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Jedoch noch immer nicht im Fall der über fünf Millionen ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen, die nach den europäischen Juden zur zweitgrößten NS-Opfergruppe zählen; über drei Millionen, also mehr als die Hälfte, kamen während des Zweiten Weltkriegs in deutscher Gefangenschaft auf grausame Weise ums Leben. Ihnen und den lebenslang traumatisierten Überlebenden werden bis heute Anerkennung und Entschädigung als NS-Opfer, als Opfer des nationalsozialistischen Rassenkrieges verweigert. Daß ihr Schicksal hierzulande überhaupt thematisiert und in einer Ausstellung (»Russenlager« und Zwangsarbeit) veranschaulicht wird, ist in erster Linie dem Verein »Kontakte – Kontakty« (»Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjet-union«) zu verdanken. Die Ausstellung mit Bildern und Erinnerungen sowjetischer Kriegsgefangener gastiert gerade in Bremen (Haus der Wissenschaft), was schon deshalb bedeutsam ist, weil sich gerade auch in Bremen viele Spuren deportierter Rotarmisten aus der Zeit 1941 bis 1945 finden. Sie mußten Zwangsarbeit verrichten beim Bau von Luftschutzbunkern und des U-Boot-Bunkers Valentin, in Bremer Rüstungsbetrieben wie Focke-Wulf, AG Weser, Bremer Vulkan, aber auch in anderen Firmen wie Borgward oder der Brauerei Beck & Co. Für seinen außerordentlichen Einsatz zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener aus Ländern der früheren Sowjetunion, für die Gesten der Versöhnung und für die damit verbundene Völkerverständigung hat die Internationale Liga für Menschenrechte den Mitgründer des Vereins Kontakte, Eberhard Radczuweit, bereits im Jahr 2002 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. Seitdem haben Radczuweit und der Verein diesen beschwerlichen Weg weiter auf sich genommen, um Versöhnung, Anerkennung und Wiedergutmachung zivilgesellschaftlich zu organisieren und zu gestalten. Demgegenüber ist im folgenden von einer eher zähen und beschämenden Geschichte zu berichten: Es geht um die Behandlung parlamentarischer Initiativen zugunsten überlebender sowjetischer Kriegsgefangener. Es begann im Jahr 2006 mit einer Petition des Vereins Kontakte an den Bundestag, in der es um die Anerkennung dieser Kriegsgefangenen als NS-Opfer ging; und es ging um die Feststellung, daß die unmenschlichen Haftbedingungen in den sogenannten Russenlagern mit denen von Konzentrationslagern vergleichbar waren. Was hatte es mit dieser Feststellung oder Forderung auf sich? Im Jahr 2000 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft eine Bundesstiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« eingerichtet. Gemäß Stiftungsgesetz begründete Kriegsgefangenschaft keine Berechtigung auf Leistungen aus dem Fonds; vorrangig waren ehemalige zivile NS-Zwangsarbeiter leistungsberechtigt – wobei Kriegsgefangene selbst dann von den Einmalleistungen ausgeschlossen blieben, wenn sie unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten mußten, es sei denn, sie waren in KZs interniert. Diese Regelung führte dazu, daß rund 20.000 Betroffene aus Osteuropa, die hoffnungsvoll Anträge auf Zuwendungen gestellt hatten, allesamt mit Verweis auf ihren Status als Kriegsgefangene abgewiesen wurden. Eine sachlich-bürokratische Zurückweisung, die viele der Hochbetagten tief getroffen und gedemütigt hat. Ziel der Petition des Vereins Kontakte war es deshalb, diese Entschädigungslücke zu schließen – mit der belegbaren Begründung, daß sowjetische Kriegsgefangene, und zwar anders als Kriegsgefangene der Westalliierten, einer rassistisch, antislawisch motivierten Vernichtungspolitik ausgeliefert waren: Rechtlos und zu »Untermenschen« erklärt, wurden sie systematisch völkerrechtswidrig behandelt, in Rüstungsbetrieben als Zwangsarbeiter geschunden, katastrophalen Haftbedingungen unterworfen, die auf Vernichtung durch Arbeit zielten. Ihre Internierung in besagten »Russenlagern« war tatsächlich ähnlich menschenunwürdig und mörderisch wie die in Konzentrationslagern. Trotz dieser stichhaltigen Argumente lehnte die damalige CDU-SPD-Mehrheit die Petition im Jahr 2006 ab, denn Kriegsgefangenschaft begründe völkerrechtlich keine individuelle Leistungsberechtigung, weil solche Entschädigungen dem Reparationsrecht zuzuordnen seien. Zweitens habe die Bundesrepublik Stiftungen zugunsten von Nazi-Opfern in Ländern Osteuropas eingerichtet; doch die Verteilung der Stiftungsgelder sei durch die jeweiligen Staaten und ohne deutsche Einflußnahme erfolgt; es