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Geburtstages soll an sie erinnert werden. So mancher Besucher kommt seinetwegen. An Schlechtwettertagen führt der Weg übern Hof durch den immer feuchtkühlen Gang, die paar ausgetretenen Steinstufen hinauf. Der einstige Hausherr hat irgendwann rekonstruieren und einen hölzernen Altan an die Rückfront des Hauses bauen lassen und ist dann direkt aus der Wohnung hinabgestiegen – in den Garten. Dort ist er auf und ab spaziert, hat gelegentlich mit der Familie im Pavillon gefrühstückt, mit dem Gärtner debattiert, warum die heißgeliebte Artischocke hier nicht so vorankommt wie im heimatlichen Frankfurt, und hat im übrigen seine Freude gehabt an einem Gärtchen, »das beschränkt zierlich ihm zu eigen gehört«, und am Eifer seiner Frau, »die recht schön für alles gesorgt«. Wenn Goethe nicht – und das war er oft und manchmal monatelang – auf Reisen gewesen ist. Das soll gesagt sein, ehe Vorstellungen von biedermeierlicher Idylle aufkommen. Gewiß trug der Garten viel dazu bei, daß Goethe sich gerade zum Haus am Frauenplan hingezogen fühlte, als das Häuschen unten an der Ilm zu eng geworden war für Interessen und Neigungen und – alles entwickelt sich – auch den Repräsentationspflichten eines Ministers nicht mehr genügte. Das ernste, gediegene, achtunggebietende Gebäude hatte ausreichend Räume von klassischem Ebenmaß für Goethes ständig wachsenden Sammlungen, für die Kunst- und Naturschätze, die er »nicht nach Laune und Willkür«, sondern »mit Plan und Absicht und zur eigenen folgerechten Bildung«, »nicht zum Wohlleben, sondern zu möglichster Verbreitung von Kunst und Wissenschaft« zusammentrug. Es erlaubte repräsentative Empfänge und gesellige Tafelrunden, ungestörte Arbeit und »Hasenstunden«. Denn in den behaglichen Stuben im hinteren Gebäudetrakt waren auch Frau und Kind zu Hause. Und das alles wurde aufs glücklichste ergänzt vom Garten. Siebenundvierzig Jahre, bis zu seinem Tode, nutzte Goethe das Anwesen, das ihm von Carl August schließlich 1794 als »erb- und eigentümlich« zum Geschenk gemacht worden war, wohl in der Absicht, den Freund an Haus und Fürstenhof zu binden. Von Anfang an hat der Hausherr gesucht, alles nach einem Prinzip einzurichten: »höchste Nützlichkeit im Schönen«. Das galt auch für die Gestaltung des Gartens. Goethe sah mit vielen Freunden Heidenröslein stehn und Waldblümchen, aber ihn faszinierten ebenso die exotischen Vertreterinnen ihrer Art. Die Dahlien beispielsweise, damals noch Georginen geheißen. Ihren Samen – die Vermehrung über Knollen wurde erst später erkannt – hatte ihm Alexander von Humboldt von einer Weltreise mitgebracht. Goethe liebte Blumen, Bäume, das große Ensemble Natur, das ihm »das enge Dasein zur Ewigkeit erweiterte«. Viele Objekte wuchsen im eigenen Garten. Oder Goethe suchte sie dort heimisch zu machen. So Gewächse, die mit einem Schleudermechanismus für ihren Samen ausgestattet sind. Er hegte das Brutblatt, die – vom Volksmund längst nach ihm benannte – Pflanze, deren Blätter von bewurzelten Jungpflänzchen gesäumt werden. Die Spiraltendenz der Schlingpflanzen beschäftigte ihn fast sein ganzes Leben lang. Jahraus, jahrein notierte er Beobachtungen an den Weinstöcken hinterm Haus und auf den Hängen der Dornburger Schlösser sowie Erkenntnisse über einen ertragverbessernden Schnitt der Reben. Die er – große Freude im letzten Lebensjahr – in der Schrift eines Praktikers, des Gärtners Kesch, bestätigt fand. Auf