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Die »Petition zur Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung« fordert: »Der Deutsche Bundestag möge beschließen: Gefangene, die im Strafvollzug einer Arbeit oder Ausbildung nachgehen, werden in die Rentenversicherung einbezogen. Die seit über 30 Jahren suspendierten §§ 190 bis 193 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) werden gemäß § 198 Abs. 3 StVollzG – in angepaßter Form – in Kraft gesetzt.« In der Begründung wies das Grundrechtekomitee darauf hin, daß der Bundesgesetzgeber bei der Formulierung des neuen StVollzG (vom 16.3.1976, Inkrafttreten am 1.1.1977) mit den §§ 190 bis 193 die Einbeziehung von arbeitenden Strafgefangenen in die Sozialversicherungssysteme bereits umfassend geregelt hatte (vgl. www.gesetzesguide.de/stvollzg.html#stvollzg190). In diesen Paragraphen war festgelegt, daß Gefangene in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Als Bemessungsgröße waren 90 Prozent des Durchschnittslohnes aller Versicherten angegeben. Da von den Minimallöhnen, die Gefangene erhalten, nichts einzubehalten ist, sollten die Länder die Einzahlungen in die Rentenversicherungskasse vornehmen. In § 198 Abs. 3 StVollzG wurde angekündigt, daß diese Paragraphen »durch besonderes Bundesgesetz [...] in Kraft gesetzt« werden. Das versprochene Bundesgesetz wurde jedoch bis heute nicht erlassen. Geregelt ist bislang lediglich die Unfall- und die Arbeitslosenversicherung. Der Gesetzgeber hielt seinerzeit die Einbeziehung von Strafgefangenen in die sozialen Sicherungssysteme für unentbehrlich und betonte, daß es »nicht gerechtfertigt ist, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen« (BT-Drs. 7/918, 67). Die Bundesregierung betonte 2008 auf eine Anfrage hin, daß sie »die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche [...] Rentenversicherung weiterhin für sinnvoll« halte (BT-Drs. 16/11362). Der Gesetzgeber hatte mit dem Erlaß des neuen StVollzG einen Rechtsanspruch der Gefangenen auf Einschluß in die Sozialversicherungen dem Grunde nach gesetzlich anerkannt und sich insoweit selbst gebunden. Auch viele Juristinnen und Juristen sehen in dem Gesetz von 1977 eine solche Selbstbindung, so daß der Verstoß dagegen einen Rechtsbruch bedeute. Dies »aufgeschobene Inkraftsetzung« zu nennen (BT-Drs. 16/11362), klingt nach über 37 Jahren wie purer Zynismus. Die Strafgefangenen in die Rentenversicherung einzubeziehen ist ein Gebot sozialer Rechtspolitik und sowohl der Verfassung als auch den Grund- und Menschenrechten der Strafgefangenen geschuldet: Die Einbeziehung in die Rentenversicherung ergibt sich aus dem Wiedereingliederungsauftrag des Strafvollzuges, denn eine eigenverantwortliche Lebensführung nach der Entlassung bedarf der sozialen Absicherung. Zudem wird die Würde der arbeitenden Strafgefangenen angetastet, wenn ihre Arbeitszeiten keine (sozialversicherungsrechtliche) Anerkennung finden. Und das Gleichheits- und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes werden verletzt, wenn die Arbeit im Strafvollzug nicht mit üblicher Arbeit gleichgesetzt wird. Das Arbeitsministerium argumentiert dagegen mit der Behauptung, daß die Einbeziehung in die Rentenversicherung nicht möglich sei, weil die Gefangenen kein freies Arbeitsverhältnis hätten. Das Argument greift jedoch nicht. Gefangene können aufgrund der Freiheitsstrafe – außer im offenen Vollzug – kein freiwilliges Arbeitsverhältnis eingehen. Das ist die sich aus der Freiheitsstrafe ergebende Situation. Der Bundesgesetzgeber selbst hatte ja die Einbeziehung beschlossen – im Bewußtsein der bestehenden Arbeitspflicht. Die formale Beschäftigungssituation hat sich seit dem Strafvollzugs-Gesetzentwurf von 1976/77 nicht geändert. Zudem wird in einigen neuen Ländergesetzen zum Strafvollzug die Arbeitspflicht abgeschafft und durch ein Recht auf Arbeit ersetzt. Die »Europäischen Strafvollzugsgrundsätze«, eine Empfehlung des Europarates von 2006, betonen: Die Arbeit der Gefangenen solle »so weit wie möglich vergleichbarer Arbeit in Freiheit entsprechen« (26.7), sie müsse angemessen vergütet werden (26.10), und in Absatz 26.17 wird gefordert: »Arbeitende Gefangene sind so weit wie möglich in das staatliche Sozialversicherungssystem einzubeziehen.