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Die Aussagen deuten Feindlichkeit nicht an, sie belegen sie und markieren Kontrapunkte linker deutscher, bisweilen international beeinflußter Politik und deuten bereits an, warum die Linke den Kampf um Deutschland nicht gewinnen konnte. Das alles und viel mehr kann man in einem dicken Buch des Historikers Mario Keßler (»Ruth Fischer – Ein Leben mit und gegen Kommunisten 1895–1961«) lesen. Es beherbergt neun Kapitel, ein Vorwort sowie einen siebenteiligen Anhang mit einer Zeittafel zu Ruth Fischers Leben, verschiedenen Verzeichnissen, einer englischen Zusammenfassung sowie Ruth Fischers Rede »Vor dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe«. Das Werk fußt auf dem soliden Fundament zahlreicher voran erschienener Titel des umtriebigen Schreibers. In neun Kapitel hat der Autor seine Stoffmenge chronologisch gegliedert, beginnend mit »Der Weg zum Kommunismus (1895–1919)« und »Als Ultralinke in der KPD (1919–1923)« bis hin zu den Kapiteln acht »Jenseits des Antikommunismus (1952–1956)« und neun »Zurück zum Kommunismus (1956–1961)«. Die Kapitel sind wiederum drei- bis fünffach untergliedert; ihrer Originalität und Aussagekräftigkeit wegen seien vier angeführt: »Mitglied Nummer eins der KP Österreichs«. Diese Nummer paßt zu Ruth Fischer, die ich mir auch gut auf der Bühne oder im Film vorstellen könnte – freilich müßte ein guter Dramaturg aus den hinreißenden Reden beziehungsweise klugen Texten samt der grandiosen Irrtümer wirkungs- und treffsichere Dialoge machen und eine Persönlichkeitsdarstellerin erster Güte vorhanden sein. Ein anderes Unterkapitel heißt »Von Hitler und Stalin verfolgt« und ist im Kontext mit Fischers schillernden Rollenwechseln zu verstehen. »Im Dickicht der Geheimdienste« klingt aktuell, weil sich Phänomene über Zeiten so gleichen. Schlußendlich die traurig-letzte Teilüberschrift: »Ein Spiegel der Zeitgeschichte ist erblindet«. Eine gute Formel für den Abgang einer vielbelesenen und weitblickenden Persönlichkeit. Dazu passen die vielen Namen, die die geborene Elfriede Maria Fischer im Laufe ihres Lebens trug: Elfriede Eisler bei den Eltern und Elfriede Friedländer als Ehefrau, Ruth Kämpfer, Ruth Fischer ... Ich zähle circa zwölf (einschließlich der literarischen in Werken von Hans Sahl und Klaus Mann). Die Tarnnamen zu den familiären hatten mit der gesellschaftlich-politischen Situation zu tun, in der sich die Beteiligte befand und aus der heraus sie sich in den Kampf gegen das System, genauer die Systeme, begeben hatte. Tarnung war nötig. Dazu gab es zum Irren und zu Irrtümern genügend Varianten der Namen auf der eigenen, das heißt der linken Seite. Und wie zersplittert war die – bei den Sozialdemokraten angefangen, für die sich RF nur in geringem Maße interessierte, wenn ja, dann zum Ankampf gegen diese. Viel interessanter die des Kommunismus! So zum Beispiel die Frage: Luxemburg oder Stalin?, was auch Lenin hieß. Welchen Kurs sollte die KPD – zeitweilig die größte kommunistische Partei des Westens – einschlagen? Welche Folgen hatte deren ›Bolschewisierung‹? Die Ultralinken wie eben die Fischer und zunächst Ernst Thälmann boykottierten die angedachte Einheitsfront (schon nach der Krise von 1923 und später gegen den aufziehenden NS-Faschismus), wie sie etwa Henrich Brandler und August Thalheimer favorisiert hatten. Da spielte der Einfluß Stalins eine große Rolle, und Fischer folgte diesem, zumindest bis 1925, als sie selbst vom Georgier in Moskau ausgetrickst worden war. Eine Abweichlerin, wohl gezwungenermaßen. So kurste sie umher, 1933 ins Exil nach Paris und schließlich über Portugal in die USA. Nach dem vermuteten Mord am Partner Arkadij Maslow geriet Ruth Fischer auf die in den 1940/50er Jahren in den USA heftig antikommunistische Seite, 1948 mit dem Höhepunkt ihres Buches »Stalin und der deutsche Kommunismus«. Fischer bezog eine Rente von der CIA über die Harvard University. (Peter Hacks beschimpfte sie noch 1996 als »Trotzkis Agentin«.) Später, Mitte der 50er, nach Stalin und zu Zeiten Chruschtschows, wandte sich Ruth Fischer wieder der sozialistischen Seite (ihrem Wortgebrauch folgend dem Kommunismus) zu. Ein Leben in höchsten Widersprüchen – denen des mörderischen 20. Jahrhunderts. Ein Leben für und gegen und für