategen und den arabischen Despoten, oder auf die Willensbildung der deutschen Bundesregierung beziehungsweise der Mehrheit im Deutschen Bundestag. Und andererseits: Ob denn die deutsche Linke imstande sei, diesen oder jenen fortschrittlich gesonnenen kurdischen oder syrischen militärischen Gruppierungen zum Erfolg zu verhelfen. Oder, einerseits, ob der türkische Staatschef sich durch eine Rüge der deutschen Linkspartei zum Bündnis mit kurdischen Bekämpfern des IS bekehren läßt; oder, andererseits, wie denn eine linksparteiliche Solidaritätserklärung für die Kurden den Sturz von Erdoğan anbahnen soll … Autopoiesis im Sinne von »Die Realität draußen muß uns nicht kümmern« hat freilich bei der Linkspartei eine Besonderheit. Die Beschäftigung mit dem eigenen Teilsystem geschieht hier unter Berücksichtigung eines daneben existierenden, nämlich des Parlaments- und Regierungsbetriebs. Linksparteiliche Selbsterhaltung kann als Fähigkeit zum Mitregieren verstanden werden. Innerparteiliche Diskurse sind dann, unabhängig von ihrem geäußerten Inhalt, koalitionspolitisch zu verstehen, auch als Konkurrenz um Funktionen in der Partei und bei ihren parlamentarischen Jobs. Kontroversen über die Konflikte im Nahen Osten können in diesem Fall auf Geländegewinne in Berlin hin angelegt sein. Für die Linke außerhalb der Partei Die Linke ist dies nicht die autopoietische Aufgabe. Sie kann sich der Selbsterhaltung auf andere Weise widmen; Gesinnungsgemeinschaften und Gruppengefühle müssen beisammengehalten und gepflegt, Gemeinden von LeserInnen verstetigt werden. Hier haben wir es, würde Luhmann sagen, mit kleineren Teilsystemen eines – gesamtgesellschaftlich betrachtet – größeren Teilsystems zu tun. Sie konkurrieren untereinander, deshalb sind sie auf ideelle Besonderheit aus, auf Abgrenzungen innerhalb der linken Szene in ihrer Gesamtheit. Und so werden, um beim Thema Naher Osten zu bleiben, zum Beispiel intensive und theoretisch aufgeladene Debatten geführt über revolutionäre oder konterrevolutionäre Eigenschaften der einen oder der anderen dort beheimateten politischen Aktivität. Das erfordert einen hohen Aufwand an linker Zeit und Energie hierzulande, auch sind nahöstliche Verhältnisse von außen nicht so leicht durchschaubar. Erleichternd ist für diese autopoietische politische Verhaltensweise: Hiesige Einschätzungen linker Möglichkeiten in fernen Territorien müssen nicht dort von deutschen Linken selbsttätig ausprobiert werden ... Genug der Lästerei, die Frage »Wo bleibt das Positive?« ist ja nicht von der Hand zu weisen, deshalb noch ein Hinweis: Systemtheoretische Modelle gesellschaftlichen Verhaltens sind nicht von der Weltgeschichte gesetzmäßig verordnet. Es wäre durchaus vorstellbar, daß Linke sich nicht an Luhmanns Autopoiesis halten. Am Exempel des Diskurses über die Konflikte im Nahen Osten: Die Linke könnte sich auf das konzentrieren, was in ihrer eigenen Kraft läge: Hartnäckige Aufklärung in der deutschen Öffentlichkeit über die Hintergründe, externen Förderer und Nutznießer der Gewalttaten; entschiedener Widerspruch gegen den Mißbrauch des Elends in den umkämpften Territorien für deutsche weltpolitisch-militärische Ambitionen. Da wäre viel zu tun und manches zu erreichen. Sicher nicht eine bundesregierende rosa-grün-rote Koalition, aber die ist ohnehin eine Fata Morgana.
Erschienen in Ossietzky 22/2014 |
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