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Das zeigt sich erstens an der seit 1979 stetig sinkenden Wahlbeteiligung – von damals rund 62 Prozent auf nur mehr 42,5 Prozent – und zweitens am Erstarken reaktionärer und nationalistischer Parteien wie etwa dem Front National in Frankreich, der UKIP in Großbritannien und auch der AfD hierzulande. Nun ist das sogenannte Europäische Parlament im politischen Getriebe der EU nach wie vor kaum mehr als ein demokratisches Feigenblatt, weil es ja keine »Unions-Regierung« wählen oder abwählen kann. Im übrigen bilden im Parlament fortan die Vertreter konservativer und rechter Parteien aller Schattierungen eine deutliche Mehrheit, die das Hauptübel der EU, die seit den 1980er Jahren enorme und seit dem Beginn der Finanzkrise extrem gewordene soziale Ungerechtigkeit, gewiß nicht nachdrücklich auf die unionseuropäische Agenda setzen werden. Politisch real ist in der EU inzwischen folgendes: Im Europäischen Rat (der Staats- und Regierungschefs) dominiert das rechte Lager, im (Minister-)Rat der EU sowie im Parlament nicht minder und in der sich gerade neu konstituierenden EU-Kommission auch. Sie wird fortan von dem mit erheblichen Vollmachten ausgestatteten konservativen Ex-Premier Jean-Claude Juncker geführt, der sich vorgenommen hat, aus den ihm von den amtierenden Regierungschefs der Mitgliedstaaten an die Seite gestellten wenigen Kommissarinnen und vielen Kommissaren ein »Siegerteam« zu formen. O-Ton Juncker: »Diese Kommission hat die nötige Erfahrung, um die wirtschaftlichen und außenpolitischen Herausforderungen zu meistern, mit denen sich Europa konfrontiert sieht.« Das die eigentliche Herausforderung in der jüngst sogar von der marktradikalen Bertelsmann Stiftung in einem »EU-Gerechtigkeitsindex« als dramatisch wachsend analysierten sozialen Spaltung zwischen Nord und Süd liegt, ließ Juncker unerwähnt. Nicht zu vergessen: Die neue EU-Kommission erhält eine bemerkenswert veränderte Aufgabenverteilung. Sieben der 28 Mitglieder erhalten kein eigenes Ressort, sondern sollen als Vizepräsidenten mit Vetorecht die Fachkommissare überwachen. Der Erste Vizepräsident steht dem Präsidenten Juncker als »Wachhund« über alle anderen Mitglieder des Gremiums zur Seite und soll sich um »bessere Regulierung« und »Subsidiarität« kümmern. Die sechs weiteren sollen sogenannte Schwerpunkthemen koordinieren, als da wären: Außenpolitik, Energie-Union, digitaler Binnenmarkt, Euro und sozialer Dialog, Beschäftigung, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, EU-Haushalt. Und warum? Nun, vor allem geht es darum, eher sozialmarktwirtschaftlich orientierte Fachkommissare wie etwa den als Währungskommissar vorgesehenen französischen Ex-Finanzminister Pierre Moscovici gezielt auf die waltende extreme Austeritätspolitik festzunageln. Der EU-Politik geht es seit Jahren und auch weiterhin vor allem um die Senkung der Schuldenstandquote – sprich der staatlichen Schulden in Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die im Europäischen Rat dominante Kanzlerin Angela Merkel und der mindestens ebenso machtbewußte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker teilen die vermeintlich plausibel klingende Vision, in der EU Wachstum und Arbeitsplätze zu mehren, ohne dafür mehr Schulden zu machen. Sie teilen die Auffassung, die EU und vor allem die notleidende Eurozone unter keinen Umständen in eine demokratisch fundierte Politische Union nebst Sozialunion zu überführen. Und das heißt, daß das riesige Wirtschaftsgefälle in der Eurozone weiterhin bestehen und die gemeinsame Währung immer mehr zum Sprengsatz verkommen wird. (Die Bordmittel der Europäischen Zentralbank – vor allem die Niedrigzinspolitik – sind mangels politischer Unterstützung bereits so gut wie ausgereizt.) Für die von der historisch gefährlich hohen Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit sowie vielfältigen Sozialkürzungen betroffenen EU-Bürgerinnen und Bürger sind die Aussichten alles andere als rosig. In einer italienischen Zeitung hieß es anläßlich der Vorstellung des Junckerschen »Siegerteams«, es sei bei Licht betrachtet ein »Schraubstock der Sparsamkeitsfanatiker aus dem Norden«. Der neue EU-Ratspräsident aus dem Norden, der polnische Regierungschef Donald Tusk, der auch für die Gipfeltreffen der Eurozone zuständig ist, behauptet übrigens ebenfalls, Wachstum und Sparen seien kein Widerspruch. Schon deshalb möchte er Großbritannien in der EU behalten, wohl wissend, daß Premierminister David Cameron einen »entschiedenen Kampf« gegen die EU-Institutionen und deren ihm zu weit gehenden Befugnisse führen will. Sollte Cameron bei den Unterhauswahlen im Mai 2015 wiedergewählt werden, steht folgende Drohgebärde im Raum: »Ich werde bekommen, was Großbritannien braucht … Ich werde nach Brüssel gehen, und ich werde kein Nein als Antwort akzeptieren.