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Sie sind der brutale Schlußpunkt hinter einen über 17 Monate mit insgesamt 117 Streiktagen geführten Arbeitskampf. Das Ende eines Ringens in einer Billiglohnfirma, die Madsack noch vor zwei Jahren zum führenden deutschen Servicecenter der Zeitungsbranche hatte ausbauen wollen – selbstverständlich ohne Tarifbindung. Im Jahr 1980 hatte Madsack die telefonische Kundenbetreuung aus dem Mutterhaus, der Verlagsgesellschaft Madsack, in die tariflose Tochter KSC ausgegliedert. Das ist Teil einer auch von anderen Konzernen verfolgten Strategie, durch Ausgliederungen von Abteilungen Tarifbindungen abzuschütteln, Löhne zu senken, Arbeitszeiten zu erhöhen und gewachsene betriebliche Mitbestimmung klein zu hacken. 1996 galten in Westdeutschland noch für 70 Prozent der Beschäftigten Branchentarifverträge, 2013 waren es nur noch 52 Prozent, in Ostdeutschland nur 35 Prozent, erläutert Reinhard Bispinck, Tarifexperte der Hans-Böckler-Stiftung. 13 Jahre lang gab es im KSC keine Lohnerhöhung – ein Kaufkraftverlust von mehr als 30 Prozent für die KSC-Beschäftigten. Und das in Jahren, in denen gerade auch in den Medienkonzernen die Renditen traumhafte Höchststände erreichten (bis zur weltweiten Krise des Finanzkapitalismus seit 2008). Die Kehrseite dieses Reichtums waren und sind die prekären Beschäftigungsverhältnisse: Im KSC waren die meisten Mitarbeiter nur befristet eingestellt, fast alle erhielten nur Teilzeitarbeitsverträge, das Gros wurde mit Bruttostundenlöhnen zwischen 8,50 Euro und 9,20 Euro abgespeist, Schülerhaushilfen mit 6,50 Euro. »Die Arbeiten, die wir zu erledigen haben, wurden vor der Ausgliederung von tarifgebundenen Verlagsangestellten geleistet«, erläutert Till Kaltenecker von der KSC-Streikleitung. Wäre das noch immer so gewesen, hätten die KSC-Beschäftigten 16,50 Euro pro Stunde verdient – dabei sind auch die Tariflöhne nur unterhalb des verteilungsneutralen Spielraums erhöht worden. »Einer der mächtigsten Medienkonzerne Deutschlands exekutiert an seinen Beschäftigten eine frühkapitalistische Ausbeutungsstrategie«, analysiert Lutz Kokemüller, Medienfachbereichsleiter von ver.di-Niedersachsen, das Verhalten der Madsack-Führung in den Niedriglohnbereichen des Konzerns. Der ist eine publizistische Großmacht mit lokalen und regionalen Zeitungsmonopolen in Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. 18 Tageszeitungen und 37 Anzeigenblätter, private Postfirmen, Fernsehdienstleister, Logistikfirmen, Internetportale und Rundfunkbeteiligungen gehören Madsack. Die DDVG, die Presseholding der SPD, ist mit rund 23 Prozent der größte Anteilseigner an der Verlagsgesellschaft Madsack in Hannover, die den Konzern dirigiert. Die Steigerung des Profits sei für die Konzernmanager um Madsack-Geschäftsführer Thomas Düffert »die einzige Leitlinie«, meint Kokemüller. Düffert, der intern angelsächsisch-militärisch als »Chief Executive Officer« (CEO) firmiert und sich in seinen E-Mails an die Belegschaft als »Kollege« vorstellt, habe von den KSC-Beschäftigten nicht weniger als »die totale Unterwerfung unter seine Niedriglohn-Strategie« gefordert. Dazu waren diese nicht bereit. Still und leise hatten sich rund 50 Prozent der KSC-Beschäftigten im Frühjahr 2013 organisiert und auf Forderungen für einen Tarifvertrag mit höheren Löhnen verständigt. Die überraschte KSC-Führung versuchte die Unruhe mit individuellen Lohnzuschlägen für einige Mitarbeiter in den Griff zu bekommen, lehnte Gespräche mit ver.di und einen Tarifvertrag aber kategorisch ab. Dagegen zog eine Minderheit von knapp einem Drittel der Beschäftigten in den Streik – der Rest blieb aus Angst um den Arbeitsplatz passiv, einige wetterten mit dem