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Ohne befreundet zu sein, blieb unser Umgang stets entspannt. Seine Stoffe lagen in Fernost, war er doch von 1956 bis 1958 Redakteur in Peking gewesen und sprach sogar chinesisch; mich hatte es eher in die Karibik oder in die USA gezogen. Und nun klagte er mir, der Spiegel habe ihn jüngst zum »Konsalik des Ostens« erklärt. Dieses Los teilte ich mit ihm, mir war nämlich dasselbe passiert. Bald nach dem Mauerfall hatte ein Spiegel-Reporter unsere Kulturszene durchforscht und dabei nicht nur u.a. das Theater in Anklam geschmäht, sondern auch mich, und zwar als »Konsalik der SED«. Welch ein Etikett! »Simmel der DDR«, das hätte mir noch gepaßt. Aber Konsalik – mit ihm in einem Boot? Ach, das wurmte uns, obwohl wir von Konsaliks Texten kein Wort kannten - nur die Urteile dazu in Literaturzeitschriften und Fachlexika. Das Schriftsteller-Lexikon des Bibliogaphischen Instituts Leipzig von 1988 etwa ignorierte ihn gänzlich. Die 1972er Ausgabe desselben Werks hatte ihn zwar noch erwähnt, doch unter das Stichwort »Dwinger, Edwin Erich« verbannt, zusammen mit jenen Verfassern »antibolschewistischer Machwerke«, die, wie es dort hieß, »von reaktionären westdeutschen Kreisen stark geförderte ›literarische Bewältigung‹ der deutschen Vergangenheit« betrieben. So schrecke Konsaliks Roman »Der Arzt von Stalingrad« (zwei Millionen Stück seit 1958, auch verfilmt) vor keiner Verzerrung der Tatsachen zurück. Und weiter teilte das Lexikon mit: »H. G. Konsalik (eigtl. Autorenteam unter der Leitung von Heinz Günther, dem noch Benno von Marroth und Günter Hein angehören)« stehe Leuten wie Josef Martin Bauer nahe, dessen Roman »So weit die Füße tragen« selbst westdeutsche Blätter als Propaganda gegen Rußland empfunden hätten. Dies im Sinn, fanden wir am Messestand des Heyne-Verlags, zum 70. Geburtstag Konsaliks präsentiert, »seine zwölf besten Romane als Jubiläumsausgabe« – schmucke Taschenbücher zum Aktionspreis von 8 DM. Thürk schlug eins davon auf, es hieß »Alarm! Das Weiberschiff« und spielte auf einem Atom-U-Boot der USA, das nach endloser Tauchfahrt im Eismeer fünf hübsche Mädchen halberfroren rettet. Zwecks Heilung muß man sie flink entkleiden. – »Welch ein Weib«, las mir Thürk vor, »mit hohen Brüsten, schlanken Hüften, langen Beinen und einem braunen Kräuselpelz zwischen den Schenkeln. Und diese ganze verdammte Schönheit ging vor ihm her, mit zuckenden Hinterbacken und sanft schwingenden Brustwarzen ...« »Faszinierend banal«, sagte ich; »aber Millionen fliegen darauf.« »Und so viele Fliegen können sich nicht irren«, ätzte er. Ja, wir waren sauer auf Konsalik, weil Vielschreiber wie er es mit ihren kapitalstarken Verlegern schafften, uns aus dem Buchmarkt zu drängen, der jetzt täglich 250 Titel neu anbot; vor dem Mauerfall waren es hier in der DDR zwei Dutzend gewesen. Bevor Harry Thürk, an den Spätfolgen des über Vietnam versprühten US-Entlaubungsgifts leidend, Ende November 2005 verstarb, sechs Jahre nach Heinz G. Konsalik, wies er mich noch auf dessen Roman »Manöver im Herbst« hin. Schon das Motto ließ aufmerken. »Allen Deutschen«, hieß es da, »die aus zwei Weltkriegen, zwei Geldentwertungen, zwei totalen Zusammenbrüchen und über 50 Millionen Kriegstoten noch nichts gelernt haben, mit Beklemmung gewidmet.