einen »Kommunismus«, den es als Gestalt – außer in Utopien – gar nicht gab; eben nur als Weltanschauung oder Modell. Der – vorgeblich genau definierte – Begriff stiftete Verwirrung oder genauer: diejenigen, die mit dem Begriff hantierten und Politik machten, Unterbegriffe formulierten wie etwa Leninismus, Stalinismus, Menschewismus und Bolschewismus, Anarchismus, Revisionismus oder Opportunismus. Abweichler beschimpften sich als Abweichler, Quislinge als Quislinge, Renegaten als Renegaten. So notwendig diskursive Theoriebildung auch immer ist, die Theorie – und nach ihr die Tat – müssen es sein am Ende, nicht nur der Diskurs. So entwaffnete sich die Linke selbst und trug bei zur Tragödie des 20. Jahrhunderts: Widerstandsschwach zum Sieg des Großkapitals, das sich über Faschismus mehrerer Spielarten zum Zweiten Weltkrieg mit etwa 60 Millionen Toten ausraste. Die Theorie zur Umwälzung von Epochen war unfertig geblieben, damit die Umwälzungen selbst auch, sie blieben stecken im mehr oder weniger schmachvollen Glanz des gleichen Kapitals, dem Opfer von Menschenmassen weitgehend egal sind, solange Arbeitskräfte bleiben, ganz gleich woher. Im Wirbel der Jahrhundertkonflikte spielten die Eislers mit starken Instrumenten mit: Ruth Fischer – nach großen Erfolgen des Anfangs bis Parteispitze – hat die Niederlage der Linken mitorganisiert. Auch bei dem zunächst so befreiend wirkenden Licht aus dem Ländchen DDR – Ruth war selbst da, schuf Unruhe wie immer und verschied sanft in Paris. Gerhart kommentierte bis zum Tode seinen knöchern-unfreundlichen Optimismus. Nur Hanns, die einmalige Lichtgestalt dieser vielseitig destruktiven wie schöpferischen Familie, der Schönberg-Schüler, schuf Musikwerke von Ewigkeitswert, ob seine »Deutsche Sinfonie«, das »Lenin-Requiem«, das kantatenartige »Friedenslied« (Text Ernst Fischer), das wir im FÖJ-Ensemble über die Lande trugen und oft sangen, zahlreiche Kammermusiken; politische Lieder, vor allem Massenlieder wie das »Solidaritätslied«, die »Neuen Deutschen Volkslieder« (Texte von J. R. Becher), Heine-Lieder, zahlreiche Film- und Bühnenmusiken, zu Stücken Brechts beziehungsweise zu Aufführungen im Berliner Ensemble. Dazu viel Theoretisches, etwa die »Materialien zu einer Dialektik in der Musik«, darunter so Köstliches wie »Über die Dummheit in der Musik« (1958), vor allem seine »Materialtheorie«, auch Kluges über die Oper. Das alles gehört zum Welterbe. Fast über das alles schreibt Keßler – ausführlich, genau und historisch mit Blick aufs Aktuelle und schönem Bekenntnis zur Aufklärung. Im Grunde hat er nicht nur die Biografie der Ruth Fischer, sondern fast eine Parteigeschichte der kommunistischen Partei und ihrer Verzweigungen geschrieben. Das ist methodisch nicht ohne Probleme. Ein fleißiger Mann, ein penibler Geschichtsforscher, doch ein Wissenschaftler von eher altem und konventionellem Stil. Keßler verzeichnet die kleinste Zeitungsnotiz – neben einem riesigen Literaturverzeichnis. Über maßlos vielen kleinschriftigen Fußnoten, die oft über die halbe Seite und mehr reichen, geht mitunter der Text in die Binsen. Durchaus gut geschrieben, verliert sich der eigentliche Sachverhalt oft in den Anmerkungen. Das erschwert die Kenntnisnahme derart, daß man die Lust am Lesen fast völlig verliert, es wird zur Qual. So sollte man heute keine Bücher mehr schreiben. Alles Wichtige gehört in den Text. Erläuternd reichen knappe Angaben. Wenn es noch Wichtiges gibt, sollte das hinten angehängt werden. Oder in einem kleinen Sonderband aufgeführt sein – als Zugabe. Am besten gar nicht. Wer soll, gar kann heute noch diese Art Bücher lesen? Ich brauchte Wochen. Was nützen die dicksten Bücher, wenn Wissen darin eingesargt wird. Schade um so viel Arbeit, so viel Leben. Grundlagenforschung ist wichtig – neben der sogenannten Populärwissenschaft! Lesen sollte Freude machen – wie etwa der letzte Gedanke des Buches, die Absage an jede Art von Glauben: »Erst als Ruth Fischer dies begriff, ging sie den Weg vom Glaubensmythos zur Aufklärung – einer Aufklärung, die oftmals scheitert, doch immer nötig ist, um die Welt zum Besseren zu ändern.« (S. 619) Wie schön, doch muß eine Aufklärung lesbar sein, auf- und annehmbar.
Erschienen in Ossietzky 20/2014 |
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