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Der öffentlichen Meinung geschuldet, ist der Vertrag geheim, er dient der Machtbalance zwischen dem zaristischen Rußland im Osten, Deutschland und Österreich-Ungarn und Frankreich im Westen. 1890 sondiert Rußland die Vertragsverlängerung. Entsprechende Anfragen bleiben aber unbeantwortet oder werden harsch abgewiesen. Ernst Engelberg beschreibt das anschaulich. Bismarck wird entlassen, Wilhelm II. nimmt mit Generalität und Außenamt massive außenpolitische und diplomatische Änderungen vor. Auch deshalb geht Bismarck, auch deshalb sucht Rußland die Verbindung zu Frankreich, einer der vielen Gründe für die Zuspitzung vor dem Ersten Weltkrieg. Bismarcks austariertes, empfindliches Vertragssystem wankt. 1905 entwirft Alfred Graf von Schlieffen zum ersten Male Grundlinien für einen Angriff gegen Frankreich. Die Neutralität Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs wird im Schlieffen-Plan mißachtet, ein rascher Sieg im Westen an-gestrebt, damit beim Angriff auf Rußland ein Zwei-Fronten-Krieg vermieden werden kann. Schon hier, fast zehn Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges, kommen mit Angriffsplänen auf das Zarenreich Polen und die Ukraine in das Visier deutscher Außenpolitik. Vom 11. August 1914, gleich nach Kriegsbeginn, datiert ein Erlaß des Kanzlers von Bethmann Hollweg an den deutschen Botschafter in Wien. Der Entwurf stammt von Staatssekretär von Jagow. Er sieht die »Insurgierung«, die Aufwiegelung der von Rußland regierten Polen und Ukrainer vor, »um Rußland nach Osten zu drängen« (Erlaßtext nach Fritz Fischer). Im Januar 1918, nach der Konstituierung der Regierung in Charkow im Dezember 1917, erklärt auch die »bürgerliche« Zentral-Rada in Kiew, eine Art »Vorparlament« (Thomas Eder) und Gegengründung gegen die Sowjetregierung, sich und das Land erstmals für unabhängig; die lange gewachsene Zweiteilung der Ukraine zeigt sich erneut. 1939 greift das faschistische Deutschland das inzwischen eigenständige Polen an, 1941 die Sowjetunion. Der »Vernichtungsfeldzug« (Günter Roth) gegen die Sowjetunion trifft auch die Ukraine hart. Ukrainische Nationalisten paktieren aber mit Wehrmacht und SS. Von hier aus ziehen sich Linien bis in die Gegenwart. 1990 löst sich die Sowjetunion auf, die Ukraine wird unabhängig. Seitdem lassen die Bestrebungen nicht nach, das Land enger an die Europäische Union zu binden. 2004 unterstützt die Bundesrepublik Deutschland Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, die nach Wahlfälschungsvorwürfen gegen die Regierung Kutschma Neuwahlen erzwingen. Der mediale Aufwand für die beiden ist immens. Deutschland, die EU und die atlantischen Partner mühen sich nach Kräften, das nachsozialistische Land gänzlich von Rußland zu trennen. Nur zerstreiten sich Juschtschenko und Timoschenko beim Aufteilen der Beute rasch. Es folgen Wahlen, Proteste und erneute Wahlen. Viktor Janukowitsch ist im November 2013, was auch immer man von ihm halten mag, der gewählte Präsident des Landes. In diesem Monat, sicher auch auf Veranlassung Rußlands, setzt Janukowitsch die Verhandlungen mit der EU aus. Heftige Proteste im faktisch geteilten Land sind die Folge. In der Bundesrepublik wird ein Medienfeuer entfacht. Nicht von ungefähr: Massiver Einfluß auf das Land, neue Märkte, Rohstoffe, billige neue Arbeitskräfte und eine Schwächung Rußlands sind in deutscher und europäischer Politik als Ziele fest verankert. Die militärischen Klauseln in dem mit der Ukraine vorgesehenen Vertrag, selten öffentlich erwähnt, sprechen Bände, das Kriegsgeschrei von NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ebenso. Enge Beziehungen zwischen der Konrad-Adenauer-Stiftung und ukrainischen Oppositionellen sind nachgewiesen, ebenso solche der USA. Die Steinmeiersche Politik und Rhetorik sind eindeutig; daß de facto mit ukrainischen Faschisten – jetzt Regierungsmitglieder – paktiert wird, dient der Festigung deutscher und EU-Interessen und wird deshalb heruntergespielt. Cicero schreibt vor zweitausend Jahren: »Silent leges inter arma«, etwa: Die Gesetze schweigen, wenn die Waffen sprechen. In der Ostukraine herrscht Krieg, seine Opfer müssen inzwischen nach Tausenden – Tote, Verletzte, Flüchtlinge – gezählt werden. Selbst Deutschlands konservative Presse notiert Fragen an die EU, die BRD und die USA. Burkhard Ewert stellt am 5. Juli für die Neue Osnabrücker Zeitung fest: »Da appellieren Barack Obama, Angela Merkel und andere laufend an Wladimir Putin, seinen Einfluß auf die Separatisten geltend zu machen. Die waren es aber gar nicht, die die brüchige Waffenruhe gekündigt haben. Auch zu den Voraussetzungen für einen neuen Anlauf ist Rußland längst bereit. Fast hat es daher den Anschein, als verlange der Westen von Moskau, wozu er selbst nicht in der Lage ist: sich in seiner Einflußsphäre durchzusetzen (...).« Das ist noch vorsichtig formuliert. Das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet der neue ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko rasch nach seiner Vereidigung, Waffenruhe und Verhandlungen sind danach nur noch für das Fernsehen ein Thema. Dort sind seit Monaten die Kiewer Putschisten völlig anders dargestellt als die »Separatisten« in Donezk. Am 11. Juli 2014 wird neuerlich ein »Total-Angriff« (SZ) gegen letztere angekündigt, faktisch gegen Teile der eigenen Bevölkerung. Am 22. Juli, kurz nach dem noch ungeklärten Flugzeugabsturz, beschließt die Kiewer Rada »mit knapper Mehrheit« eine Teilmobilmachung. So ist, nach einer Bemerkung von Hermann Gremliza, der dritte Anlauf gelungen, die Ukraine zum marktfähigen, formal unabhängigen Pufferstaat zu machen. Nach 1914 und 1941, nach 2004 und 2013 scheint jetzt auf absehbare Zeit die Ukraine von Rußland losgelöst zu sein. Bemerkenswert ist, wie jenseits aller Phrasen und Beschwichtigungen die deutsche Außenpolitik einhundert Jahre lang beharrlich an ihren Kriegszielen (Fritz Fischer) festgehalten hat. Immerhin führt sie ihre neuen Kriege – wenigstens die vor der eigenen Haustüre – nicht alle selbst, sondern läßt sie führen. Etwas anderes wäre, bitter gesagt, zukünftigen Teilzeitsoldaten mit Krippengarantie aber wohl auch nicht zuzumuten.
Erschienen in Ossietzky 16/2014 |
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