« Das Buch schildert den Lebenslauf eines Berufssoldaten von 1913 bis in die Ära Adenauer. Der Held bringt es vom kaiserlichen Fähnrich bis zum Oberstleutnant der großdeutschen Wehrmacht; zuletzt ist er Textillieferant der Bundeswehr. Restlos karrierefixiert, bewahrt er starr die apolitisch staatstreue rein militärische Haltung. Mir bewies dieser Text, der Mann konnte schreiben, und er war schon früh über jene deutschnationale Sicht hinausgelangt, die er mit Dwinger und dessen Epigonen doch zu teilen schien. Rätselhaft? Heute findet man bei Google Fachliteratur dazu (Matthias Harder, »Erfahrung Krieg. Zur Darstellung des zweiten Weltkrieges in den Romanen von Heinz G. Konsalik«, 1999), in der es heißt, der Roman habe ein »vergleichsweise geringes Publikumsinteresse gefunden« und sich »bisher am schlechtesten verkauft. Schon ein Vorabdruck, der 1960/61 in der Frankfurter Illustrierten erschienen war, sei – so Konsalik – hinter den Auflagenerwartungen zurückgeblieben.« Das Buch nehme im Gesamtwerk eine Sonderstellung ein, inhaltlich wie auch stilistisch. »Erst die allgemeine ›Konsalik-Welle‹, die 1978/79 einsetzte, trieb auch die Auflage dieses Romans bis Ende 1984 auf über 400.000 Exemplare.« Bei Wikipedia erfährt man, Konsalik – der eigentlich Heinz Günther geheißen habe – sage »über seine zur Trivialliteratur zählenden Werke [...] selbst: ›Ich schreibe nur für meine Leser, ich bin Volksschriftsteller‹ [...] Ab 1939 war er bei der Gestapo tätig. Im Zweiten Weltkrieg wurde er Kriegsberichterstatter in Frankreich und kam als Soldat später an die Ostfront, wo er in Rußland schwer verwundet wurde.« Als kommerziell erfolgreichster deutscher Autor veröffentlichte er bis zu seinem Tode fast 160 Romane mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren. Vier Bücher pro Jahr, in schwankender Qualität, das nährte den Verdacht, dahinter stehe ein Team, das gängige Label »Konsalik« marktkonform nutzend. Dem aber widersprach der Autor, gründlich interviewt vom Playboy, im Septemberheft 1982. Glaubhaft beschrieb er sich dort als arbeitswütig, gedrängt von unbändiger Schreiblust, frei von Schaffenskrisen und ohne ein anderes Hobby als das Fabulieren. Er folge strikt seinen Erinnerungen, und auch da, wo er Grausames schildere, erfinde er nichts – bis auf all die traumhaften Frauen. Übrigens sei er »immun gegen jegliche Literaturkritik. Diese Leute ärgern sich, weil ich die hohen Auflagen habe, die sie anderen wünschen und die diese niemals bekommen ... Mich zu beleidigen ist noch keinem gelungen.« Er schreibe, um die Leute auf andere Gedanken zu bringen: Am liebsten seien ihm die Rußland-Romane. Als literarisches Vorbild gelte ihm Scholochow, selbst wenn er den nie erreichen werde; schon gar nicht Tolstoi oder Turgenjew. Die hätten, verglichen mit ihm, bloß deshalb so wenig verfaßt, weil sie noch mit der Feder schrieben. Er tippe stets gleich in die Schreibmaschine, deshalb gehe es so schnell bei ihm. Bleibt der Fakt seiner Gestapo-Verquickung – nirgends erläutert und in Westdeutschland nach der kurzen »Entnazifizierung« auch kaum noch von Gewicht. Kein Vergleich mit dem Stasi-Hype ab 1990; nie spielten Gestapo-Akten dort je eine Rolle. Die Fachkompetenz arg NS-belasteter Beamter und Offiziere brachte der frühen Bundesrepublik immerhin einen erheblichen Startvorteil gegenüber der DDR; die wurde von zuvor ganz staatsfernen Personen aufgebaut, denen es bei proletarischer Herkunft oft an höherer Schulbildung fehlte. Im übrigen scheint mir, der Kontakt zum eigenen Geheimdienst muß keinen Autor beflecken, sofern er für den nicht spitzelt, sondern ihn selbst als Quelle nutzt. Das ist legitim, es gilt auch für Harry Thürk. Der Stoff für sein Filmdrehbuch »For eyes only« wie auch für den Dissidenten-Roman »Der Gaukler« dürfte vom MfS gekommen sein. (Thürk focht da ja gegen kein Phantom. Heute weiß man, Washington war und ist bestrebt, Widersprüche in der Kulturszene geopolitischer Feinde anzuheizen, ob via CIA oder durch Mäzene, scheinbar