« Im übrigen will der Premier bei einer Wiederwahl die Briten 2017 über den Verbleib in der EU abstimmen lassen. Die EU-Politik der vergangenen Krisenjahre hat viele Mitgliedstaaten in den wirtschaftlichen Abgrund gestoßen. Der vorgesehene Kurs wird darin gipfeln, die bereits festgelegten Regeln zur Reduzierung der Staatsschulden noch härter zu gestalten (einschließlich der Verankerung in allen Verfassungen der Eurozonenmitglieder). Die EU wird folglich weiterhin in der Depression steckenbleiben, und das dürfte ungeahnte politische Konsequenzen nach sich ziehen. Die neue Kommission wird übrigens am 1. November 2014 die Arbeit aufnehmen. Bis dahin werden die vorgesehenen Fachkommissarinnen und -kommissare von Ausschußmitgliedern des EU-Parlaments befragt, da das Parlament ihrer Ernennung zustimmen muß. Attac Österreich und die gegen den Lobbyismus in Brüssel kämpfende Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory stellen gegenwärtig Steckbriefe ins Netz, die einige der designierten Kommissionsmitglieder und deren Interessen genauer als viele der EU-Parlamentarier hinterleuchten. Zum Beispiel den Kandidaten für »Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Union der Kapitalmärkte«, Jonathan Hill, Mitbegründer einer britischen Lobbyagentur; den Kandidaten für »Umweltschutz, Meerespolitik und Fischerei«, Karmenu Vella, der unter anderem als Vorstandsmitglied des maltesischen Glücksspielkonzerns Betfair für extremes Lobbying in Brüssel sorgte; die Kandidatin für »Justiz, Konsumentenschutz und Gleichstellung«, Vera Jourová, Vizechefin der Partei des tschechischen Oligarchen Babis, dessen Firmenimperium zum Fürchten ist. Und so weiter und so fort – siehe alle finsteren Details unter www.corporateeurope.org. Am 1. November, so viel ist absehbar, dürfte die EU genau die Kommission haben, die Mensch nicht verdient. Einschließlich der designierten EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die die Investor-Staats-Schiedsverfahren in den geplanten internationalen Handelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) bei ihrer Befragung nicht als Angriff auf die demokratische Souveränität wertete. Wie das inzwischen vorgelegte CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada demnächst von EU-Kommission, Europäischem Parlament, Bundesregierung und Deutschem Bundestag bewertet wird und vor allem, ob dem vorgelegten Entwurf mehrheitlich zugestimmt wird, bleibt abzuwarten. CETA ist zweifellos ein ernstzunehmender Probelauf für das noch in Verhandlungen befindliche TTIP und weitere Freihandelsabkommen. Aus der Sicht der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind nicht zuletzt die geplanten Negativlisten, die nur wenige Branchen und Dienstleistungen vom jeweiligen Abkommen ausnehmen, von Übel. Ver.di fordert »eine Positivliste, die eindeutig regelt, welche Branchen und Dienstleistungen von den Abkommen erfaßt werden«. Denn nur so ließe sich verhindern, daß künftige Dienstleistungen, die sich erst noch entwickeln, automatisch dem Freihandelsregime unterworfen werden. Ganz zu schweigen von der Ausgestaltung der Sozial- und Umweltstandards, der Mitbestimmungs- und Arbeitnehmerrechte, dem Schutz persönlicher Daten, von Verbraucher- und zumal Urheberrechten. Wenn das vorliegende CETA-Abkommen trotz großer Widerstände in den mitgliedstaatlichen Bevölkerungen von der Politik durchgewunken wird – und nicht nur die deutsche Kanzlerin will genau das sicherstellen –, was passiert dann? Die neu formierte EU-»Regierung«, das Junckersche »Siegerteam« wie auch die Regierungen der einzelnen 28 Mitgliedstaaten stehen am Scheideweg. Ist David Cameron womöglich der letzte, der das Licht von Unionseuropa ausmacht? Dieser Beitrag ergänzt das neue Buch von Rudolf Hickel und Johann-Günther König: »EURO stabilisieren. EU demokratisieren. Aus den Krisen lernen«, Kellner Verlag, 288 Seiten, 16,90 €.
Erschienen in Ossietzky 21/2014 |
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