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Krasse Fehlurteile, Zeichen unglaublicher Ignoranz und Selbstgerechtigkeit – betrachtet man die verheerenden Folgen amerikanischer Irakpolitik in den letzten 25 Jahren. Bereits im ersten Irakkrieg 1991 wurde ein großer Teil der Infrastruktur des Landes zerstört. Während der Wirtschaftssanktionen von 1991 bis 2003 starben nach Schätzungen von UN-Organisationen mehr als eine Million Menschen im Irak – vor allem Kleinkinder, die nicht ausreichend mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt werden konnten. Die Opferzahlen für den Irakkrieg von 2003 und die Jahre der Besatzung belaufen sich auf bis zu eine Million Zivilisten, etwa 40.000 irakische Soldaten und eine unbekannte Zahl Verwundeter (s. auch Ossietzky 8/14). Folgen eines Krieges, den die USA für die »irakische Freiheit« führte. Rund fünf der 33 Millionen Iraker wurden zu Flüchtlingen, die Infrastruktur erneut weitgehend zerstört. Die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Strom verschlechterte sich dramatisch, und rund sieben Millionen Iraker leben in einem der potentiell reichsten Länder der Welt unter der Armutsgrenze. Nach den Recherchen des in Kanada lebenden Autors Asad Ismi wurden »unter dem Diktat der USA große Bereiche der irakischen Wirtschaft privatisiert. Dadurch kann das irakische Volk nicht mehr direkt von seinen Ressourcen profitieren ... Der Gewinn aus dem Ölverkauf fließt jetzt hauptsächlich in die Taschen von Ölkonzernen aus den USA und anderen westlichen Staaten und in die Taschen des [im August zurückgetretenen; F. K.] Maliki-Regimes.« Zudem spalteten die neuen Kolonialherren das Land nach dem römischen Prinzip des »Teile und herrsche!« unheilbar in Kurden, Schiiten und Sunniten. Die Auflösung der irakischen Armee, das Verbot der seit 1968 regierenden Baath-Partei sowie die einseitige Förderung der schiitischen Bevölkerung führten zu dem bis heute andauernden Bürgerkrieg. Vor dem Hintergrund der Zerstörung des Irak, Afghanistans, Libyens und seit über drei Jahren Syriens bekamen sunnitische Al-Kaida-Gruppen viel Zulauf oder bildeten sich neu. Im Widerspruch zur US-Propaganda wurde im Irak erstmals 2004 eine »Gemeinschaft für den Dschihad«, den »Heiligen Krieg«, gegründet, die sich ein Jahr später umbenannte in »Al-Kaida im Irak«; ab Oktober 2006 hieß sie »Islamischer Staat im Irak« (ISI). 2013 bildeten ISI und die syrische Nusra-Front den »Islamischen Staat im Irak und Syrien« (ISIS), und seit Juni dieses Jahres nennt sich die Organisation nur noch »Islamischer Staat« (IS). Am 29. Juni 2014 rief der IS das Kalifat und den eigenen Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen aus. Das Kalifat soll zunächst Syrien und den Irak umfassen, letztlich aber auch Jordanien, Palästina, Israel und den Libanon. Für Charles Lister, Experte des politischen Islam, ist dieser Vorgang seit den Anschlägen vom 11. September 2001 das wohl bedeutsamste Ereignis innerhalb des internationalen Dschihadismus. Die Idee des Kalifats geht auf die Frühzeit des Islams zurück, als die Anhänger des Propheten Mohammed nach seinem Tod ein Großreich errichteten mit dem Kalifen als politischem und religiösem Oberhaupt. Von vielen Muslimen wird dieses frühe Kalifat, das von 749 bis 1258 bestand, als das goldene Zeitalter des Islams angesehen, da die Mohammedaner Gebiete von Spanien bis Pakistan beherrschten. Ein islamischer Staat soll nach den Grundsätzen des Islams aufgebaut und regiert werden. Nationale Grenzen zwischen Muslimen kennt er nicht. Laut Wikipedia – Stand vom 4. September 2014 – haben die Islamisten in den letzten zehn Jahren im Irak über 6000 Menschen getötet; im syrischen Bürgerkrieg kämpfen sie gegen die Regierung Assad, die »freie syrische Armee« sowie gegen die Kurden. In Syrien kontrollieren sie einige Regionen, ohne daß westliche Medien und Politiker dies kritisiert, geschweige denn Mitgefühl mit von ihnen getöteten Menschen gezeigt hätten. Erst seit ISIS (inzwischen IS) auch im Irak auf dem Vormarsch ist, er Mossul, die zweitgrößte, ölreiche Stadt des Landes, eroberte, er Christen und die religiöse Minderheit der Jesiden verfolgt und besonders seit der Hinrichtung von zwei amerikanischen Journalisten und einem britischen Entwicklungshelfer ist die öffentliche Betroffenheit groß. Da ist von einer »absolut ekelhaften, verachtenswerten Tat« die Rede, von »barbarischen Mördern«, »Monstern« oder der »Verkörperung des Bösen schlechthin«. US-Vizepräsident Joe Biden meinte: »Wir werden die Täter bis zu den Toren der Hölle verfolgen, bis sie zur Rechenschaft gezogen werden. Denn die Hölle ist der Ort, wo sie sein werden.