unabhängige Institute und auch Stiftungen: die dezentere Form der Einflußnahme.) Ohnehin liefern Regierungsstellen gern manchem Autor gezielt Informationen, um das Publikum zu beeinflussen. Dem diente auch die DDR-Fernsehreihe »Das unsichtbare Visier«, in der ein so namhafter Darsteller wie Armin Mueller-Stahl als Abwehrmann das Wirken der Stasi dem Publikum nahebrachte. Selber habe ich zweimal versucht, diese Quelle anzuzapfen, so wie es mir bei der Kriminalpolizei öfter geglückt war – bin jedoch nach Aktenlage als politisch unbequem abgeblitzt. In stabilen Demokratien wird der eigene Geheimdienst durchweg positiv gesehen, der Umgang mit ihm wirkte – jedenfalls bis zu all den Enthüllungen à la Snowden – ganz entspannt. Das waren ja stets die Guten. Da griff zum Beispiel Graham Greene, zeitweilig auch mein Vorbild, in Büchern wie »Unser Mann in Havanna« oder »Der menschliche Faktor« auf seine Erfahrungen im Dienst der Krone zurück. Während dem »007«-Schöpfer Ian Fleming ein kurzer Draht zum MI6 mehr Realismus für seine Bond-Storys erbracht hätte, wäre der denn gewünscht worden. Doch es reichte ihm wohl, knallharte Auslandseinsätze des britischen Geheimdienstes amüsant darzubieten. Fraglich bleibt, wie Heinz G. Konsalik selbst den Vergleich mit Thürk und Schreyer ertrug, den ein Leitmedium da immerhin zweimal zog. Gewiß sah er sich mit uns durchaus nicht in einem Boot, weder geistig noch geldlich. Trivialliteratur, dieser Tadel ließ ihn ohnehin kalt. Solch Vorwurf meint seichtes Erzählen in oft flüchtigem Stil, das Schaffen von Lesesog ohne Kunstanspruch und Bildungswert. Unterhaltsames ist speziell deutschen Rezensenten leicht verdächtig, schon weil es nicht nur ihnen, sondern auch schlichteren Lesern zugänglich ist. Manchmal schmäht die Literaturkritik konventionell Erzähltes sogar als »Schüttgut aus der Retorte«. Nachfolger Konsaliks wie John Grisham, Tom Clancy, Daniel Kehlmann, Frank Schätzing, Charlotte Roche, Martin Suter oder Ingrid Noll werden da, bei recht unterschiedlichem Tiefgang, aus germanistischer Sicht kaum wahr- und schwerlich ernstgenommen. Man unterstellt ihnen nebst den Verlegern, Wünsche der Kundschaft stets prompt zu bedienen und deren Kaufverhalten immer feiner zu vermessen, um ihren Geschmack zu treffen und, fern jeden innovativen Experiments, Bücher so glatt zu vermarkten wie Tütensuppen oder Katzenfutter. Das freilich wäre nur systemkonform in einer Konsumgesellschaft, die dem Publikum das, was es begehrt, in größter Fülle beschert. Und es liest ja überwiegend, um sich wohlzufühlen, kaum zur Weiterbildung durch Kunstgenuß. Information wird zwar am Rande noch geschätzt, etwas Realitätsbezug soll nie ganz fehlen in einem genießbaren Text. Zeitgeschichtlicher Hintergrund etwa, der sichert einem Buch leicht Aufmerksamkeit, pflegt Erinnerungskultur und kann ein Gütesiegel sein, wenn die Fakten da nicht verkürzt oder verbogen worden sind. Gänzlich anders war die Lage damals in der DDR. Dort galt ab 1959 auf dem sogenannten Bitterfelder Weg der Slogan »Stürmt die Höhen der Kultur« (»über den Liebeshang«, fügte ich gern hinzu, zum Befremden von Kollegen, die das Bildungsziel der Regierung ernster nahmen – die emanzipatorische Idee auch hinter dem Aufruf »Kumpel, greif zur Feder!