den sonnigen Wegen zwischen den Beeten haben der Sohn und später die Enkel gespielt, hat der Mann, der Geheimer Rat seines Landesherrn und Poet dazu war, Gedanken und mitunter auch Gäste spazieren geführt. Und alljährlich lud der stolze Gärtner zum Tee zu Ehren der Malvenblüte. Schatten spendete lediglich die Herlitzenhecke. Der ausladende Ahorn, Mittelpunkt der heutigen Anlage, war noch nicht aufgegangen. Wo jetzt die Häuser der Ackerwand emporragen, breitete sich damals der Welsche Garten aus. Und nicht zuletzt war Goethes Garten, wie alle Hausgärten jener Zeit, Nutzland. Da wuchsen Kraut und Rüben – für Mensch und für das liebe Vieh. Die Familie hatte Bedienstete, ständige Hausgenossen und regelmäßig Gäste. Die blieben oftmals über Nacht oder bis zur nächsten Postkutsche. Und der Tisch wollte gedeckt sein. Hühnerstall und Schweinekoben gehörten damals so selbstverständlich zum Haushalt wie heutzutage Kühlschrank und Waschmaschine. Auf vier geräumigen Beeten, Quartiere genannt, die fast die gesamte Gartenfläche beanspruchen und heute – Konzession an Zeitgeschmack und den Zeitfonds des Gärtners – Rasen zur Schau stellen, wurden zudem Salat, Gurken, Bohnen und Feinstes angebaut: Spargel, Schwarzwurzel, Bleichsellerie und Erdbeeren. Dazwischen wuchsen Dill und Majoran, Petersilie und Suppenkraut, ein Rüschlein Rosmarin und ein Schmeckerchen Kamille. Man war auch sein eigener Apotheker. Und all die Nützlichkeit war von Blumen umkränzt. Auf den Rabatten, die wiederum von zierlichen Buchsbaumhecken gefaßt waren, prangten Pfingstrosen und Rittersporn, wanden sich Wicken, wucherten Ringelblumen und Nigella, reckten sich Maßliebchen und Nachtviolen, überragten Malven die Akeleien, Lilien, Skabiosen und all die anderen Kostbarkeiten, die wir beinahe vergessen haben, weil heutige »Gartencenter« vorwiegend aufziehen, was schnell wächst und pflegeleicht ist. Üppig gediehen auch die Modeblumen der Zeit: Aurikeln, Rosen, Pelargonien, Nelken. Die Gartenliebhaber Weimars, unter ihnen Herder, Wieland, der Märchendichter Musäus, der Verleger Bertuch, führten einander besonders schöne Pflanzenexemplare und Neuerwerbungen vor. Sie versammelten sich anläßlich des Aurikelflors im Belvedere oder zum Rosenfest bei Bertuchs. Und 1829 wurde in Weimar gar der »Verein für Blumistik« gegründet. Ehrenmitglied – natürlich – Seine Exzellenz der Herr Geheime Rat von Goethe. Die Sorge um den Hausgarten wie auch um die Pflanzungen am Gartenhaus und fürs Krautland an der Notte, die praktische Arbeit also, die die Ernte und die Konservierung der Wintervorräte einschloß, sind immer Christianes Sache gewesen. Ein Gärtner ist ihr zur Hand gegangen. Geholfen haben der Frau aber vor allem ihr heiteres, tatkräftiges Naturell und ihre tiefe, ursprüngliche Freude an allem, was wächst und gedeiht, die sie mit dem Gatten teilte. In ihren Briefen an den reisenden Ehemann klagt sie oft, daß der Abwesende sich nicht mit ihr über die Lieblingsblumen freuen oder die Ernte genießen kann. Und davon schickte sie ihm, so oft sich Gelegenheit bot. Er revanchierte sich mit Stiefmütterchensamen, Nelkenstecklingen oder mit einigen Walnüssen fürs Pflaumenmus. Christiane schreibt aber auch: »Mit Deiner Arbeit ist es schön; was Du einmal gemacht hast, bleibt ewig, aber mit uns armen Schindludern ist das ganz anders. Ich hatte den Hausgarten sehr in Ordnung, gepflanzt und alles. In einer Nacht haben mir die Schnecken beinahe alles aufgefressen, meine schönen Gurken fast alle weg, und ich muß wieder von vorne anfangen. Doch was hilft es? Ich will es wieder machen; man hat ja nichts ohne Mühe. Es soll mir meinen guten Humor nicht verderben.