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Meine Foto-Safari durch die Stadt nach den »Ich mach‘s ...«-Plakaten gestaltete sich schwierig, weil viele Werbeflächen inzwischen von dem Bier von hier und der warnenden Werbung für tödliche Zigaretten besetzt waren. Eine Mahnung schickten Caritas und Diakonie mit ihrem Großplakat, auf dem das Foto eines syrischen Flüchtlingslagers uns erinnert: »Die größte Katastrophe ist das Vergessen.« Sonst verlockten Plakate, über das Wecken der sinnlichen Gier den platten Materialismus des Verkaufens zu überdecken, nach Heiner Müller ein massenhafter Lebensersatz. Völlig anders die Plakatkampagne der erotischen Bekundungen, die keine lustvoll wühlenden Blicke in verborgenen Reizen erlauben, sondern den Betrachter auffordern, ohne finanzielle Leistung freimütig zum eigenen Bedürfnis zu stehen und »‘s« mit Kondomen zu machen. Weil für ein Produkt geworben wird, ist die Kampagne aber doch nicht völlig anders als andere Werbebotschaften. Statt dieser Stadttour hätte mir www.machsmit.de das Zusammensuchen aller Motive der Kampagne einfach gemacht. Aber die Plakate mischen sich wie Plakate aus früherer Zeit leibhaftig in die Wirklichkeit ein, berühren stärker und fordern unmittelbarer zur Kommunikation auf – eine gedanklich-ästhetische Bereicherung der Alltagsumgebung. Überdies sieht man, welche Blicke auf die Plakate fallen, wie mit den freimütigen Äußerungen umgegangen wird. »Hurrensohn!« (sic!) hat jemand auf ein Plakat geschrieben, das einen jungen Mann zeigt, der es »lässig macht«. Der Betrachter führt virtuell seine eigenen Vorstellungen auf das erotische Feld. Vorausgesetzt, Moses‘ zehn Gebote bedrücken ihn nicht: »Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes.« Andere sagen: Appetit kann man sich holen, aber gegessen wird zu Hause. Die schönen Frauen und Männer, die bereits die Liebe genossen haben, freuen sich ihrer Jugend und tun, was ihr Herz gelüstet. Da sie es wieder und wieder vorhaben, könnte jemand die Kampagne als Aufforderung zur Promiskuität deuten. Gleichviel gehöre ich der älteren Generation an und könnte mit dem Prediger sagen: »Die Jahre gefallen mir nicht.« Aber wir erleben das Altsein anders als unsere Eltern und Großeltern. Der Film »Wolke 9« zieht durch unser Leben wie ein Flaggschiff der Bedürfnisse der alten Generation. Der Vorwurf, nicht in Würde altern zu können, trifft uns nicht mehr und wird von der Lust, das moralisch scheinbar Gebotene zu mißachten und die Triebe ins Altersleben mitzunehmen, überwunden. Nun liegt der Realismus der Betrachtung selbstverständlich nicht darin, das »‘s« gern, spontan, lässig, ungeniert, rasant, direkt und einfach mit der abgebildeten und anregenden Person machen zu wollen. Der Anstoß gilt, alle Möglichkeiten für den eigenen Lebensbereich virtuell durchzuspielen und die eigene Lustform zu erkennen. Die Plakate bilden nicht nur eine öffentliche erotische Bühne, auf der Frauen und Männer ihre sexuellen Wünsche und Vorlieben wie Einzeldarsteller in einem freudvollen Schauspiel erleben lassen, in dem ein schützendes Medium den tragischen Einbruch verbannt. Mit Mimik, Gestik und verbal geäußerter erotischer Fantasie tragen sie vor, was wir ständig und überall aus offenen Handygesprächen kennen. Jeder erfährt, daß nicht nur man selbst eigene Bedürfnisse besitzt, sondern jeder Mensch die seinen hat, mit denen er klarkommen muß. Da war ein trefflicher Regisseur am Werke. Vor allem wird die sexuelle Aufklärung ohne jegliche Pornografisierung fortgeführt. Kinder und Jugendliche werden neugierig gemacht und angeregt, beim zukünftigen Geschlechtsakt, Kondome zu verwenden. Alle sollten es tun. Selbst jene Frau, die es spontan tut, hat Kondome dabei, denn »Unverhofft kommt oft ...« Nicht ausgeschlossen wird, mit der Liebsten oder (ein- oder ausschließend) mit der eigenen Frau ganz direkt und ganz ohne zu lieben. Übrigens fehlen »Ich mach‘s mit Liebe« oder »Ich mach‘s in Vertrautheit«. Oder würde mit deren Grundlage die ganze Plakatkampagne hinfällig? Der Gegensatz der diesjährigen, zweiten Kampagne zur Vorjahreskampagne besteht darin, daß jetzt die Frauen und Männer auf den Plakatflächen ihre sexuellen Wünsche mit ihrer Fotoerscheinung übereinstimmend ausdrücken. Ich fand die Kampagne von 2013 mit dem konträren Bild-Text origineller. Da sagte eine Boxerin mit zum Kampf erhobenen Fäusten: »Ich will‘s soft«, die fetzig Gekleidete mit den in die Hüften gestemmten Fäusten: »Ich will‘s romantisch«, der tätowierte Bodybuilder: »Ich will‘s zärtlich« oder der Milchreisbubi: »Ich will‘s wild«. Der verbal geäußerte Wunsch drückte eine Haltung aus, die ganz zu der realen Erscheinung im Widerspruch stand, eine klug und heiter aufgezeigte Ambivalenz: Laß dich überraschen.
Erschienen in Ossietzky 19/2014 |
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