«). Der Staat fühlte sich verantwortlich für seine Dichter und für das große Kulturerbe der Nation. Prominente Autoren von Bertolt Brecht bis Arnold Zweig waren, später noch gefolgt von Stefan Heym oder Werner Steinberg, eigens in den Osten gekommen, um dem Profitsystem zu entgehen. Sie hatten es hier nicht so schwer wie westdeutsche Schriftsteller, die in der Regel kaum leben konnten von ihrem Werk – bis zum möglichen »Durchbruch«, der, wenn überhaupt, oft erst nach Jahrzehnten kam. Die DDR bot, als sicherer Hafen, seriösen Kollegen stets die Chance zum Ausschöpfen ihres Talents. Sogar Lyriker konnten sich entfalten. Zwar gab es im Osten das Zensurproblem, von uns mitunter vorauswirkend als »Schere im Kopf« verspürt. Die Bedenken von Gutachtern zu entkräften, das konnte durchaus quälend sein. Doch kein ernsthafter Autor mußte fürchten, von flotten Spannungsschreibern an den Rand gedrängt zu werden. Wie manches in der Planwirtschaft war auch das Papier so knapp bemessen, daß kein Verlag Bücher, um die man sich riß, beliebig nachdrucken konnte. Und das Kulturministerium sah darauf, anspruchsvollen Werken immer mehr Raum zu geben als den leichter lesbaren Büchern stark gefragter Autoren. Volksbildung galt der Obrigkeit mehr als Umsatz und Verlagsgewinn. Daher trat im hiesigen Buchhandel Unterhaltsames oft hinter ernsthafte Literatur zurück. Solch eine Trennung in E und U, in der Musikbranche üblich, ist für Bücher allerdings nicht weniger fragwürdig. Literatur nach Zielgruppen zu sortieren, dem anvisierten Käuferkreis, wirkt oft seltsam närrisch. Jedes lesenswerte Buch vereint doch beides, den geistigen Anspruch mit einer lockenden Erzählweise. Selbst wenn ein Mann wie Graham Greene seine Werke selber einst in »entertainments« (Unterhaltendes) und »novels« (Romane) schied, die Spaltung in E und U wirkt nirgends so schroff wie bei uns. Deutsche Pedanterie? Weit mehr noch marktkonformes Denken, effizienzbewußt. Da man doch so »den Markt vergöttert«, wie Papst Franziskus gleich in seinem ersten apostolischen Lehrbrief schrieb. Schon 1974 übrigens warnte Pier Paolo Pasolini vor einer »totalitären Konsumgesellschaft« als »wahre, hinterhältigste, kälteste und unerbittlichste Form der Intoleranz«, wie ihn das Magazin Compact (Nr. 3/14) zitiert in der von Philippe Guichard übersetzten deutschen Erstveröffentlichung seiner Thesen. »Weil es eine Intoleranz ist, die die Maske der Toleranz trägt. Weil sie nicht wahr ist. Weil sie jedes Mal, wenn die Macht es nötig hat, widerruflich ist.« Nichts mehr entzieht sich heute, bei Strafe des Bankrotts, der ökonomischen Logik. Die stößt auch anderswo, etwa im Sport oder im Gesundheitswesen, längst an ihre Grenzen. Im Buchgeschäft siegt die Massenware. Forsche Krimis und billige Erotik bedienen den Geist des Konsumismus, dessen totalitäre Herrschaft die gleichnamigen Denkmuster der Vergangenheit abgelöst hat. Unter all dem leiden auch die Medien. »Der Trend geht klar zum Unterhaltsamen, Unverfänglichen«, schrieb mir jüngst ein ostdeutscher Kolumnist im Blick auf sein Fach. »Letztlich gibt der Journalismus von heute damit seine gesellschaftliche Kontrollfunktion selbst auf [...] Schon der ehemalige Berater mehrerer US-Präsidenten Zbigniew Brzezinski prägte den Begriff des Tittitainments. Titti – im übertragenen Sinne: die Brust geben, und -tainment von entertain, bewirten oder unterhalten. Da im Zuge der Rationalisierung ein Großteil der Bevölkerung für die stetig wachsende Wertschöpfung kaum noch gebraucht wird, aber nicht einfach liquidiert werden kann, muß dieser Teil ernährt und unterhalten werden, um nicht auf ›dumme Gedanken‹ zu kommen, so Brzezinski. Die alten Römer sagten einfach ›Brot und Spiele‹. Viel hat sich dahingehend in 2000 Jahren Menschheitsgeschichte wirklich nicht verändert.« Der Briefschreiber bat mich, ihn, wenn überhaupt, nur anonym zu zitieren; er schloß mit dem Seufzer: »Da ist sie wieder – die Schere im Kopf.«
Erschienen in Ossietzky 16/2014 |
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