« Präsident Obama sagte in seiner Rede »Strategie zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat« am 10. September, die Dschihadisten würden ausgeschaltet, »wo immer sie sind«. Um das zu erreichen, werde seine Regierung die Luftangriffe auf IS-Kämpfer im Irak verstärken und sie gegen IS auf Syrien ausweiten. Es werde aber Zeit brauchen, »ein Krebsgeschwür wie den IS zu beseitigen.« (Amerika Dienst, 10.9.2014) Beispielhaft zeigen diese Reaktionen: Mitleid empfinden die Regierenden in den USA und der westlichen Welt vor allem dann, wenn eigene Opfer zu beklagen sind. Eine erschreckende Gleichgültigkeit herrscht jedoch vor, wenn ein fremder, souveräner Staat wie der Irak auf gesetzlose Weise völlig zerstört wird und Menschen tausendfach getötet werden. Unter anderem sollte das Bild von Saddam Hussein als dem »neuen Hitler« und »Schlächter von Bagdad« diese Politik rechtfertigen. In der Geschichte gibt es unzählige Beispiele für die fatalen Folgen von ausgeprägten Feindbildern. Ich denke nur an das von den wilden, nicht zivilisierbaren, mordenden Indianer-Horden, nach dem Motto: »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.« Es half bei der Vernichtung von unzähligen nordamerikanischen Ureinwohnern im Laufe von zwei Jahrhunderten als Voraussetzung der amerikanischen Staatsgründung – mit Hilfe von Kriegen, Völkermord, Zwangsumsiedlungen, eingeschleppten Krankheiten und dem Bruch aller ausgehandelten Verträge. Diese Verbrechen sind bis heute nicht gesühnt. Und bis heute glauben die USA und ihre Verbündeten, immer die Guten und immer im Recht zu sein, wenn sie »Freiheit«, Demokratie«, »Menschenrechte« und »Zivilisation« auf ihre Fahnen schreiben, obwohl sie imperiale Kriege führen, um fremde Rohstoffe und Arbeitskräfte billig auszubeuten sowie neue Märkte und Investitionsgebiete zu erobern. Und sie glauben, selbst dann noch unschuldig zu sein, wenn dabei Zivilisten ermordet und Menschen gefoltert werden. Die werden dann als »Kollateralschäden« bei der Durchsetzung vermeintlich hehrer Ziele abgebucht. Auch zeigen die »Bleichgesichter« wenig Rührung, wenn aufgrund der durch Kolonialismus und Imperialismus entstandenen Weltwirtschaftsordnung jährlich 30 Millionen Menschen verhungern oder verdursten. Forderungen nach mehr Gerechtigkeit innerhalb des Kapitalismus werden die riesigen Probleme auf der Welt von heute jedoch nicht lösen. Notwendig ist eine neue Form der Wirtschaft, die allen Menschen auf der Welt ein Leben frei von Armut und Hunger gewährleistet. Darauf hinzuarbeiten, wäre ein entscheidendes Mittel, zukünftigem Terror entgegenzuwirken. Doch die westlichen Staaten tun alles, ihre Luxusinseln, auf denen nur 13 Prozent der Weltbevölkerung leben, nicht nur zu verteidigen, sondern weiter auszubauen. Kriege spielen dabei eine immer größere Rolle. Aktuell die gegen Syrien und den »Islamischen Staat« im Irak; sie dürften die katastrophale Lage in beiden Ländern noch einmal dramatisch verschlechtern, verbunden mit der Gefahr, daß der gesamte Nahe und Mittlere Osten im Blut ertrinkt. Obama ignoriert die Gefahr. In seiner Rede vom 10. September lobte er »die amerikanische Führungsstärke als die Konstante in einer unsicheren Welt. Es sind die Vereinigten Staaten, die die Fähigkeit und den Willen haben, die Welt gegen Terroristen zu mobilisieren«. Und nachdem er die »unendlichen Segnungen« Amerikas für die Welt gepriesen hatte, sagte er: »Von Europa bis Asien, von den entlegensten Orten in Afrika bis zu den kriegsgeschüttelten Hauptstädten des Nahen Ostens stehen wir für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde. Dies sind die Werte, die unser Land seit seiner Gründung leiten.« (Amerika Dienst) Bei soviel Blindheit gegenüber dem eigenen Tun ist das Festhalten am Konzept einer »Pax Americana« die größte Bedrohung für den Weltfrieden.
Erschienen in Ossietzky 20/2014 |
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