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Carl von Ossietzky hätte heute viel zu tun, um mit scharfem Verstand die bedenklichen Verschleierungen aufzudecken, die die Politiker zur Begründung von Kriegseinsätzen nutzen. C. v. O. hätte ohne Zweifel die medialen Rauchschwaden, die vieles verschleiern, aufgehellt. Günter Buhlke Man kennt seinen Namen. Man weiß, daß er ein bekannter politischer Journalist der Weimarer Republik war. Aber kennt man ihn? Bekannt ist Carl von Ossietzky als politisch Verfolgter unter dem Nazi-Regime, der den Friedensnobelpreis erhielt. An ihn wird erinnert, wenn der Nobelpreis einem Verfolgten zuerkannt wird. Er ist der erste in dieser Reihe. Unbekannt ist, was er als politischer Journalist geleistet hat. Dabei ist er wohl der bedeutendste seiner Zunft gewesen, und das nicht nur wegen seiner schriftstellerischen Brillanz, seiner scharfen Beobachtungsgabe, seines klaren Urteilsvermögens, seiner Fülle politischer und literarischer Anspielungen, seines Sprachwitzes, seiner Ironie und seines Zorns, mit dem er unerschrocken mächtige Gegner angriff. Seine Sprache ist aber nicht nur ästhetisches Vergnügen, sie steht im Dienste politischer Gesellschaftskritik. Sein gesellschaftskritisches Denken ließ Ossietzky tief in die politischen Verhältnisse der Republik blicken, ließ ihn deren Mängel und deren Abgleiten in die Diktatur schon zu einem Zeitpunkt erkennen, als sich die Leitartikler der liberalen, der sozialdemokratischen und auch der kommunistischen Presse noch Illusionen hingaben. Berlin ist nicht Weimar, wie es auch Bonn nicht war. Einiges, wogegen Ossietzky als Pazifist wie als Demokrat kompromißlos kämpfte, hat sich geändert. Der Militarismus scheint in der Bevölkerung überwunden, der von Ossietzky bekämpfte »Primat des Militärischen in der Politik« wird nicht mehr anerkannt, obwohl die Neigung regierender Politiker zu sogenannten militärischen Konfliktlösungen wächst. Was nicht heißt, daß nicht militärische Möglichkeiten auf Kosten der Politik genutzt werden. Geblieben aber ist das Mißverhältnis zwischen einem demokratisch eingerichteten politischen System und einer kapitalistischen Wirtschaft. Ossietzky hat es in seinen Artikeln aufgedeckt. Das hat ihn damals zum Außenseiter werden lassen. Heute wird er ignoriert, wenn er nicht gar beschuldigt wird, zum Untergang der Republik beigetragen zu haben: Der Bote wird für den Inhalt seiner Botschaft verantwortlich gemacht. Die zweite Hälfte der 1920er Jahre gilt im wissenschaftlichen Mainstream als die goldene Zeit der Republik oder wenigstens als Phase der Stabilisierung, zumindest der relativen Stabilisierung. In der Tat lief in dieser Zeit das parlamentarische System einigermaßen reibungslos. Es hatte nur einen Schönheitsfehler: Die Regierungen wurden ausschließlich von bürgerlichen Parteien gebildet. Von der letzten parlamentarischen Regierung abgesehen, blieben die Sozialdemokraten in der Opposition, wogegen die antidemokratisch-konservative Deutschnationale Volkspartei, die später die »nationale« Regierung mit Hitler bildete, wiederholt Koalitionen mit Parteien der »Mitte« einging. Für Ossietzky hatte sich nichts stabilisiert außer dem Kapitalismus. In seinem Verständnis war der Verfassungsstaat nicht die Erfüllung der Demokratie, sondern die Voraussetzung für die Demokratisierung der Gesellschaft, für die Überwindung des Klassengegensatzes von »Bürgern« und »Arbeitern«. In einem Artikel, mit dem er das Jahr 1927 begrüßte, warf er dem »liberalen Demokratismus«, in dessen Zeichen sich die »sogenannte Stabilisierung« vollziehe, vor, sich in der »breiten Lobpreisung des Parlamentsstaates« zu erschöpfen: »Der böse Satz von Anatole France: ›Das Gesetz verbietet in seiner majestätischen Gleichheit den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen‛, kennzeichnet für immer die hohle sittliche Attitüde einer Demokratie, die nur in ihren Institutionen und für ihre Institutionen lebt. Hier aber ist die Grundlage der fortschreitenden Einigung zwischen Reaktion und mittelparteilichem Bürgertum. Sie finden sich auf dem Verfassungspapier der Republik.« Auch heute finden sich Politiker auf dem Verfassungspapier, wirkt ihre demokratische Attitüde hohl. Ihrem Verständnis von Demokratie genügt es, wenn sie bei ihrer Entscheidungsfindung die von den Institutionen vorgezeichneten Wege einhalten. Sie prüfen nicht, ob die Inhalte demokratischen Erfordernissen genügen, und so folgen sie unbedenklich kapitalistischen Interessen, die ihnen als alternativlose Sachzwänge gelten. Wenn auch (zur Zeit) keine reaktionäre Partei im Bundestag oder gar in der Regierung vertreten ist, so wird doch wieder die Stabilität des parlamentarischen Systems – sofern man angesichts einer übergroßen Koalition davon sprechen darf – mit der Entleerung der Demokratie zu einem institutionellen Gehäuse allzu teuer erkauft. In der Weimarer Republik wurde damit der Boden bereitet, auf dem sich der Untergang in die Diktatur vollzog. Ossietzky hatte dies erkannt und davor gewarnt. Seine Stimme wurde kaum gehört. Wir sollten uns solche Ignoranz nicht wieder leisten.
Erschienen in Ossietzky 20/2014 |
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