sei bedauerlich, wenn dabei ehemalige sowjetische Kriegsgefangene von ihren Regierungen nicht oder nicht angemessen bedacht worden seien. Drittens seien die Mittel des Stiftungsprogramms Zwangsarbeit bereits ausgeschöpft, die Auszahlungen 2007 beendet worden. Und viertens wolle man keinen Präzedenzfall schaffen, der auch auf Kriegsgefangene aus anderen Ländern wie Polen oder Italien Anwendung finden könnte. Deshalb: Ablehnung der Petition – wobei der Verein Kontakte als Petent noch heute auf einen abschließenden Bescheid wartet. Nach einer Parlamentsanfrage der Linksfraktion im Bundestag aus dem Jahre 2011 zur »Entschädigung früherer sowjetischer Kriegsgefangener« und der abweisenden Beantwortung durch die Bundesregierung stellten dann die damaligen Oppositionsfraktionen SPD und Grüne im Juni 2013 einen Antrag an den Bundestag auf »Anerkennung der an den ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen als nationalsozialistisches Unrecht und Gewährung eines symbolischen finanziellen Anerkennungsbetrages« in Höhe von 2.500 Euro. Endlich – so muß man sagen, denn in der rot-grünen Regierungsära hätten die Antragsteller genügend Zeit gehabt, die restriktive Regelung im Stiftungsgesetz zu korrigieren. Inzwischen ist die SPD wieder an der Regierung, und so stellt sich die Frage, ob oder wie sie nun endlich das Projekt gegenüber ihrem Koalitionspartner CDU/CSU forciert – im Sinne des Abgeordneten Stefan Schwartze (SPD), der im Juni 2013 an die Unionsfraktionen appellierte: »Geben Sie sich an dieser Stelle einen Ruck! ... Lassen Sie uns jetzt helfen, bevor es auch für den letzten Überlebenden zu spät ist.« Die damalige schwarz-gelbe Regierungsmehrheit ließ sich jedoch nicht erweichen und lehnte den Antrag ab. Daraufhin sah sich der Verein Kontakte gezwungen, Anfang 2014 eine zweite Petition einzureichen mit dem Ziel der Wiedergutmachung und Anerkennung sowjetischer Kriegsgefangener als NS-Opfer. Die Petition spricht sich für einen »symbolischen Anerkennungsbetrag von 5.000 Euro« an die (wenigen) noch Lebenden aus. Der Vorschlag wird auch von dem Berliner Historiker Wolfgang Benz unterstützt, der eine solche Entschädigung »als Akt der Einsicht in verbrecherisches historisches Geschehen« wertet. Der Petitionsausschuß des Bundestags signalisierte Mitte Juli »großes Verständnis« für das Anliegen und sicherte dem Petenten eine »umfassende Prüfung und Würdigung« der Angelegenheit zu. Leider ist inzwischen viel, allzuviel Zeit vergangen, ja regelrecht vergeudet worden. Von den 20.000 noch lebenden Betroffenen im Jahr 2000 und den rund 10.000 im Jahr 2006 sind heute allenfalls noch 2000 bis 3000 am Leben. Für Zigtausende kommt also jetzt schon jede Lösung zu spät – fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein katastrophales Signal an die noch lebenden Betroffenen, die immer noch das berechtigte Verlangen haben, daß das systematische Unrecht, das ihnen widerfahren ist, auch offiziell als Unrecht anerkannt wird und daß sie nicht der Unwürde des Vergessens anheimfallen. Der Verein Kontakte hat gehandelt und für uns alle die historische Verantwortung übernommen. Ohne sein bürgerschaftliches Engagement, ohne die praktisch-solidarische Opferhilfe für die Betroffenen wären die Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen bis heute aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt und die Betroffenen ohne Anerkennung geblieben. Jetzt gilt es, dem zivilgesellschaftlichen Engagement auch zu einem offiziellen Erfolg zu verhelfen. Dazu muß sich jedoch – machen wir’s konkret – die CDU/CSU überwinden und endlich ihre Verweigerungshaltung aufgeben, aber auch ihre bisherige Argumentation, die da lautet: Wenn sowjetische Kriegsgefangene entschädigt würden, dann müßten auch deutsche Kriegsgefangene für »unrechtmäßig zugefügte Leiden« berücksichtigt werden – »einseitige Regelungen« kämen jedenfalls nicht in Frage. Für eine solche Aufrechnung von Leid, für einen solch relativierenden und geschichtsvergessenen Zynismus kann es kein Verständnis geben. Und vor allem: Es fehlt uns für eine solch abstruse Debatte wirklich die Zeit. Der Beitrag beruht auf einer Rede, die Rolf Gössner zur Eröffnung der Ausstellung »›Russenlager‹ und Zwangsarbeit. Bilder und Erinnerungen sowjetischer Kriegsgefangener« in Bremen hielt. Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Oktober zu sehen. Infos zum Verein: www.kontakte-kontakty.de.
Erschienen in Ossietzky 21/2014 |
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