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Einzig in Athen und Thessaloniki liegen die Dinge anders: Die dortigen Wasserwerke sind Krongüter der Versorgung – in Thessaloniki ist das Trinkwasser von ausgesprochen guter Qualität und bezahlbar dazu. Griechenland hatte mit einer Quote von 13,3 Prozent bis weit in die 1990er Jahre hinein im Vergleich zu anderen Ländern der damaligen Europäischen Gemeinschaft einen hohen Anteil an Beschäftigten in öffentlichen Unternehmen, auch in den Unternehmen der Wasserversorgung. Im Juni 2011 aber beschloß das Athener Parlament mit dem Gesetz zur mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 2012 bis 2015 detaillierte Privatisierungsziele. Bis 2015 sollen durch ein im Eilverfahren zusammengeschriebenes Privatisierungsprogramm 50 Milliarden Euro eingenommen werden, der griechische Staat soll damit trotz seiner immensen Schulden handlungsfähig gehalten werden. Anfang 2012 gab der unter Druck geratene Chef der Privatisierungsbehörde schließlich zu, daß die Zahlen auf gut Glück festgelegt worden waren und das anvisierte Einnahmenziel auf vollkommen unrealistischen Erwartungen beruht. Das Privatisierungsprogramm, zu dem der hochverschuldete Staat genötigt wurde, ist Teil der Vereinbarung zwischen der griechischen Regierung und der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF). Die Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen soll das Staatsdefizit senken. Zum Verkauf stehen neben den Flug- und Seehäfen, Kraftwerken und Kasernen die Wasserwerke von Athen und Thessaloniki. Ein US-Hedgefonds hat Anteile des Athener Wasser-Versorgers erworben, für die profitable Gesellschaft in Thessaloniki interessieren sich zwei Konsortien, darunter der global agierende französische Konzern Suez. Doch die griechischen Bürgerinnen und Bürger wehren sich gegen den Ausverkauf ihrer Wasserwerke an Konzerne. Die bedrängten Bewohner Thessalonikis sandten einen Hilferuf an die internationale Anti-Privatisierungsbewegung und gewannen Unterstützer, weltweit. Ein auf die lokalen Verhältnisse zugeschnittener Kampagnenentwurf, eine kluge Vernetzungs- und Pressearbeit ermöglichten, ganz ohne finanzielle Reserven, das »Wunder von Thessaloniki«. Auch der Berliner Wassertisch, der auf seinem langen Weg zur Rekommunalisierung der teilprivatisierten Berliner Wasserbetriebe reiche Erfahrungen mit undurchsichtigen Verträgen und der Privatisierung von Gemeingütern sammeln konnte, entsandte Unterstützung nach Griechenland, zumal in Thessaloniki nicht »nur« 49,9 sondern 51 Prozent der Wasserwerk-Anteile an Investoren gehen sollten. Den Erfolg des Berliner Wasser-Volksentscheids vom Februar 2011 galt es solidarisch zu exportieren: mit einem Referendum gegen die Wasserprivatisierung, am 18. Mai, dem Tag der griechenlandweiten Kommunalwahlen. Ein gesellschaftliches Bündnis aus Gewerkschaft, Kirche und Bürgern – die Initiative SOStetoNero (»Rettet unser Wasser!«) – hatte das informelle Referendum gegen massive Widerstände der Regierung durchgesetzt. Doch die griechische Verfassung sieht keine Volksabstimmungen in Form von Bürgerbegehren und -entscheiden vor, den Beteiligten war bewußt, daß das Referendum keine Gesetzeskraft besitzen würde, einzig ein moralisches Mandat. Mit einem Rundschreiben von Innenminister Giannis Michelakis erklärte die griechische Regierung am Tag vor der Abstimmung das angesetzte Referendum für illegal. Das Innenministerium in Athen untersagte, die Volksabstimmung in Räumen neben den Wahllokalen zur parallel stattfindenden Kommunalwahl durchzuführen und Wählerlisten dafür auszugeben. Auf die Organisatoren der Bürgerinitiative und die internationalen Wahlbeobachter wurde massiver Druck ausgeübt, bei Zuwiderhandlung wurden Haftstrafen angedroht. Das Referendum fand dennoch statt, mit Unterstützung der Bürgermeister der elf betroffenen Gemeinden im Großraum Thessaloniki und der OrganisatorInnen von SOStetoNero, ungeachtet der von der griechischen Regierung angedrohten Sanktionen. Die Tische mit den Wahlurnen wurden kurzerhand aus den Wahllokalen auf die Bürgersteige verlegt, aus den Wählerverzeichnissen wurden die sensiblen Daten entfernt. Die Sanktionsandrohungen der Regierung gingen nun nicht nur ins Leere, sie sorgten vielmehr landesweit für Empörung und veranlaßten viele traditionelle Nichtwähler, an der Abstimmung gegen die Privatisierung ihrer Wasserversorgung teilzunehmen. Auf diese Weise wurde die Samaras-Regierung selbst zum Wahlhelfer und lieferte ungewollt ihren Beitrag zu dem am Abstimmungstag erreichten überwältigenden Votum gegen die drohende Wasserprivatisierung. Über 1.500 Organisatoren und Unterstützer hatten die Durchführung des Referendums ermöglicht. Eine internationale Delegation beobachtete die Abstimmung und bestätigte den regulären Verlauf. Die öffentliche Auszählung im Rathaus von Thessaloniki dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Am Abend des 19. Mai feierten die griechischen Aktiven und die Bevölkerung von Thessaloniki mit den Wahlhelfern einer globalen Antiprivatisierungsbewegung den grandiosen Erfolg des Referendums gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft in Thessaloniki. Bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent stimmten 98,04 Prozent (213.508 Stimmen) gegen die Privatisierung. Das Votum der Bürgerinnen und Bürger zur Zukunft ihrer Wasserversorgung war unmißverständlich und setzte die griechische Regierung und die Troika unter Druck. Es war auch ein Votum gegen die korrumpierten politischen Strukturen des Staates. Der Bevölkerung war längst klargeworden, daß die Sparauflagen von EU, EZB und IWF, die eine Privatisierung von Kernbeständen der Daseinsvorsorge zwangsläufig nach sich ziehen, nicht zur Sanierung der griechischen Wirtschaft beitragen, sondern daß der identitäts- und substanzgefährdende Ausverkauf bestenfalls einen kurzfristigen Schuldenabbau bewirken würde. Vor allem die Enteignung der über Generationen aufgebauten Infrastruktur der Wasserwirtschaft würde den Verlust wirtschaftlicher, politischer und sozialer Gestaltungsfreiheit in den Kommunen bedeuten. Schien es zunächst, als würde die griechische Regierung die Stimmen der Menschen unter dem Druck der Brüsseler Austeritätspolitik nicht respektieren, so hat sie nun das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 2014 akzeptiert und damit die Privatisierung der Wasserwerke in Athen und Thessaloniki auf Eis gelegt. Die Urteilsbegründung lautet, daß die Privatisierung der Wasserwerke illegal und somit auszusetzen sei, weil sie der griechischen Verfassung widerspreche, welche die Fürsorge des Staates für den Gesundheitsschutz der Bürger bei einem so lebenswichtigen natürlichen Gut garantiert. Der Triumph von Thessaloniki ist ein großer Erfolg für eine globale Bewegung der Völker, die in vielen Ländern dieser Erde den Kampf um ihre Gemeingüter aufgenommen haben und damit ihre Identität neu begründen.
Erschienen in Ossietzky 16/2014 |
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