« In etlichen anderen europäischen Staaten gilt die volle Einbeziehung von Strafgefangenen in die Sozialversicherung (unter anderem Frankreich, Italien, Tschechien, Slowakische Republik). Ein Gefangener, der fast 25 Jahre in Haft sitzt, schrieb uns am 28.5.2012: »Durch die Nichtzahlung [von Rentenversicherungsbeiträgen; M. S.] werde ich zum Sozialrentner gemacht, obwohl ich in Haft immer gearbeitet habe, und sogar noch härter als in Freiheit, denn in Haft kriegt man, wenn man krank geschrieben ist, keinerlei Krankengeld, und somit schleppt man sich mit Grippe oder Prellungen […] weiter zur Arbeit, um finanziell zu überleben.« Ein anderer Gefangener schrieb uns am 22.8.2011: »Schon lange bin ich der Überzeugung, daß sich der Gesetzgeber nicht an seine Gesetze hält, besonders hier – wir sind ja nur Abschaum? Aber was sich einige Politiker erlauben, grenzt oft mehr an Verbrechen als das, was viele eingesperrte Menschen angestellt haben.« Und die Gefangenenmitverantwortung der Justizvollzugsanstalt Remscheid schrieb dem Grundrechtekomitee am 24.6.2011: »Ich rechne Euch das hoch an, daß Ihr Euch für unsere Rente einsetzt. Jahrelang haben wir schon darüber diskutiert. Endlich macht jemand etwas. Wir sind alle Inhaftierte der JVA Remscheid. Die ersten 220 Stimmen schicke ich Euch anbei. Wir hoffen, diese Geschichte hat bald ein Ende. Denn so stehen viele von uns später ohne Altersabsicherung da. Wir arbeiten ja nun schon für neun Prozent des Brutto-Ecklohnes. Billigarbeit und keine Rente. Wir sind verurteilt für eine Straftat und nicht für unterm Mindestlohn zu arbeiten.« Hilfreich für das Anliegen war Ende 2011 eine Stellungnahme des Ziethener Kreises, einer Gruppe von kriminalpolitisch engagierten Wissenschaftlern und Praktikern. Die Stellungnahme »Gerechtere Arbeitsentlohnung und Alterssicherung für Gefangene!« fordert eine Erhöhung des Lohnes für Gefangenenarbeit, der seit 2001 bei neun Prozent der Bemessungsgrundlage stagniert. Die seinerzeit (2011) zehnjährige Untätigkeit des Gesetzgebers wertet der Kreis als »Verfassungsverstoß«. Zur Rentenversicherung führt die Stellungnahme aus: »Alle Gefangenen sind in die Rentenversicherungssysteme einzubeziehen.« Während Die Linke schon vor der Petition die Forderung des Grundrechtekomitees voll und ganz unterstützte, hat sich bei den Grünen immerhin etwas bewegt. Im April 2013 kam es zu einer Bundestagsdebatte über einen von der Linken eingebrachten Gesetzentwurf zur Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung. Hier positionierten sich die Grünen erstmals eindeutig für eine Rentenversicherung für Gefangene. Die SPD verhält sich zögerlich. Es scheint maximal eine Bereitschaft zu geben, die Gefangenenarbeit als Anrechnungszeit zu werten. CDU/CSU und FDP vertreten die bisherige Regierungsposition. Die Argumentation mit leeren Landeskassen ist skandalös, nie ist von den Gewinnen die Rede, die die Länder aus der Gefangenenarbeit ziehen. So hieß es zum Beispiel im Iserlohner Kreisanzeiger vom 4.5.2009: »Die Strafgefangenen der 37 Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen haben dem Land durch ihre Arbeit Rekordgewinne beschert. Mit ihren Erzeugnissen aus den Werkstätten hinter Gittern erwirtschafteten die Häftlinge im vergangenen Jahr 48,2 Millionen Euro (...) ›Damit werde der Landeshaushalt nicht unerheblich entlastet‹, erklärte die Ministerin.« Daß sich das Land in dieser Form praktisch an Schwarzarbeit beteiligt und bereichert, übersieht die Ministerin. Die Exklusion der Gefangenen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt ein nunmehr seit 37 Jahren bestehender politischer Skandal. Die vorgetragenen inhaltlichen Argumente gegen eine Einbeziehung sind längst entkräftet. Das Argument der leeren Kassen darf nicht zählen, wenn es um politische Prioritätensetzungen im Sinne von Grundrechten, Sozialstaatsprinzip sowie Gleichheits- und Gerechtigkeitsprinzipien geht. Wenn sich etwas bewegen soll, bedarf es allerdings einer breiteren außerparlamentarischen Unterstützung für dieses Anliegen. Die Öffentlichkeit, Bürgerinnen und Bürger, müssen den Druck auf die Vertreterinnen und Vertreter im Parlament erhöhen, damit sich führende Politikerinnen und Politiker aus den Bereichen »Justiz« sowie »Arbeit und Soziales« sowohl des Bundestages als auch der Landtage endlich durchringen, dem fest versprochenen Gesetz eine Bahn zu brechen. Martin Singe arbeitet als Referent beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln, martinsinge@grundrechtekomitee.de.
Erschienen in Ossietzky 15/2014 |
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