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Das Rezept der Alternative für Deutschland gleicht dem der anderen europäischen Rechtsparteien: Die berechtigten Ängste der Bürger vor einer undemokratischen EU-Behörde werden aufgegriffen und auf eine nationale Alternative gelenkt. Deutschland zuerst. Der Front National spricht von der »préférence nationale«, die Schwedendemokraten, welche bei den jüngsten Parlamentswahlen auf zwölf Prozent kamen, tragen schon im Namen die nationale Präferenz, und auch der belgische »flaams belang« erklärt sich von selbst, ebenso wie die »Wahren Finnen«. Die historischen Hintergründe bringen es mit sich, daß diese national fixierten Parteien unterschiedliche Wurzeln haben und auch keineswegs eine Zusammenarbeit erstreben. Die AfD wurde erst vor eineinhalb Jahren gegründet und ist ein äußerst heterogenes Sammelbecken von frustrierten Konservativen aus CDU, SPD und FDP sowie Journalisten und Wissenschaftlern. Die derzeitige Führungsfigur Bernd Lucke hat als einer von drei Vorsitzenden der Partei die schwierige Aufgabe, die diversen Flügel auf einen Nenner zu bringen. Der Wahlerfolg bringt es zudem mit sich, daß sich viele rechte Randgruppen der neuen Partei anschließen und ihren Einfluß geltend machen. Der straff organisierte Front National hat solche Probleme nicht. Die Anfang der 1970er Jahre gegründete Partei ist längst Teil der französischen Parteienlandschaft und bis heute eng mit dem Namen Le Pen verbunden. Es gibt daher auch kaum »Überläufer« aus den klassischen Parteien, wie dies bei der AfD der Fall ist. Programmatisch ist man sich dagegen wesentlich näher, wenngleich die Deutschalternativen aus historischen Gründen bescheidener auftreten. Beide wollen die nationalen Währungen wieder einführen, sehen die Familie als Grundlage des Staates und wollen eine Neuordnung des Einwanderungsrechts. Der FN sucht keine Koalitionspartner. Marine Le Pen macht durch das Kürzel UMPS klar, daß sie sowohl die konservative UMP wie die Hollande-Partei PS als Gegner sieht. Das erinnert an den Duktus der NSDAP, die die etablierten Parteien als »Systemparteien« brandmarkte. »Ni droite ni gauche«, weder rechts noch links wirbt die Partei auf ihren Plakaten. Bernd Lucke ist da moderater. Er spricht von der AfD als »Partei neuen Typs«, von der »Zwangsjacke der erstarrten und verbrauchten Altparteien«, von »Euro-Blockparteien«. In Brandenburg warb die Partei folgerichtig auch mit dem Slogan: »Wenn Sie das Übliche wählen, bekommen Sie das auch.« Auffallend ist bei der AfD der hohe Anteil an Akademikern. Das ist Vorteil und Handicap zugleich. Zwar hat die Kompetenz eines Professors in Deutschland immer noch einen hohen Stellenwert, aber das offensichtlich Elitäre schreckt auch viele ab. So fordert die Partei nicht ganz uneigennützig, daß Akademikerinnen mehr Kinder gebären sollen. Gegen das intellektuelle Übergewicht soll eine »Mitgliederoffensive« helfen, die seit dem 15. September 2014 läuft und das Personal aufstocken und diversifizieren soll. Bei dem verängstigten Kleinbürgertum hat man in den Grenzgebieten zu Polen und Tschechien schon erste Erfolge erzielt. Beide Parteien setzen auf jene Schichten, die sich als Verlierer der Globalisierung, EU-Bürokratie und Immigration verstehen. Marine Le Pen wirbt aggressiv um jene »laissé-pour-compte«, die Unterprivilegierten, um die sich niemand mehr kümmert. Allerdings sind hier vor allem »echte« Franzosen gemeint. Die AfD gilt immer noch hauptsächlich als »Anti-Euro-Partei«, versucht aber zunehmend, auch andere Themen zu besetzen. So fordert die Partei die Beibehaltung des deutschen Meisterbriefes oder die Abschaffung der Rundfunkabgabe. Gegen das Aussterben der Deutschen fordert die sächsische Spitzenkandidatin Frauke Petri die Zeugung von mindestens drei Kindern pro deutscher Familie, wobei sie auf einen Akademikernachweis verzichtet. Dagegen beklagt der FN, daß die hohe Geburtenrate von 2,02 Prozent pro Frau lediglich wegen des hohen Ausländeranteils zustande kommt. Würde man nur die Franzosen zählen, läge die Rate nur bei 1,8 Prozent. Beide Parteien profitieren jedoch von einer Gruppierung, die bei Wahlergebnissen gerne ignoriert wird: die Nichtwähler. Schon bei den Europawahlen hatten sie die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten. In der gesamten EU gaben nur 43 Prozent ihre Stimme ab, in Deutschland 47,9 Prozent, in Frankreich 43,5 Prozent. Bei den letzten Landtagswahlen gingen nur in Thüringen etwas mehr als die Hälfte zur Urne. In Sachsen waren es 49,1 Prozent, Brandenburg nur knapp 48 Prozent. Dort konnte die siegreiche SPD mit den Stimmen von nur 15 Prozent aller Wahlberechtigten die Stärkste der Parteien werden. Auch der spektakuläre Erfolg der AfD relativiert sich so auf schnöde 5,7 Prozent. Wenn man den Wahlforschern Glauben schenken kann, so sind es eben genau jene »laissé-pour-compte«, die gesellschaftlich Abgehängten, welche nicht mehr an eine Veränderung durch Wahlen glauben: »Hartz IV«-Empfänger, Ein-Euro-Jobber, Alleinerziehende, arme Rentner. Fast wie eine subtile Wiedereinführung des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Europaweit.
Erschienen in Ossietzky 20/2014 |
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