Arbeitgeber gegen ver.di. In den ersten Streiktagen gelang es, die Arbeit im KSC durcheinanderzubringen. Doch bald hatte die Firmenleitung Streikbrucharbeiten quer durch den Konzern und quer durch die Republik organisiert. Außerhalb gewerkschaftlicher und linker Medien fand der ungleiche Kampf David gegen Goliath so gut wie keine Beachtung. In allen Madsack-Publikationen wurde der Streik totgeschwiegen. Auch als die örtlichen Konzernzeitungen Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) und Neue Presse nach der Neuwahl von Hannovers Oberbürgermeister groß in Wort und Bild über dessen erste Bürgersprechstunde berichteten, in der er auch KSC-Streikende empfangen hatte, erschien darüber keine einzige Zeile. Doch mit bewundernswerter Moral zogen die immer selbstbewußter und illusionsloser werdenden Streikenden einen Tag um den anderen durch Hannover, machten besonders bei Madsack-Veranstaltungen auf ihr Anliegen aufmerksam, prangerten die Billiglohn-Praxis im Konzern an – und erfuhren mit Protestbriefen und E-Mails viel Solidarität. Eine unbekannte Zahl von Abonnenten kündigte ihr HAZ-Abonnement wegen der unsozialen »Kostensenkung auf dem Rücken der Beschäftigten«, wie ein Leser schrieb; mehrere tausend Euro Spenden gingen auf einem Soli-Konto ein. So konnten die wegen der Niedriglöhne im KSC magere ver.di-Streikgeldunterstützung aufgebessert und wirtschaftliche Notlagen der Aktivisten gelindert werden. Auch auf die SPD und deren Madsack-Anteilseigner DDVG versuchten die Streikenden argumentativ Druck auszuüben – ernteten aber von der DDVG-Geschäftsführung im Auftrag der damaligen SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks nur nette Worte (»Wir können nachvollziehen, wie die lange Zeitspanne ohne eine Gehaltsanpassung auf sie gewirkt hat«) und die Belehrung, daß eine zehnprozentige Umsatzrendite nicht überzogen, sondern »sehr gut ableitbar« sei. Trotz alledem: Nach 81 Streiktagen gab die Unternehmensleitung ihre Blockade auf. Wegen eines sich abzeichnenden Image-Schadens nahm sie mit ver.di Tarifgespräche auf. Die Streikenden jubelten verhalten: »Erst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich – dann gewinnst du!« Mit diesem Motto aus dem Freiheitskampf des ANC in Südafrika machten sie sich Mut. Doch Madsack setzte nur auf Zeitgewinn, führte die Gespräche Runde um Runde mit »argumentativer Sprachlosigkeit« (ver.di) – und rechnete im Hintergrund Alternativen zum KSC. Das Servicecenter, verlautbarte die Konzernführung überraschend im Frühsommer 2014, lasse sich im bundesweiten Wettbewerb wirtschaftlich nicht betreiben. »Daß wir rote Zahlen schreiben sollen, hören wir erst, seitdem wir streiken«, empörte sich ein KSC-Betriebsrat über den Beschluß, das KSC dichtzumachen und dessen Aufgaben an eine andere Billiglohn-Firma zu vergeben, an MZ-Dialog in Halle. Die ist eine Tochtergesellschaft der Mitteldeutschen Zeitung, die zum Kölner Medienkonzern DuMont Schauberg gehört, der in den vergangenen Monaten mehrere hundert Arbeitsplätze abgebaut hat. Bei Madsack läuft seit knapp einem Jahr ein ähnliches Rotstift-Programm (»Madsack 2018«), dem bislang eine Zeitungsdruckerei in Peine und zahlreiche Redakteurs- und Verlagsarbeitsplätze zum Opfer gefallen sind. Weitere sollen folgen. Vergeblich hatten die KSC-Aktivisten auf Hilfe durch Gegenwehr in anderen Konzernteilen gehofft. »Wir haben verloren, aber wenigstens haben wir gekämpft«, verabschiedeten sie sich auf ihrer Website von ihren Unterstützern. Inzwischen bereiten sich die Drucker und Angestellten der Zeitungstechnik in Hannover auf einen heißen Tanz um ihre Zukunft im Madsack-Konzern vor.
Erschienen in Ossietzky 20/2014 |
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