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Der Programmzettel erläutert: »Wichtigstes Auswahlkriterium waren dabei die vielfältigen Implikationen der Ersten, westlichen Welt, in diesen Kriegen, die andernorts stattfanden.« In jenen Gebieten, »die in bewaffneten Konflikten angegriffen, überfallen, verletzt oder besetzt wurden«. Beigegeben, eine Aufstellung dieser »Konflikte«, dokumentiert durch Jahreszahlen und 65 Länder (alle außerhalb Europas). Beispiel: »1950–1953 (Korea)«. Oder »1960– (Kongo)«. Der Strich heißt, die Auseinandersetzungen dauern noch an, Ende offen. Zum Irak: »2003–2011«, also beendet, die Kämpfe. Doch die Realität am selben Abend ist schneller. Das Stück ist gedacht als der erste Teil einer Serie über »das Verhältnis von Choreografie und Geschichte«. Sechs Tänzer, bemalt, aber nicht nackt, auch mit Masken, versuchen, uns diese Kulturen im Tanz nahezubringen. Das, was im Programm als »Stammes- und Volkstänze« bezeichnet wird – und mich beinahe abgeschreckt hätte –, ist alles andere als Folklore. Eszter Salamon, die in Ungarn geborene Choreografin, schafft etwas völlig Neues. Vor allem in Bewegung umgesetzte Emotionen, es spielt keine Rolle, ob es sich um Afrika oder ein asiatisches Land handelt. Diese Merkmale sind nur angedeutet. Ein Stück ohne Bühnenbild? Ja und nein. Immer mehr Tafeln werden von den Tänzern hereingetragen, an den Seiten und vorn aufgestellt, bis die Bühne fast voll ist. Nur Jahreszahlen darauf – das sind die Kriege, von Europa und den USA veranlaßt. Sie wurden hier kaum wahrgenommen und sind inzwischen aus dem Bewußtsein verschwunden. Der Anfang entwickelt sich quälend lang. Völlige Dunkelheit, nur ein Stampfen ist zu hören. Vielleicht eine Beschwörung? Es gibt keine Musik, nur Töne, von den Tänzern selbst erzeugt. Ein Keuchen des Atems, ein Stöhnen, der Klang der Füße auf dem Boden. Der Rhythmus, stark betont, manchmal mit Stöcken erzeugt, die aufgestoßen werden. Aber Kampf? Vorerst nicht. Wunderbar psycho-logisch dargestellt das, was vor den Auseinandersetzungen kommt. Da sitzen die Tänzer auf der Erde und diskutieren, nein putschen sich gegenseitig auf. Es kommen Erinnerungen an erlittene Verletzungen, Demütigungen hoch, blitzartige Erkenntnisse durchzucken die Körper. Die Tänzer steigern sich in eine Erregung hinein – gegen einen Feind, den Aggressor? Bis sie erschöpft am Boden liegenbleiben. Es wird auch mit Messern getanzt. Gegen wen wird gekämpft? Sogar gegen den eigenen Körper richten sie ihre Waffen. Es gibt auf Bali den Barong-Tanz – für Touristen oft gezeigt. Da versuchen die jungen Männer, sich selbst zu erdolchen. Auch Indonesien und Bali sind Teil der Kriege, an die hier erinnert wird. Von 1945–1946 kämpften die Indonesier um ihre Unabhängigkeit gegen die Kolonialmacht Niederlande. Von Touristenaufführungen ist dieser Tanz weit entfernt. Immer wieder völlige Dunkelheit und Stille. Dann ein leises Summen, das sich verstärkt. Wie Fliegenschwärme, die das Blut der Toten anlockte. Unter den sechs Tänzern sind zwei Frauen. Eine trägt mal ein Bananenröckchen und bläst in eine Trillerpfeife. Erotik oder gar Sex gibt es nicht, nur Gewalt. Wenn sich Körper am Boden rollen, übereinander herfallen, ist es Kampf, ästhetisch schön. Genauso wie der Klagegesang, der jedoch in einen Sirenenton übergeht. Die Männer gehen gebeugt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, traurige Krieger – oder Unterdrückte? Zwei drehen sich wie Derwische – wollen sie an den Iran oder an Ägypten erinnern? Ein weißer Sombrero verweist auf Mexiko – die Jahreszahl 1973 auf Chile. Immer wieder die USA, die unsichtbar dahinter stehen, aber nie genannt werden. Silben, oft wiederholt: »Dong, Dong« höre ich, denke an Vietnam – oder Laos? Ein Schild zeigt 1968. Die Kriegsdaten allein, das ist zu wenig, verwirrt. Ein Tänzer geht wie ein Kriegsversehrter am Stock. Dann – ist das der Schluß? Alle verneigen sich vor dem Publikum, die Köpfe tief gesenkt. Nein, die Kriege gehen weiter. Wie ein elektrisch erzeugtes Zittern durchläuft es die Tänzer. Immer schneller, in winzigen Schritten, wie eine Maschine, die auf uns zurollt. Kleidungsstücke liegen am Boden. Ein wundersamer Gesang zwischen den Zahlen, die Kriege sind, die wie Grabsteine leuchten im ersterbenden Licht. Kann mit Mitteln des Tanzes Krieg dargestellt werden? Ja. Aber die Ursprünge, Hintergründe, die gezielten Auslöser – das darzustellen läßt sich so kaum schaffen. Dennoch haben Eszter Salamon und ihre Tänzer es gewagt und sind in Hamburg von einem aufmerksamen Publikum verstanden worden.
Erschienen in Ossietzky 17/2014 |
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