« Gertraud Aepfler hat oft und schwesterlich an Christiane gedacht. Auch sie hat Goethes Garten mit Freuden bestellt und die Mühen gekannt. Gartenkunst ist eine schon durch Gleichgültigkeit zu verletzende Kunst. Die kleine Frau, grauer Haarschopf überm sonnengebräunten Gesicht, feine Lachfältchen um die Augen, setzte ihre Arbeit dagegen. Sie hat gegraben, gepflanzt, gehackt, umgepflanzt, den Boden mit Schafdung verbessert, im eigenen Garten neue Pflanzen ausprobiert und die lebenstüchtigen bei Goethen gesetzt, mit den ewigen Schattenplätzen gehadert und mit der Wühlmaus gekämpft. Und sie hat den Garten »so wie ganz früher« in Schuß gehabt, als sie ihn nach ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag jugendlichen Nachfolgern übergeben hat. Was sie nicht wußte, als sie begann, erforschte sie – dankbar für die Hilfe und das Vertrauen der Kollegen im Goethe-Archiv. Ja. Darauf gebracht haben sie »die Leute, die fragen immer so viel. Wie war dies, wie war das? Da ist man ganz einfach gezwungen, sich mal mit der Sache richtig zu befassen.« Sie hatte ihren Goethe gelesen. Nicht alle seine Bücher, o nein, da wollte sie nicht mitreden. Aber sie kannte seine Briefe, liebte besonders den Briefwechsel mit Christiane. Sie hat Lagepläne und alte Rechnungen studiert, in Haushaltsbüchern, Rezeptsammlungen und anderem wenig beachteten Papier Auskunft über den Alltag der Familie Goethe gesucht. Und was sie fand, das schrieb sie mit fester, klarer Handschrift in ein dickes Heft, in ein zweites, auf ungezählte Blätter. Da stand‘s. Aber Gertraud Aepfler hatte auch alles im Kopf. Was alle die Besucher wissen, die seinerzeit an einem »Sonntagsgespräch« teilgenommen haben. Den Aepflerschen »Fundsachen« hat die Klassik-Stiftung Weimar im Jahre 1994 eine adäquate Abhandlung der Gartenarchitektin Dorothee Ahrendt über den Garten am Stern hinzugefügt und alles mit historischen Stichen, Reproduktionen, Gartenplänen, älteren und aktuellen Fotos komplettiert. Edition Leipzig hat das Bändchen unter dem Titel »Goethes Gärten in Weimar« verlegt. Es liegt inzwischen in 4. Auflage vor und ist ein Quell, aus dem viele Autoren schöpfen (s. auch Ossietzky 9/14). Die meisten Menschen nehmen es zur Erinnerung an einen Besuch in Goethes Garten mit nach Hause. Der eine oder andere Gartenfreund wird sich auch durch eine Dahlie erinnert fühlen an Frauenplan und »Frauenpower« – mag er ihr in einem Pflanzenkatalog oder auf einem Blumenbeet begegnen. Die reichblühende Pflanze trägt lachsorangefarbene Blüten mit gelber Mitte und – auf Anregung ihrer langjährigen Arbeitskolleginnen von der Stiftung Klassik Weimar – den Namen »Frau Gertraud Aepfler«. Gezüchtet wurde sie vom Seniorchef des Gartenbaubetriebs Panzer in Bad Köstritz, Heinz Panzer, der besser als manch andere die Leistungen der Kollegin »Goethegärtnerin« nachempfinden und schätzen kann und seine Schöpfung gern nach ihr benannt hat. Gertraud Aepfler ist beeindruckt gewesen – am allermeisten vom Können des Züchters, dem es mit mancherlei Tricks gelungen war, pünktlich zu ihrem 90. Geburtstag am 16. Juli eine Dahlie zum blühen zu bringen, die ihren Flor gemeinhin erst im September gucken läßt.
Erschienen in Ossietzky 15/2014 |
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