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Es war ein ehrgeiziges Programm, das den Wohnraummangel bis 1990 beseitigen sollte. Ab den 1960er Jahren entstanden in nahezu jeder Stadt der DDR die Plattensiedlungen, so daß zur Wende ein Drittel des Wohnungsbestands Plattenbauten waren. Die größten und bekanntesten Trabantenstädte waren Berlin-Marzahn, Rostock-Lichtenhagen, Jena-Lobeda und Halle-Neustadt. Die ehemalige »Chemiearbeiterstadt«, die in diesem Jahr ihr 50jähriges Jubiläum begeht, sollte erklärtermaßen Modellcharakter haben für das, was in der DDR unter »sozialistischem Städtebau« verstanden wurde. Am 15. Juli 1964 erfolgte auf dem Gelände der künftigen 1. Polytechnischen Oberschule durch den damaligen 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Horst Sindermann, offiziell die Grundsteinlegung. »Mit dem Bau der Chemiearbeiterstadt werden wir demonstrieren, wie wir uns die Verbesserung der Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen vorstellen« – mit diesen Worten wurde das ambitionierteste Städtebauprojekt der DDR gestartet. In den folgenden zwei Jahrzehnten entstand am westlichen Ufer der Saale eine Stadt für knapp 100.000 Einwohner. Heute ist aus der einstigen Vorzeigeschule ein Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte geworden. Ironie der Geschichte?! Die Gedenktafel an die historischen Hammerschläge ist verschwunden. Von Anfang an wurde die neue Stadt in sogenannte Wohnkomplexe eingeteilt. Hier sollten für jeweils acht- bis zehntausend Einwohner Einkaufs- und Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, weiterhin Schulen, Kindertagesstätten und Arztpraxen. Ende der 80er Jahre gab es schließlich acht solcher Wohnkomplexe, wobei die zuletzt gebauten aufgrund des verschärften Wohnungsbauprogrammes nicht mehr so weiträumig errichtet worden waren, sie besaßen längst nicht mehr so viele Versorgungseinrichtungen und Grünflächen. Neben dem Wohnungsbau waren auch die Verkehrsanbindungen von großer Bedeutung. Immerhin mußten täglich weit über zehntausend Beschäftigte zu den Chemiebetrieben Buna und Leuna und zurück befördert werden. So rollten bereits im April 1967 nach den Buna-Werken die ersten Arbeiterzüge. Später wurde mit dem Bahnhof Halle-Neustadt der S-Bahn-Verkehr zwischen Halle-Dölau und Halle-Trotha (über Halle-Hauptbahnhof) aufgenommen. Der Verkehr zum Stadtzentrum von Halle wurde dagegen mit Ikarus-Gelenkbussen gewährleistet. Von Anfang an gab es auch Planungen für ein Stadtzentrum, die nach und nach umgesetzt wurden. Dabei bildete die Magistrale als Hauptverkehrsader eine wichtige Rolle. Nördlich von ihr entstanden im Laufe der Jahre Sport- und Kultureinrichtungen sowie ein Verkaufszentrum und schließlich fünf 18geschossige Scheibenhochhäuser. Einst das Wahrzeichen von Halle-Neustadt, stehen sie heute fast leer und sind zu einem »Taubenproblem« geworden. Hier im Stadtzentrum hatte man zu DDR-Zeiten noch Großes vor: ein »Hochhaus der Chemie« als 100 Meter hohes Wahrzeichen der Stadt oder ein riesiges Kulturzentrum mit verschiedenen Konzertsälen, Bühnen, Gaststätten und Bibliotheken. Pläne, die aber immer nur eine »wassergefüllte Baugrube« blieben. Bereits 1967 wurde die »Chemiearbeiterstadt Halle-West« unter der neuen Bezeichnung »Halle-Neustadt« zum selbständigen Stadtkreis erklärt und erhielt das Stadtrecht. Damit wurde sie formell aus dem Stadtgebiet von Halle (Saale) herausgelöst. 1984, zum 20. Jahrestag, bekam Halle-Neustadt ein eigenes Stadtwappen. Die Einwohner sollten sich besser mit ihrer Heimatstadt identifizieren können. Ein Vorhaben, das aber zu spät kam – genauso wie der Bau eines eigenen Rathauses an der Magistrale. Fast fertig, war es inzwischen überflüssig, denn am 6. Mai 1990 erfolgte die Fusion von Halle und Halle-Neustadt. Mit dieser Zusammenlegung wollte man ein größeres Gewicht bei der Wahl der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt einbringen. Das Ergebnis ist bekannt. Mit der politischen Wende 1989/90 begann für Halle-Neustadt das zweite Kapitel seiner nun 50jährigen Geschichte. Das erste Zeichen der neuen Zeit war die sofortige Einstellung des Wohnungsbaus. Schnell kam es zu einer Verunglimpfung der Neubaugebiete – die »Platte« wurde zum »Schnarchsilo«, »Wohnklo« oder »Arbeiterregal«. Hatte Halle-Neustadt zur Wende noch rund 90.000 Einwohner, kehrten in den folgenden Jahren viele ihrem ehemaligen Zuhause den Rücken. Durch Wegzug und Abwanderung ist die Einwohnerzahl bis heute auf über die Hälfte geschrumpft. So wurden in zurückliegenden Jahren zahlreiche Wohnblöcke abgerissen, vor allem die Elfgeschosser hatten einen schlechten Ruf. Durch ihre größere Anonymität gab es hier bereits zu DDR-Zeiten Probleme mit Ordnung und Sicherheit. Besonders betroffen vom Abriß waren die Wohnkomplexe, die weiter vom halleschen Stadtgebiet entfernt waren. Trotzdem ist Wohnungsleerstand immer noch ein großes Problem für die Wohnungsgenossenschaften. Mit Grundrißänderungen, Modernisierung, Wohnumfeldverbesserungen, Infrastrukturmaßnahmen und Verringerung der Geschoßzahl versucht man, Leerstand zu vermeiden und die Attraktivität zu erhöhen. Wohnen im Hochhaus muß nicht eintönig sein. Innovative Lösungen und energetische Sanierungen werten die Plattenbauten auf. Dies ist in einigen Vierteln von Halle-Neustadt beispielgebend gelungen, in anderen Wohnkomplexen sind die Probleme vielfach noch ungelöst. Dazu kommen weitere Imageprobleme wie die Überalterung, die soziale Entmischung sowie die pauschale Stigmatisierung »sozialer Brennpunkt«. Die Lösungen können sehr unterschiedlich sein. Nicht immer muß die Abrißbirne eingesetzt werden, die den DDR-Plattenbauten ein staubiges Ende verschafft. Wohnen in der Platte könnte für die Zukunft eine bezahlbare Option sein, besonders dann, wenn Wohnraum in der Innenstadt immer teurer wird. Für den Hochschulstandort Halle wäre ein vergleichsweise niedriges Mietniveau unter den Studierenden sicher ein Standortvorteil. Diese Rückbesinnung auf die »Platte« ist zu begrüßen, da gerade Stadtrandsiedlungen sowohl urbane Nähe wie auch grüne Nachbarschaft bieten.
Erschienen in Ossietzky 15/2014 |
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